# taz.de -- Beisetzung des Trikont-Verlegers: Freund, Anarchist, Utopist, Leuch… | |
> Achim Bergmann wird in München beigesetzt und feierlich verabschiedet. | |
> KünstlerInnen und Weggefährten erinnern sich an sein Wirken. | |
Bild: Achim Bergmann und Eva Meir-Holmes | |
Für einen Menschen spricht nicht nur, was er aufbaut und kontinuierlich | |
tut, sondern auch, was er abbricht. Achim Bergmann, der am Donnerstag | |
voriger Woche im Alter von 74 Jahren gestorben ist, hat nicht nur fünf | |
Jahrzehnte lang Bücher und Platten verlegt und vertrieben, sondern vorher | |
etwas getan, was mit seinem späteren Weg in unmittelbarem Zusammenhang | |
steht: Er hat 1965 eine bereits begonnene Offizierslaufbahn hingeschmissen. | |
Kaum vorzustellen, er hätte das tatsächlich weitergemacht. | |
Ob er bei der Musterung auch erzählt hat, was er der taz zum 50-jährigen | |
Trikont-Jubiläum im Herbst 2017 über eine seiner frühen musikalischen | |
Prägungen erzählte? Bergmann, Jahrgang 1943, rückblickend: „Schon 1956 lief | |
der Film ,Rock around the Clock' in der westfälischen Kleinstadt, aus der | |
ich komme. Man konnte die Musik in Körper und Seele fühlen. Danach saß ich | |
brav, aber unzufrieden in der Eisdiele, draußen gingen Halbstarke vorbei, | |
von denen ich wusste, dass sie vor Freude Kinosessel kaputt gehauen haben. | |
Wut und gleichzeitig überschäumende Freude haben mich geprägt.“ | |
Achim Bergmann ging Mitte der Sechziger zum Studium nach München, wurde | |
durch den Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 auf der Demonstration | |
gegen den Schahbesuch in Westberlin politisiert und stieß nach dem Attentat | |
auf Rudi Dutschke und einer Soli-Demo in Paris zu Trikont. | |
Nein, aus Bergmann wurde dann kein Offizier mehr, sondern „einer der | |
großzügigsten und inspirierendsten Anarchisten, die ich je kennen lernen | |
durfte“, erinnert sich der mit mehreren Platten auf Trikont vertretene | |
Hamburger Künstler Rocko Schamoni, ein „bayerischer Anarchist“ und das | |
„Herz des Trikont-Verlags“, wie es in Achim Bergmanns Traueranzeige heißt. | |
Ein „Grandseigneur und Leuchtturm“, sagt Markus Naegele, Verleger von Heyne | |
Hardcore, wo ebenfalls im vorigen Herbst Christof Meuelers und Franz | |
Doblers 470-Seiten-Kompendium mit dem treffenden Titel „Die Trikont-Story. | |
Musik, Krawall & andere schöne Künste“ erschienen ist. | |
Die Berliner Musikerin Bernadette La Hengst, seit ihrem Solodebütalbum | |
treue Trikont-Künstlerin, sagt, „wenn ich das Buch jetzt noch mal | |
durchblättere, bin ich ganz schön stolz, Teil dieses Labels zu sein. Und | |
merkwürdigerweise verbindet mich mit den meisten anderen Bands etwas. Und | |
die Verbindung kommt durch Achim Bergmanns und natürlich auch Eva | |
Mair-Holmes’ Leidenschaft für extreme Individualist*innen mit Sinn für Pop | |
und Humor. ‚Ortlose Musik für Utopist*innen‘, so schrieb ich mal über | |
Attwenger, und so könnte man es für Trikont allgemein formulieren.“ | |
## Apfelmost und Russendisko | |
Bei Trikont ist „der geistige Profit interessanter als der finanzielle“, | |
meint Markus Binder von eben Attwenger, jener oberösterreichischen | |
