# taz.de -- Bienen in Berlin: Luftkampf um den Nektar | |
> Von Berlins Wildbienen, denen Millionen Honigbienen in der Stadt den | |
> Platz streitig machen, und noch vielen anderen Bienensorgen. | |
Bild: Berliner Bienenschwarm im Gegenlicht | |
BERLIN taz | Es gibt rund 2.000 Imker und Imkerinnen in Berlin, jede(r) | |
hält durchschnittlich 6,6 Bienenvölker, insgesamt also 13.200 Völker. Geht | |
man von nur 20.000 Tieren pro Volk aus, macht das bereits 264 Millionen | |
Bienen, die die hier wachsenden Blütenpflanzen aufsuchen, um sie zu | |
bestäuben und ihren Nektar einzusammeln. | |
Der am Naturkundemuseum arbeitende Entomologe Michael Ohl schreibt in | |
seinem Buch „Stachel und Staat. Eine leidenschaftliche Naturgeschichte von | |
Bienen, Wespen und Ameisen“ (2018), dass es in vielen Städten, unter | |
anderem auch in Berlin, zu viele Honigbienen gibt. Sie nehmen den | |
Wildbienen und Hummeln die wenigen Blütenpflanzen weg, was heißt, dass die | |
Beliebtheit der nützlichen Honigbienen die Artenvielfalt unter den Bienen | |
und Hummeln gefährdet. | |
Diese Meinung vertritt mit Nachdruck auch der Vorsitzende der | |
entomologischen Gesellschaft Orion Berlin, Jens Esser: „In den Nestern der | |
Wildbienen leben immer nur ein paar Dutzend, und die vielen Honigbienen | |
nehmen ihnen den Nektar in ihren sowieso bereits viel zu kleinen Revieren, | |
den wenigen Brachflächen, weg.“ Beide Insektenforscher sprechen sich ebenso | |
wie der Deutsche Imkerbund für eine Reduzierung der Bienenvölker in Berlin | |
aus. | |
Folgt man den Nachrichten, dann sind die Honigbienen in der Stadt ebenfalls | |
gefährdet. Anfang Juni teilte das Bezirksamt Neukölln mit, dass es einen | |
„Sperrbezirk für Bienenvölker in Britz“ angeordnet habe, weil an einem | |
Bienenstock im Nachbarbezirk Tempelhof-Schöneberg die bakterielle | |
Brutkrankheit „Amerikanische Faulbrut“, auch Bienenpest genannt, | |
festgestellt wurde. „Im Erkrankungsverlauf lösen sich die Larven auf und es | |
bleibt nur eine zähe, braune, schleimige Substanz in den Brutwaben übrig,“ | |
heißt es dazu auf Wikipedia. | |
## Bienenvolk im Sperrbezirk | |
Im Sperrbezirk müssen die Imker die Standorte sämtlicher Bienenvölker dem | |
Ordnungsamt melden. „Alle Bienenvölker und Bienenstände werden sofort | |
amtstierärztlich untersucht. Bienenstände dürfen nicht bewegt werden, und | |
es dürfen keine Tiere, Waben(teile), Honig, Futtervorräte oder Sonstiges | |
aus den Bienenständen entfernt werden. Ebenfalls dürfen vorerst keine neuen | |
Bienenstände in den Sperrbezirk gebracht werden.“ | |
Dennoch erkrankten Ende des Monats auch am anderen Ende Berlins, in | |
Spandau, Honigbienen an den Faulbrutbakterien. | |
Daneben tritt auch immer wieder die Varroamilbe auf, in den letzten Jahren | |
setzte sie den Bienenvölkern besonders zu, zumal sie auch noch das | |
Krüppelflügel-RNA-Virus übertrug. 2007 hatte sich die israelische | |
Start-up-Firma Beeologics gegründet, die diese beiden Bienenkrankheiten | |
mithilfe eines „RNA-Interferenzverfahrens“ bekämpfen wollte, aber 2011 | |
wurde die Firma von Monsanto aufgekauft. Der US-Giftkonzern kündigte zwar | |
an, die Beeologics-Arbeit fortzusetzen – aber es blieb bei der Ankündigung, | |
auch als der deutsche Chemiekonzern Bayer 2018 Monsanto aufkaufte. | |
Stattdessen entwickelte der dann ein Antiparasitikum, das auch gegen die | |
Varroamilbe helfen soll: Flumethrin, das sich auf einem Kunststoffstreifen | |
