# taz.de -- Bürgermeister über ÖPNV in Templin: „Traut Euch!“ | |
> Bürgermeister Detlef Tabbert hat in Templin Erfahrungen mit günstigem | |
> ÖPNV gemacht. Er empfiehlt ein etwas teureres Nachfolgemodell zum | |
> 9-Euro-Ticket. | |
Bild: Malerischer Ausblick und günstig obendrein: mit dem Bus durch die Uckerm… | |
taz: Herr Tabbert, Templin ist Vorreiter für kostengünstigen ÖPNV. Wie | |
funktioniert dieses Ticketsystem? | |
Detlef Tabbert: In Templin fährt man seit über zehn Jahren für 44 Euro im | |
Jahr, also für knapp 4 Euro im Monat. Und diese Größenordnung hat sich | |
bewährt. Das Angebot nutzen viele Bürger. Wir haben eine übertragbare | |
Plastikkarte, die für das ganze Jahr gilt. Man hat also wenig Aufwand und | |
viele Vorteile. | |
Welche Vorteile sind das genau? | |
Es gibt soziale Vorteile, weil auch Ärmere dieses Angebot nutzen können. | |
Außerdem beobachten wir verkehrssicherheitstechnische Vorteile. Es gibt | |
auch einen Vorteil, was die Ökonomie angeht. Der Verkehrsbetrieb stellt | |
monatlich nämlich nur eine Rechnung an die Stadt. Man spart sich dadurch | |
eine Menge bürokratischen Aufwand. | |
Also ist Ihr Konzept ein Erfolg? | |
Es ist ein Erfolgsmodell und wir sind stolz darauf. Alleine die lange | |
Laufzeit zeigt das schon. Die Stadtverordneten und auch die Bürger haben | |
dieses Konzept begleitet. Die Stadt hat jedes Jahr Geld dazugegeben. Wir | |
sind die einzige Stadt in Europa, die seit 25 Jahren durchgehalten hat. Ich | |
hoffe, dass wir dieses Ticketsystem auch die nächsten 25 Jahre anbieten | |
können. | |
Was ist vor 25 Jahren passiert? | |
1997 wurde der Nahverkehr von gerade einmal 30.000 Menschen im Jahr | |
genutzt. Deswegen stellte sich die Frage, ob man den Stadtverkehr einstellt | |
oder ob man etwas gänzlich Neues probiert. | |
Das heißt, eine Krise hat letztlich zu der Veränderung geführt? | |
Ja, die Überlegung war, die Öffentlichen attraktiver zu machen, um die | |
Fahrgastzahlen zu erhöhen. Wir haben zunächst ein Gratisticket angeboten. | |
Zunächst? | |
Es wurde damals viel diskutiert. Das Gratisticket bestand über 4 Jahre. | |
Dann hat man, ähnlich wie jetzt bei dem 9-Euro Ticket, gemerkt: (Fast) | |
Umsonst ist manchmal umsonst. Wir erlebten dann einen massiven Anstieg der | |
Fahrgastzahlen auf bis zu eine halbe Million in unserem Stadtverkehr und | |
davon war die Hälfte „Spaßverkehr“. Die Busse waren krachend voll, die | |
Qualität litt. Und zum anderen war die finanzielle Belastung für die Stadt | |
entsprechend groß. | |
Wie viel Geld muss die Stadt aufwenden, um einen solchen Tarif anbieten zu | |
können? | |
Im Templiner Haushalt stehen im 200.000 Euro für unseren Nahverkehr zur | |
Verfügung. | |
Und dann? | |
Daraufhin hat man nachgesteuert. Es wurde ein sozialer Tarif zum Laufen | |
gebracht, in dem Fall ein Jahresticket für 44 Euro. Wer dieses Geld | |
ausgibt, der will auch Busfahren und will den ÖPNV nutzen. Seit 15 Jahren | |
haben wir kontinuierlich zwischen 190.000 und 240.000 Fahrgäste im | |
Stadtverkehr. Andere Städte in der Größenordnung wie Templin, also zwischen | |
16.000 und 20.000 Einwohner, haben um die 30.000 Fahrgäste. Genau wie wir | |
vor 25 Jahren. | |
Das 9-Euro Ticket wurde deutschlandweit für einen begrenzten Zeitraum zur | |
Entlastung der Bürger eingeführt. Nun wird über eine Nachfolge diskutiert. | |
Wie stehen Sie dazu? | |
Traut euch! Es ist ein langfristiger Prozess. Wir haben unseren Nahverkehr | |
immer wieder angepasst, weiterentwickelt und ausgebaut. Wenn ich jetzt die | |
Diskussion höre, graust es mir. Man kann ein System auch totreden. Im | |
Endeffekt spart man durch ein einfaches Ticketsystem enorm. Man spart eine | |
Menge Bürokratie, man kann die Zahlen klar greifen und für den Bürger ist | |
es unkompliziert und sozial. | |
Was könnte Berlin von Templin lernen? | |
Wenn ich entscheiden könnte, würde ich mit einem vernünftigen Ticketpreis | |
starten; etwa 199 Euro für Berlin und Brandenburg oder 365 Euro für den | |
ÖPNV im gesamten Bundesgebiet. Wichtig ist, dass man es transparent und | |
smart gestaltet, sodass jeder damit klarkommt. | |
Worin sehen Sie denn vor allem die Vorteile von günstigem Nahverkehr? | |
Man spart Kosten für Straßenbau, für Parkplätze und nebenbei leistet man | |
einen riesen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Jedes Auto, was nicht fährt, | |
kann keinen Unfall bauen. Wenn man einen Tarif ansetzt, der überschaubar | |
ist, dann weiß man auch, wie viel Verkehr wirklich notwendig ist. Zum 1. | |
Januar könnte es beispielsweise ein neues Tarifsystem geben, das sich auch | |
ärmere Menschen leisten können. Aber kein Nulltarif! Das erzeugt | |
Zusatzverkehr, der nicht nötig ist. Das 9-Euro-Ticket im Bund ist fast die | |
Eins-zu-eins-Blaupause für das, was in Templin Ende der 90er-Jahre passiert | |
ist. Leider sitzen die Bedenkenträger zu sehr am Ruder. | |
Gibt es Zukunftspläne für den Stadtverkehr? | |
Wir wollen binnen zwei Jahren klimaneutral werden. Dafür bekommt unsere | |
Busflotte einen Elektroantrieb. Außerdem soll Templin Standort für eine | |
Wasserstofftankstelle werden. | |
11 Aug 2022 | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
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