| # taz.de -- Buch über Kunstfälschungen: Grotesker Aufwand | |
| > In seinem Buch „Kunstfälschung“ beschreibt Hubertus Butin das komplexe | |
| > Zusammenspiel, das den Betrugsversuch erst attraktiv macht. | |
| Bild: Wolfgang Beltracchi 2017 mit seinem Gemälde „Gruppenbild der blauen Re… | |
| 300 gefälschte Bilder und Zeichnungen, ein Betrugsgewinn von rund 50 | |
| Millionen Euro und eine Haftstrafe von sechs Jahren. Ein Spur Titanweiß | |
| brachte vor genau zehn Jahren den [1][Maler Wolfgang Beltracchi] zu Fall. | |
| Jahrelang hatte der Künstler Werke der Klassischen Moderne wie solche von | |
| Max Ernst gefälscht und zu Fantasiesummen verkauft. Bis ihm Forscher auf | |
| die Schliche kamen. Seine Enttarnung galt als der größte | |
| Kunstfälscher-Skandal aller Zeiten. | |
| Der Fall Beltracchi ist nicht der einzige haarsträubende Fall, der in | |
| Hubertus Butins Buch über Kunstfälschungen vorkommt. Aber der Berliner | |
| Kunsthistoriker will mit seinem Buch über ein schillerndes Phänomen nicht | |
| noch ein „Best-of“ besonders aufsehenerregender Fälle vorlegen. | |
| Butin, Jahrgang 1964, viele Jahre enger Mitarbeiter der Malerlegende | |
| Gerhard Richter, will vielmehr die „systemischen Bedingungen“ eines | |
| Verbrechens freilegen, das bevorzugt Stoff für die Yellow Press bietet. | |
| Fälschungen sind für ihn zwar individuelle Akte. Vor allem sieht er sie | |
| aber als Ausdruck „gesellschaftlicher Strukturen und Interessen“. Dass zu | |
| diesen Strukturen Gewinnsucht und Geltungsbedürfnis zählen, verwundert | |
| nicht. Selbst ein Pionier der Moderne wie Fernand Léger kopierte, weil er | |
| zu Beginn seiner Karriere am Hungertuch nagte, für eine Pariser | |
| Fälscherwerkstatt 30 Gemälde seines Landsmannes Camille Corot. | |
| ## Kunst als Statussymbol | |
| Die wichtigste Strukturbedingung für die immense Zunahme von Fälschungen | |
| sind für Butin freilich der gestiegene gesellschaftliche Stellenwert der | |
| Kunst sowie die „Ökonomisierung des Sammlerverhaltens“ in einem | |
| globalisierten Kunstmarkt. Weil Kunst, so Butins plausible These, zum | |
| prioritären Statussymbol, einer Art Ersatzwährung und zur globalen | |
| strategischen Geldanlage wird, lohnt sich der mitunter groteske Aufwand, | |
| den Fälscher betreiben. | |
| Umso fahrlässiger ist es, dass bei vielen Käufen auch heute noch die drei, | |
| für Butin zentralen Grundregeln außer Acht gelassen werden: | |
| Provenienzrecherche, Laboranalysen und die skrupulöse Stilkritik. Im Falle | |
| von Beltracchis Max-Ernst-Fälschungen verließen sich die Beteiligten auf | |
| das Kopfnicken einer unhinterfragten Autorität, des Pariser | |
| Kunsthistorikers Werner Spies. | |
| Es wäre schön gewesen, Butin hätte sich etwas mehr auf die postmoderne | |
| Debatte um Original und Fälschung eingelassen. Wie fließend die Grenzen | |
| zwischen Kopieren, Reproduzieren und Restaurieren sind, schildert er ja | |
| ausführlich. Aber er hat natürlich recht: Kopisten, die in „betrügerischer | |
| Absicht“ Werke fälschen, die „vom Künstler selbst geschaffen“ wurden, | |
| begehen das, was Juristen „Identfälschungen“, „Täuschungshandlungen“ … | |
| „Urkundenfälschung“ nennen. | |
| Das unterscheidet eine Künstlerin wie Sherrie Levine von einem Wolfgang | |
| Beltracchi. Bei den Adaptionen, die die US-Künstlerin einst von Werken des | |
| amerikanischen Fotografen Walker Evans schuf, um den Originalkult zu | |
| kritisieren, war ihr „Betrug“ immer zu erkennen. Beltracchi dagegen klebte | |
| erfundene Aufkleber der Pariser Galerie Flechtheim auf seine Keilrahmen, um | |
| Auktionshäuser hinters Licht zu führen. | |
| ## Notwendige Warnung | |
| Butin schreibt in seinem materialreichen, flüssig lesbaren Werk keine | |
| Kriminalgeschichte der Kunstfälschung. So wie er das komplexe Zusammenspiel | |
| von Sammlern, Medien, Händlern, Museen und Spekulanten analysiert, liefert | |
| er im Grunde eine Art Querschnittsanalyse des Kunstsystems. Auch wenn er | |
| diesen Aspekt nicht erwähnt: Angesichts der verschärften | |
| Urheberrechtsdebatte kommt seine Warnung, dass mit Werken à la Beltracchi | |
| nicht nur das „Œuvre eines Künstlers verzerrt“, sondern auch die | |
| Kunstgeschichtsschreibung „verfälscht“ wird, zur rechten Zeit. | |
| Seiner Forderung, gefälschte Werke lebender Künstler „aus dem Verkehr“ zu | |
| ziehen, kann man sich ebenso anschließen wie der, eine öffentlich | |
| zugängliche Datenbank von Fälschungen zu schaffen. Die „Datenbank | |
| kritischer Werke“ des Bundesverbands deutscher Kunstversteigerer ist nur | |
| für dessen Mitglieder einsehbar. Wenigstens in dieser Ahnengalerie dürfte | |
| Wolfgang Beltracchi dann den Platz für die Nachwelt finden, der ihm | |
| wirklich gebührt. | |
| 21 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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