# taz.de -- Bremer „Arisierungs“-Mahnmal: Beirat beschließt Standort | |
> Der Beirat Mitte will das „Arisierungs“-Mahnmal am Tiefer bauen – da, wo | |
> auch die Künstler:in und die jüdische Gemeinde den richtigen Ort dafür | |
> sehen. | |
Bild: Eingebettet in die Treppennische an der Kaisen-Brücke: Skizze des Bremer… | |
BREMEN taz | Das Bremer „Arisierungs“-Mahnmal soll am Tiefer gebaut werden. | |
Das hat der Bauausschuss des Beirats Mitte in seiner letzten Sitzung vor | |
der Sommerpause beschlossen. Da der Beschluss einstimmig erfolgte (bei | |
einer Enthaltung von der FDP), ist er für den Gesamtbeirat bindend – dem | |
laut Ortgesetz wiederum die Standortwahl für Kunstwerke im öffentlichen | |
Raum zusteht. | |
Weniger förmlich ausgedrückt: Die entscheidende Voraussetzung für eine | |
adäquate Verwirklichung des seit 2016 geplanten Erinnerungsortes ist nun | |
geschaffen. Er soll die komplette Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung | |
Europas thematisieren, an der Bremen als Hafen- und Logistikstadt | |
besonderen Anteil hatte. | |
Grundlage für den Beschluss ist ein vom Kulturressort beauftragtes | |
Gutachten. Es vergleicht den Standort am Tiefer (zwischen Kaisen-Brücke und | |
Weserarkaden) mit den bisherigenen Plänen, das Mahnmal an der Schlachte zu | |
bauen. Als Ergebnis einer langen, nächtlichen Koalitionssitzung der | |
damaligen Regierung Sieling sollte es dort mitten in die Sitzstufen gebaut | |
werden. | |
Der Beirat hat sich nun für die unauffälligere, aber – und deswegen! – | |
ästhetisch viel besser funktionierende Variante entschieden. Denn während | |
an der Schlachte umfangreich umgebaut werden müsste, kann am Tiefer eine | |
breite, vor der Hochwasserschutzwand gelegene Treppen-Nische genutzt | |
werden. | |
Das Konzept „Leerstellen und Geschichtslücken“ von Evin Oettingshausen, das | |
die externe Fachjury eines Ideenwettbewerb der taz 2016 als besten Entwurf | |
auswählte, bezieht seine Eindringlichkeit aus seiner „Introvertiertheit“: | |
Aus der Ferne gar nicht wahrnehmbar, gräbt es sich mit zwei rechtwinkligen | |
Sichtachsen in den Boden. Wer, oben am Tiefer, über eine ebenerdige | |
Glasplatte „stolpert“, nimmt zunächst nur einen tiefen, leeren Schacht wahr | |
– als Ausdruck einer Geschichtslücke, im Sinne stets verdrängter | |
„Arisierungs“-Gewinne. | |
Wer oben also in die Lücke, den „Vergessens-Schacht“ guckt, sieht unten | |
seitliches Licht einfallen. Und wer daraufhin die Treppen nach unten geht, | |
zur Uferpromenade, sieht wiederum einen leeren Raum. An dessen Wänden sind | |
jedoch die Schattenrisse von Möbeln und anderen geraubten Einrichtungen zu | |
ahnen: Ein Sinnbild für die Auslöschung der Lebensräume und -spuren der | |
Deportierten, zugleich ein Verweis auf die Totalität der „Verwertung“ ihres | |
Eigentums, das restlos in den Besitz nicht-jüdischer Deutscher überging – | |
und dort noch immer als meist unhinterfragte „Erbmasse“ existiert. | |
Dieter Graumann setzte sich in seiner Zeit als Präsident des Zentralrats | |
der Juden in Deutschland wiederholt dafür ein, den Holocaust auch als | |
„größten Raubmord der Geschichte zu begreifen“. Wie stark die unzähligen | |
Profitgelegenheiten zu Komplizenschaft und Zustimmung zum NS-Regime | |
beitrugen, rückt nun auch vermehrt in den Fokus der Geschichtswissenschaft. | |
Das ästhetische Konzept des Mahnmals, sein sinnliches Funktionieren, | |
basiert technisch auf einer ausreichenden Geländehöhe, auf dem Nutzen der | |
Uferkante. An der Schlachte wären 3,15 Meter herstellbar, am Tiefer ist die | |
doppelte Höhe bereits vorhanden. | |
Ebenso wichtig wie die deutlich höhere Wirksamkeit des Mahnmals sind die | |
Einwände der jüdischen Gemeinde gegen den Schlachte-Standort: Wegen des | |
dortigen Trubels, der Märkte und vor allem auch der erwartbaren breiten | |
Verärgerung, wenn ein erheblicher Teil der beliebten Stufen umgebaut würde. | |
Aus diesen Gründen hatten sich die Gemeinde und Evin Oettingshausen | |
gemeinsam mit dem Autor vor gut zwei Jahren öffentlich für eine Prüfung des | |
Tiefer-Standorts ausgesprochen, nachdem wiederholte interne Hinweise auf | |
die großen Qualitätsunterschiede keine ausreichende Resonanz fanden. | |
Hintergrund war die politisch hochkomplizierte Kompromissfindung, die zur | |
Entscheidung pro Schlachte geführt hatte. Diesen anstrengenden | |
Entscheidungsprozess nochmal zu starten, und damit das Gesamtprojekt | |
möglicherweise wieder infrage zu stellen, mochte sich zunächst kaum jemand | |
vorstellen. Umso begrüßenswerter ist es, dass es nun doch möglich war. | |
Bereits in der letzten Sitzung der Kultur-Deputation zeichnete sich, auch | |
seitens der Opposition, breite Zustimmung für den Tiefer ab. Bürgermeister | |
Andreas Bovenschulte fasste (als Kultursenator sprechend) seine | |
Einschätzung so zusammen: „Künstlerisch überzeugender, aus Sicht der | |
jüdischen Gemeinde geeigneter, und auch noch günstiger.“ | |
Das beauftragte Architektur- und Ingenieurbüro Kreikenbaum + Heinemann | |
beziffert die Netto-Baukosten für die Schlachte mit 590.000 Euro (wozu die | |
Verlegung einer Toilettenanlage zu addieren wäre), für den Tiefer nur mit | |
440.000 Euro. Nun also müssen die nächsten Umsetzungsschritte in Angriff | |
genommen worden. | |
21 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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