befindet, den man in das Flugloch des Bienenstocks klebt und den die Bienen | |
aufnehmen, wenn sie ihre Blütenpflanzen anfliegen. | |
„Flumethrin öffnet die Natriumkanäle der Nervenzellen in Parasiten und | |
führt zu einer Übererregung und schließlich zum Tod“, schreibt Wikipedia. | |
Da der Wirkstoff (mit dem Markennamen „Polyvar“) auch bei Säugetieren | |
eingesetzt wird – gegen Milben, Zecken und Insekten, darf man sich | |
allerdings fragen, ob er nicht ungewollt auch beim Insekt Honigbiene wirkt. | |
Und wie ist es mit dem Krüppelflügelvirus? Mikrobiologen der University of | |
Texas ist es jetzt laut Deutschlandfunk gelungen, die Abwehrkräfte der | |
Honigbienen zu stärken – „mit gentechnisch veränderten Darmbakterien“. … | |
RNA-Interferenzverfahren soll einzelne Gene ausschalten, um | |
Krüppelflügelviren und Milben zu bekämpfen. „Im Körper von Bienen existie… | |
RNA ausschließlich einsträngig. Viren dagegen speichern ihren Bauplan in | |
doppelsträngiger RNA. Findet das Immunsystem solche doppelsträngige RNA, | |
greift es an.“ | |
Der Bienenforscher an der Freien Universität Randolf Menzel mag dabei | |
jedoch laut MDR noch nicht von einem „Durchbruch im Kampf gegen | |
Varroamilben und Krüppelflügelvirus sprechen.“ Eine Laborstudie reiche dazu | |
nicht. Unklar seien auch noch die finanziellen Kosten. | |
Robert Paxton vom Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung | |
Halle-Jena-Leipzig hält den Ansatz der Texaner höchstens für eine „kurz- | |
bis mittelfristige Lösung“, denn kein Mensch könne vorhersagen, wann die | |
Viren und Milben Resistenzen entwickelten. Paxton und sein Forschungsteam | |
hatten 2014 festgestellt, dass „bestimmte typische Krankheiten von | |
Honigbienen sich auch bei wild lebenden Bienen und Hummeln nachweisen | |
lassen. Das bedeutet, dass eine Ursache für das zunehmende Sterben von | |
Wildbienen in Krankheiten liegen könnte, die von Honigbienen verbreitet | |
werden.“ | |
Die Honigbienen verdrängen also nicht nur die Wildbienen und Hummeln, | |
sondern infizieren sie höchstwahrscheinlich auch noch mit ihren | |
Krankheiten. Wahrscheinlich jedoch nicht mit der Nosemose: „die häufigste | |
Krankheit der erwachsenen Biene,“ wie es auf [1][die-honigmacher.de] heißt. | |
Sie tritt vor allem bei allzu langer Winterkälte, wie wir sie jetzt hatten, | |
auf. Allein im Winter 2016/17 starben in Berlin 31 Prozent der | |
Bienenvölker, wobei jedoch die Varroamilbe als „Hauptursache“ angesehen | |
wurde. | |
Die Nosemose ist eine Durchfallerkrankung (auch „Bienenruhr“ genannt), sie | |
wird von einem Einzeller namens „Nosema apis“ übertragen, den man zu den | |
Pilzen zählt. Neuerdings kommt noch eine asiatische Variante, „Nosema | |
ceranae“, hinzu, die noch gefährlicher ist. „Varroabehandlung und Fütteru… | |
können gegebenenfalls helfen. Gelingt eine Heilung nicht, sollte das Volk | |
abgetötet werden.“ | |
Der Bienenforscher Karl von Frisch, der 1973 für die Entdeckung der | |
„Farbwahrnehmung“ und der „Tanzsprache“ bei Bienen den Nobelpreis bekam, | |
wurde 1941 im nationalsozialistischen Deutschland als „Mischling zweiten | |
Grades“, „Vierteljude“, eingestuft und aus seinem Münchner Institut | |
entfernt. Zu der Zeit wütete aber „Nosema apis“ unter deutschen | |
Bienenvölkern, über deren Bekämpfung von Frisch 1927 publiziert hatte. | |
Deswegen setzte man ihn nach „Intervention eines hochrangigen Fürsprechers“ | |
