| # taz.de -- Buch über Muslimbrüderschaft: Der Dschihad ist ihr Weg | |
| > Vordenker des Islamismus: Gudrun Krämer legt eine Biografie des Gründers | |
| > der Muslimbruderschaft Hasan al-Banna vor. | |
| Bild: April 2015 – Hebron, Westjordanland: Palästinensische Hamas-Unterstüt… | |
| Die [1][Muslimbruderschaft] gilt als älteste und einflussreichste | |
| sunnitische, islamistische Bewegung. Weltweit ist sie in unterschiedlicher | |
| Ausprägung vertreten: im Gazastreifen etwa in Form der Hamas, in der Türkei | |
| hat sie großen Einfluss auf die Regierungspartei AKP und laut | |
| Verfassungsschutzbericht ist der Verein Deutsche Muslimische Gemeinschaft | |
| (DMG, bis 2018: IGD) die zentrale Organisation der [2][Muslimbruderschaft] | |
| in Deutschland. | |
| Ihr gehe es um eine „langfristige Strategie […] zur Durchdringung der | |
| Gesellschaft und zur perspektivischen Errichtung eines auf der Scharia | |
| basierenden gesellschaftlichen und politischen Systems“. Aktuell umfasse | |
| das hiesige „Personenpotenzial“ der Muslimbruderschaft, die neben einer | |
| Reihe weiterer islamistischer Akteure agiert, 1.450 Personen. | |
| Gegründet wurde die Muslimbruderschaft 1928 in Ägypten. Seitdem hat sie | |
| nicht nur die politischen, religiösen und sozialen Entwicklungen im | |
| gesamten Nahen Osten stark mitbestimmt. Wie der Politikwissenschaftler | |
| Lorenzo Vidino in seinen Arbeiten ausführlich darlegt, hat sie als „gut | |
| organisierte Minderheit“ auch die Gesellschaften und muslimischen | |
| Communitys in Europa und den USA beeinflusst. | |
| Ihre Sicht des Islams als umfassendes System, das alle Aspekte des privaten | |
| und öffentlichen Lebens regelt, ist nach wie vor Inspirationsquelle für | |
| Generationen von Islamisten – sowohl legalistischer wie auch | |
| dschihadistischer Provenienz. Noch heute, fast hundert Jahre später, ist | |
| die Muslimbruderschaft stark von der Ideologie ihres Gründers Hasan | |
| al-Banna (1906–1949) geprägt. Eine umfassende Biografie von al-Banna hat | |
| nun Gudrun Krämer vorgelegt. | |
| Darin nimmt die Islamwissenschaftlerin nicht nur die Vita des | |
| „Architekt(en) und Baumeister(s) des Islamismus“ in den Blick. Krämer füh… | |
| zudem ein in die ideengeschichtlichen Grundlagen, das soziale Umfeld und | |
| den politischen Kontext der Muslimbruderschaft bis zur Ermordung al-Bannas | |
| und porträtiert ihre Mitstreiter wie auch einige ihrer Gegner. Die | |
| weltweite Rezeption von al-Bannas Ansatz oder die Geschichte der | |
| Muslimbrüder außerhalb Ägyptens sind indes nicht Gegenstand der Studie. | |
| Al-Banna schuf mit der islamistischen Bruderschaft eine in Koran, Sunna und | |
| der vorbildlichen Praxis der frühen Muslime verankerte antikoloniale, | |
| antiliberale und antisäkulare Massenbewegung mit Hunderttausenden | |
| Anhängern. Sein „Projekt islamischer Erneuerung“ war zudem beeinflusst vom | |
| zeitgenössischen ägyptischen Nationalismus, der arabischen Renaissance und | |
| islamischen Reformbewegung in der Region, von staatlicher | |
| Modernisierungpolitik, von Sufismus, Sportbewegung und vom Pfadfindertum. | |
| Sogar Musik und Gesang, Dichtung und Theater galten al-Banna und seinen | |
| Mitstreitern als Ausdrucksformen islamischer Frömmigkeit sowie als Medien | |
| der islamischen Mission, der Da’wa. | |
| Dies alles behandelt Krämer in ihrer knapp 400-seitigen Studie zum Teil | |
| sehr detailliert. Zwar hätte es dem Buch streckenweise gutgetan, | |
| konkreteren Fragestellungen nachzugehen, insgesamt aber liest sich Krämers | |
| Biografie ausgesprochen instruktiv. Das Buch lädt zudem ein zum | |
| Nachschlagen, Nachforschen und zum Weiterdenken. Immer wieder macht Krämer | |
| deutlich, wie prekär die Quellenlage zu den ägyptischen Muslimbrüdern | |
| aktuell teilweise ist. | |
| ## Die „Muslimschwestern“ | |
| Besonders interessant sind die Abschnitte zum Thema Geschlecht. Darin geht | |
| es um das Selbstverständnis der „Muslimschwestern“, deren institutionelle | |
| Anbindung und Funktion sowie al-Bannas eigenen Geschlechtervorstellungen, | |
| wie er sie privat und öffentlich vertrat. | |
| Spezifische Konzeptionen von Geschlecht fanden zudem Eingang in die von der | |
| Muslimbruderschaft postulierte Sport- und Körperkultur, in die | |
| pfadfinderähnliche Muslimbruderjugend sowie in ihren Kampf gegen „westliche | |
| Unmoral“. In zwei biografischen Kurzporträts von Aktivistinnen der 1940er | |
| Jahre schildert Krämer deren Weg zu den Muslimschwestern mitsamt der von | |
| ihnen rückblickend erzählten Erweckungserlebnisse. | |
| Auch das ambivalente Verhältnis zur koptischen Minderheit und der | |
| Antisemitismus al-Bannas und seiner Bewegung sind Gegenstand des Buchs. | |
| Dieser richtete sich nicht nur gegen die damals noch zu Zehntausenden in | |
| Ägypten lebenden Jüdinnen und Juden. Auch im Krieg gegen den im Entstehen | |
| begriffenen Staat Israel waren muslimbruderschaftliche | |
| Freiwilligenbataillone Teil der arabischen Allianz. Bereits im Kontext des | |
| arabischen Aufstandes 1936–39 hatte al-Banna den Dschihad explizit auch als | |
| bewaffneten Kampf verstanden. | |
| Noch heute lautet das Credo der Muslimbrüder unverändert: „Gott ist unser | |
| Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der | |
| Dschihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch.“ Mit | |
| Gudrun Krämers Buch lässt sich dieser programmatische, vielfach | |
| aufgegriffene Slogan historisch einordnen in al-Bannas Werdegang und in die | |
| Frühgeschichte der Muslimbruderschaft in Ägypten. | |
| 26 Mar 2022 | |
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| Till Schmidt | |
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