Zwei-Mann-Kapelle, die seit 1990 bei Trikont unter Vertrag steht und der zu | |
ihrem Einstand von Achim Bergmann eine besondere Kostprobe von | |
Künstlerbetreuung zuteil wurde. Das Attwenger-Debüt hieß „Most“. Markus | |
Binder: „Und Most ist ja Cider, dieses Apfelgebräu. Jedenfalls kamen wir | |
nach München zur Albumpräsentation, und Achim begrüßte uns mit reichlich | |
Most aus Eigenproduktion. Er hat das quasi materialmäßig dokumentiert. Das | |
war toll.“ Binder gebraucht, wenn er das Verhältnis zu Trikont beschreibt, | |
ein schönes Wort: Sehr „amical“, freundschaftlich, so sei es. | |
Singer-Songwriter Philipp Bradatsch, der im April auf Trikont sein | |
Solodebüt veröffentlichen wird und Mitmusiker von Eric Pfeil ist, sagt | |
nicht von ungefähr: „Man macht nicht bei, sondern mit Trikont ein Album.“ | |
Stark vereinfachend gesagt, lassen sich die mit Achim Bergmann entstandenen | |
500 Trikont-Werke in künstlerische Eigenproduktionen und in Kompilationen | |
zu diversen Stilistiken und Thematiken einteilen. Eines jüngeren Datums ist | |
der 2016 erschienene Sampler „Borsh Division – Future Sound Of Ukraine“, | |
zusammengestellt von Yuriy Gurzhy. Der aus Charkiw stammende, jetzt in | |
Berlin lebende Musiker, DJ und Radiomacher Gurzhy erinnert sich, wie er | |
nach seinem Trikont-Einstand, kurz nach der Jahrtausendwende, feststellte, | |
dass er bereits mehrere Alben des Labels in seiner Sammlung hatte, ohne sie | |
als solche wahrzunehmen. Dabei sollte es nicht bleiben. „Wir schicken dir | |
ein paar CDs“, meinten Bergmann und Mair-Holmes. „Es kam ein ganzer Karton, | |
und ich war sofort verliebt“, sagt Gurzhy. | |
Trikont, die übrigens auch Gurzhys und Wladimir Kaminers | |
„Russendisko“-Scheiben zur gleichnamigen Veranstaltungsreihe verlegten, | |
waren es dann auch, die Gurzhys Ukraine-Sampler machten, nachdem alle | |
anderen angefragten Labels allenfalls vage Spotify-Playlisten anboten. | |
„Achim war Feuer und Flamme“; Gurzhy ist nicht der Einzige, der den Begriff | |
verwendet. Er fällt auch bei Markus Naegele. | |
Auffällig ist und Hoffnung macht auch, wie viele der befragten | |
Trikont-Künstler im Gespräch vom „war“ ins „ist“ geraten. „Wir brau… | |
nicht in der Vergangenheitsform zu reden“, meint der Musiker und Autor | |
Thomas Meinecke. Es wird weitergehen! Weiter mit der, wie Meinecke sagt, | |
„hybriden Form von Folkmusik“. Schließlich will da noch viel gehört und | |
entdeckt werden. Die großartig schräge Blasmusik der Express Brass Band zum | |
Beispiel, eine „Saharamusik, die in München stattfindet“ (Meinecke). Oder | |
das neue Bernadette-La-Hengst-Album, über das die Künstlerin sagt: „Achim | |
Bergmann hatte sich immer von mir gewünscht, dass ich einmal ein Album nur | |
mit Gitarre veröffentliche, weil das meine Persönlichkeit erst richtig zur | |
Geltung bringen würde. Ein ‚Bernadette La Hengst goes Johnny Cash‘-Album. | |
Ich hab das immer als großes Kompliment verstanden. Er sah mich in einer | |
Reihe mit den ganz Großen. Danke, Achim, für deinen Glauben an mich! Wenn | |
es dich nicht gegeben hätte, müsste man dich erfinden!“ | |
8 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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