als „Sonderbeauftragten“ ein, wie der Anthropologe Hugh Raffles in seiner | |
„Insektopädie“ (2013) schreibt. Das Ernährungsministerium verschob Frischs | |
„Entfernung aus dem akademischen Milieu ‚bis nach Kriegsende‘.“ | |
Bei dem „Fürsprecher“ handelte es sich um den Veterinär Bernhard Grzimek, | |
der seit 1933 als Unterabteilungsleiter im Landwirtschaftsministerium | |
arbeitete, wo er für „Eierüberwachung, Schlachtgeflügel und Bienenhaltung�… | |
zuständig war. Grzimek hatte dem Kultusministerium geschrieben, dass von | |
Frischs Bienenforschung extrem wichtig sei, „um die Honigerträge zu erhöhen | |
und die deutsche Ernährung zu verbessern“. | |
Karl von Frisch wurde daraufhin nicht nur weiterbeschäftigt, man erweiterte | |
auch „die Nosema-Aufgabe um den Forschungsauftrag, Bienen zu veranlassen, | |
um einer Rationalisierung der Bestäubung willen nur ökonomisch wertvolle | |
Pflanzen aufzusuchen. Jahrzehnte zuvor hatte von Frisch bereits mit | |
Duftorientierung experimentiert – indem er Bienen dressierte, auf einen | |
bestimmten Geruch anzusprechen, bevor er sie freiließ, damit sie die | |
entsprechende Blume aufsuchten –, doch es war ihm nicht gelungen, | |
kommerzielles Interesse dafür zu wecken.“ | |
Das änderte sich mit dem Krieg: „Diesmal, wachgerüttelt durch eine sich | |
abzeichnende Misere, nationale Begeisterung und Neuigkeiten über ein breit | |
angelegtes sowjetisches Forschungsprogramm ähnlichen Zuschnitts, drängte | |
sogar die Reichsfachgruppe Imker auf Unterstützung seiner Arbeit.“ | |
Neue amerikanische und französische Studien legen nahe, dass vor allem mit | |
Pestiziden belastete Honigbienen anfällig für Nosemose werden. Und dann | |
gibt es auch noch das sogenannte „Bienensterben“, bei der die Honigbienen | |
ausfliegen – und nicht zurückkommen. Sie hinterlassen eine Königin, | |
Drohnen, Larven, Eier und mit Honig gefüllte Waben. Das „Bienensterben“ | |
tritt vor allem bei den quasi industriell arbeitenden Großimkern in den USA | |
und in Australien auf, aber auch schon bei Imkern im Obstanbaugebiet Altes | |
Land und in Brandenburg. | |
In Berlin wirken vorerst zwei Besonderheiten dem „Bienensterben“ entgegen: | |
Es gibt nur viele kleine Imker und es stehen hier viele Straßenbäume, wobei | |
man sich bei der Baumauswahl nach dem Krieg von Karl Förster, Gärtner und | |
Imker aus Potsdam, beraten ließ, der gute Trachtbäume auswählte, deren | |
Blütezeiten unmittelbar aufeinanderfolgen. | |
Laut Nabu ist der „Hauptgrund für das Bienensterben wahrscheinlich der | |
Mensch.“ Dabei wirkten mehrere Faktoren zusammen: „Krankheitserreger, die | |
industrielle Landwirtschaft mit ihren Pestizideinsätzen und Monokulturen, | |
das Wegbrechen von Lebensräumen, Luftverschmutzung und Klimawandel.“ | |
Der Anthroposophie-Gründer Rudolf Steiner prophezeite 1923, dass die | |
Bienenzucht in achtzig oder hundert Jahren in eine große Krise geraten | |
werde. „Als Grund dafür sah er vor allem die künstlich gezüchteten | |
Königinnen. Heute findet mit diesen Bienen ein globaler Handel statt: | |
Königinnen aus aller Welt werden per Briefpost verschickt und an neuen | |
Standorten eingesetzt. | |
Was dabei einzig zählt, ist der Profit,“ schreibt die Naturforscherin Eva | |
Rosenfelder. | |
4 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.die-honigmacher.de/ | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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