| # taz.de -- Brandanschlag wegen Regenbogenflagge: „Ich bin fassungslos“ | |
| > In der hannoverschen Nordstadt gab es einen queerfeindlichen | |
| > Brandanschlag. Die Solidarität in der Nachbarschaft ist groß. Der | |
| > Staatsschutz ermittelt. | |
| Bild: Von der Tat geschockt: Lukas Schmidt (Name geändert) wurde geweckt, weil… | |
| Hannover taz | Die Nordstadt von Hannover gilt als alternativ, weltoffen | |
| und solidarisch. Graffiti verschönern den Kiez, Banner hängen an vielen | |
| Häusern und die Wände sind mit politischen Plakaten gepflastert. Queere | |
| Menschen und alle, die sich nicht der heteronormativen | |
| Mehrheitsgesellschaft beugen wollen, haben mit dem Andersraum seit 2012 | |
| einen Platz geschaffen, um sich zu organisieren. Mit dem Queerpunkt | |
| eröffnete in der Kornstraße im Oktober ein weiteres queeres Wohnzimmer. Nun | |
| kam es mitten im Zentrum der Nordstadt zu einem queerfeindlichen | |
| Brandanschlag. Mutmaßlicher Auslöser: eine Regenbogenflagge im Fenster. | |
| Am Samstagmorgen vor zwei Wochen, am 13. März, wurde Lukas Schmidt (Name | |
| geändert) von einer Nachricht der Nachbar*innen geweckt. Deren Hund | |
| hatte Alarm geschlagen. Das Treppenhaus des Mehrfamilienhauses, in dem | |
| Schmidt wohnt, war voller Qualm und ein intensiver Gestank lag in der Luft. | |
| Die Fußmatte stand in Flammen. An der Haustür war ein Zettel mit | |
| queerfeindlichen Inhalten in Runenschrift geklebt. | |
| Die Nachbar*innen löschten das Feuer und alarmierten die Polizei. Die | |
| Polizei bestätigt, dass der Fall erfasst sei und nun wegen | |
| Sachbeschädigung, Beleidigung und dem Verwenden verfassungsfeindlicher | |
| Symbole ermittelt wird. | |
| Bislang gibt es kein*e Tatverdächtige*n. Zuständig für weitere Schritte | |
| ist der für politisch motivierte Kriminalität zuständige Staatsschutz. Von | |
| einer Pressemitteilung oder einen Zeug*innenaufruf sah die Polizei ab. | |
| Grund hierfür sei, dass Täter*innen nicht bestätigt und | |
| Nachahmer*innen nicht angestiftet werden sollten. | |
| „Ich bin fassungslos über die Situation“, sagt Lukas Schmidt. Sie*er | |
| studiert Psychologie und arbeitet für ein großes Logistikunternehmen. | |
| Irgendein Queer-Hasser meine hier, ein Zeichen setzen zu müssen, sagt | |
| sie*er. Wie Lukas Schmidt zum Ziel wurde, ist unklar. Die einzige Idee: | |
| Eigentlich hängt in Schmidts Fenster immer eine Regenbogenflagge – die sei | |
| allerdings wegen des Wetters zum Waschen in den vergangenen Wochen | |
| eingeholt gewesen. | |
| Die Menschen in Schmidts Umfeld, erzählt sie*er, seien weltoffen und | |
| tolerant, weswegen unbekannte Täter*innen am wahrscheinlichsten | |
| scheinen. Schmidt vermutet, es könnten Rechte hinter dem Angriff stecken. | |
| Wenige Tage vor dem Brandanschlag hatte zum ersten Mal Infomaterial der AfD | |
| vor der Tür gelegen. Das könnte Zufall sein, aber ein Zusammenhang sei auch | |
| nicht auszuschließen, sagt Schmidt. | |
| Dass vermutlich Planung hinter der Tat stecke, verunsichere sie*ihn, gerade | |
| nach Einbruch der Dunkelheit oder spät nachts. Auf dem Heimweg von der | |
| Arbeit hat Lukas Schmidt manchmal ein mulmiges Gefühl. Telefonate mit | |
