# taz.de -- Politischer Islam in Deutschland: Sie machen Stress | |
> Die Autorin und Islamforscherin Susanne Schröter analysiert, wie die | |
> Akteure des politischen Islams hierzulande an Einfluss gewinnen. | |
Bild: Susanne Schröter leitet das Forschungszentrum Globaler Islam an der Goet… | |
Die Ethnologin und Islamforscherin Susanne Schröter zählt zu den | |
profiliertesten Wissenschafterlerinnen hierzulande, die die | |
patriarchalischen Strukturen in islamischen Gesellschaften präzise benennt | |
und scharf kritisiert. In ihrem neuen Buch, „Politischer Islam – Stresstest | |
für Deutschland“, setzt sich Schröter, die seit 2008 das Forschungszentrum | |
Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität leitet, mit dem | |
islamischen Fundamentalismus in Deutschland auseinander. Ihre These: Der | |
politische Islam breitet sich nicht nur in arabischen Ländern aus, sondern | |
auch immer mehr in Deutschland. | |
Schröter informiert in ihrem Buch kenntnisreich über Organisationen und | |
Akteure des politischen Islams in Deutschland. Geforscht wird vor Ort zu | |
den Veränderungen, auch zu denen, die sich in der Alltagsrealität der | |
Menschen widerspiegeln. So hat die Autorin im Zuge ihrer Recherchen | |
bemerkt, dass die muslimische Schülerschaft sich zunehmend religiös zeige, | |
immer mehr Kinder an Schulen in Deutschland fasteten zum Beispiel während | |
des Ramadan. | |
Zugleich verharmlosten Politik und Kirchen die Organisationen des | |
politischen Islams, werteten sie sogar auf, indem sie aktiv mit ihnen | |
zusammenarbeiteten. „Insbesondere durch Bildungskooperationen sowie durch | |
ihre Aufnahme in politische und universitäre Gremien gewinnen sie permanent | |
an Einfluss“, schreibt Schröter. | |
## Behauptung der moralischen Überlegenheit | |
Hinzu komme die Distanz vieler Muslime zu Deutschland, die sich in | |
Jubelveranstaltungen für Erdoğan, Bekenntnissen zur Scharia oder dem | |
Einfordern von Sonderrechten äußere. Vertreter des politischen Islams | |
predigten derweil die moralische Überlegenheit des Islams, sie hetzten | |
gegen Christen, Juden und Jesiden, aber auch gegen liberale und säkulare | |
Muslime. Sie machten eben Stress. | |
Dabei legt Schröter Wert darauf, dass sie dezidiert vom politischen Islam | |
spreche, nicht von der Religion. Kürzlich sagte sie im taz-Interview: „Ich | |
kritisiere Totalitarismus, egal woher er kommt, egal in welcher Verkleidung | |
er auftritt. Mein Spezialgebiet ist der islamische Totalitarismus, der | |
politische Islam. Nicht die Religion. Mir geht es nicht um den Islam, der | |
sehr unterschiedliche Facetten aufweist, sondern um eine politische | |
Strömung, die ich für äußerst gefährlich halte. Die nicht nur nach außen | |
gegen Nichtmuslime oder liberale Muslime, sondern auch nach innen und vor | |
allem gegenüber Frauen und Mädchen extrem repressiv ist.“ | |
Schröters vernichtende Kritik am politischen Islam mündet aber auch im dem | |
Buch in ein Plädoyer für die Wahrnehmung der Vielfalt muslimischer | |
Lebensformen und Akteure: „Es gibt konservative und liberale Muslime, | |
rückwärtsgewandte Fundamentalisten und progressive Erneuerer, | |
patriarchalische Hardliner und aufmüpfige Feministinnen.“ | |
Daneben aber belegt die Autorin das Erstarken islamistisch ausgerichteter | |
Organisationen in Deutschland, insbesondere der Muslimbruderschaft sowie | |
der von der Türkei und dem Iran gelenkten Verbände. Ihr Leitbild sei die | |
islamische Gesetzgebung, die Scharia. Die Neutralität des Staates werde | |
dabei ebenso angegriffen wie der gemeinsame Unterricht von Jungen und | |
Mädchen. | |
## Problematische Partner bei Integrationsprojekten | |
Schröters Forderung: Der politische Dialog und die Integrationsbemühungen | |
hierzulande dürften sich nicht auf die muslimischen Dachverbände | |
fokussieren. Säkulare und liberale Muslime müssten trotz organisatorischer | |
Schwierigkeiten einbezogen werden. Schröter zeigt an zahlreichen | |
Beispielen, dass der Staat für Integrationsprojekte mit problematischen | |
Organisationen zusammenarbeite. | |
Und sie zeigt, dass die Akteure des politischen Islams öffentliche | |
Bemühungen, moderateren Formen des Islams zum Durchbruch zu verhelfen, | |
gekonnt unterliefen. Beispielsweise wurde ein Modellversuch für islamische | |
Theologie an der Universität Osnabrück acht Jahre lang staatlich | |
unterstützt, aber die islamischen Verbände zeigten kein Interesse, die dort | |
Ausgebildeten einzustellen | |
Schröter hat eine klare Position: Der politische Islam ist ein Gegenentwurf | |
zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten, vor allem | |
der Frauen. Schade nur, dass die Forscherin mit ihren ihrer gründlichen | |
Bestandsaufnahme in den Untiefen islamischer Verbände immer wieder als | |
antimuslimisch gebrandmarkt und als Rassistin verunglimpft wird. | |
9 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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