| Freund*innen und ein Pfefferspray für die Notwehr bieten ein wenig | |
| Sicherheit. | |
| Von dem Brandanschlag will Schmidt sich trotzdem nicht einschüchtern | |
| lassen. „Ich bin nicht gewillt, darauf zu verzichten, zu zeigen, wer ich | |
| bin.“ Sich zu verstecken nach so einer Tat, führe nur dazu, dass der Hass | |
| zunehme. Es helfe nur, gemeinsam Stärke zu zeigen und Solidarität. Der | |
| Rückhalt durch die Nachbar*innschaft sei groß, die Hausgemeinschaft | |
| nehme die Ereignisse als einen Angriff auf die gesamte Gesellschaft wahr. | |
| Nach einem Post in der „Nordstadt Gruppe“ auf Facebook schrieben viele | |
| solidarische Nachrichten. An mehreren anderen Häusern hängen nun ebenfalls | |
| Regenbogenfahnen. | |
| Sehr gefreut hat Schmidt auch eine Aktion der Gruppe „Catcalls of | |
| Hannover“. Die Aktivist*innen malten mit Kreide einen Regenbogen auf | |
| den Gehweg vor dem Tatort, schrieben daneben: „Love is Love – | |
| #stopptqueerbelästigung #dienordstadtbleibtqueer.“ Die Sichtbarkeit der | |
| LGBTIQ+-Community sei wahnsinnig wichtig, sagt Lukas Schmidt dazu. Die | |
| Gesellschaft sei viel zu verfahren im Muff der 1950er-Jahre. | |
| Es ist nicht der erste queerfeindliche Übergriff in Hannover. Erst im | |
| vergangenen Juni besprühten Unbekannte die Fassade und Fenster des kurz | |
| zuvor eröffneten queeren Jugendzentrums Queer Unity in der Königsworther | |
| Straße. Im selben Zeitraum wurde das Haus des schwulen Kommunalpolitikers | |
| Florian Kusche (SPD) beschmiert. „Euer Hass ist unser Alltag, wir lassen | |
| uns nicht einschüchtern und auch nicht gegen andere Minderheiten | |
| ausspielen“, schrieben die Verantwortlichen von Queer Unity damals auf der | |
| Facebookseite des queeren Zentrums Andersraum. | |
| ## Die Nordstadt hält zusammen | |
| Die Abgeordnete Julia Willie Hamburg, Fraktionsvorsitzende der Grünen im | |
| niedersächsischen Landtag und Sprecherin für Queerpolitik, stellte 2019 | |
| eine Anfrage zu Bemühungen der Landesregierung, bei der Polizei | |
| Ansprechpartner*innen für queerfeindliche Übergriffe zu schaffen. Zwei | |
| Beamt*innen sind in Hannover für Fälle mit entsprechendem Hintergrund | |
| zuständig – aber nicht hauptamtlich. Nur etwa die Hälfte aller Fälle wurde | |
| in den Jahren 2011 bis 2018 aufgeklärt. Eine klare Zu- oder Abnahme der | |
| Taten ist nicht zu erkennen. In der kürzlich veröffentlichten | |
| Kriminalstatistik des vergangenen Jahres taucht das Themenfeld | |
| „Hasskriminalität – sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität“,… | |
| es im Behördendeutsch heißt, gar nicht erst gesondert auf. | |
| Lukas Schmidt will den unbekannten Tätern mit auf den Weg geben: In der | |
| Nordstadt habe Queerfeindlichkeit keine Chance. „Wir sind ein buntes, | |
| solidarisches und starkes Viertel.“ Die Gegend hier sei der erste Ort, an | |
| dem sie*er sich wirklich zu Hause fühle, das ändere auch der Brandanschlag | |
| nicht. Schließlich habe es sie*ihn noch am besten getroffen, sagt Schmidt. | |
| „Weil ich noch lieben kann und andere nur hassen können. Und ich kann | |
| lieben, wen ich will!“ | |
| 30 Mar 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Trammer | |
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