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# taz.de -- Lesung in Berlin: „Wir befreien uns selbst“
> Christof Meueler und Franz Dobler erzählen in ihrem Buch „Die
> Trikont-Story“ die Geschichte des „wahrscheinlich“ ältesten Indielabels
> der Welt.
Bild: Folk im Sinne von Trikont: Das Neue-Volksmusik-Duo Attwenger aus Österre…
Auch das muss man erst mal schaffen: es sich 1975 als Verleger mit dem
RAF-Umfeld und der bayerischen Staatsanwaltschaft anzulegen, von den einen
Morddrohungen zu erhalten und von den anderen mit Hausdurchsuchungen und
einem Prozess geehrt zu werden.
Was da passierte, erzählen die Autoren Christof Meueler und Franz Dobler in
ihrer fast 500 Seiten umfassenden Geschichte des 1967 in Köln gegründeten
und kurz darauf nach München gegangenen Trikont Verlages und des annähernd
zeitgleich daraus entstandenen Trikont Musikverlages, der seit 1980
eigenständig als Trikont – Unsere Stimme, Our own Voice – firmiert und den
stolzen Zusatz trägt: „Das wahrscheinlich älteste Indielabel der Welt“.
Die Trikont-Verlagsgründer Herbert Röttgen und Gisela Erler hatten Mitte
der 1970er Jahre die Autobiografie „Wie alles anfing“ von Bommi Baumann,
ehemals Mitglied der Bewegung 2. Juni, herausgebracht. Das Buch markiert
die begründete Abkehr vom bewaffneten Kampf, seinen Verlegern wurde
vorgehalten, gerade zu diesem aufzurufen. Der sich anschließende Prozess
endete nach drei Jahren mit einem Freispruch.
## 1972 Veröffentlichung der ersten Platte
Dabei war bereits die erste Plattenveröffentlichung bei Trikont 1972
keineswegs eine versöhnliche Angelegenheit. „Wir befreien uns selbst“
prangt als Titel auf dem schwarz-roten Cover der personell mit dem Verlag
verwobenen Combo (ein Wort wie Band oder Gruppe verbietet sich hier)
Arbeitersache München. Im vorigen Herbst neu aufgelegt, charakterisiert der
San Francisco Bay Guardian die Scheibe als „neoprimitiven Folk,
Mitmachmusik und Punk vor Punk“.
Ein Kompliment, wobei sich weniger freundlich auch von einer bizarr
radikalisierten Singebewegung sprechen ließe. Beispiel „Das Lied von den
Schweinen“ (warum müssen eigentlich immer Tiere herhalten, wenn Menschen
und ihre Politik verbal angegangen werden?): „Die Mastschweine halten
zusammen, / Doch wir sind viel mehr, setzen wir uns zur Wehr, / geht der
Schweinestall auf in Flammen.“
Aber auch wenn es zwei Songs später, für Georg von Rauch unter Bezug auf
Nordirland und Vietnam, noch mal heißt: „Die Schweine werden überall nur
geschlagen. / Ja, ihr seid auch schon bald dran“, so steht doch im
Kommentar darunter: „Dies ist kein Loblied auf die Aktionen der RAF.“
Das Ganze, so ungewohnt didaktisch es heute klingt, hatte einen
Hintergrund. Die Trikont-Leute wollten antiautoritären, rebellischen Folk
im Sinne von Pete Seeger veröffentlichen oder noch älteren, zur
Unterordnung generell unfähigen. Die Betonung lag auf Folk, nicht auf
volkstümlich. „Letzteres wäre Musikantenstadl gewesen“, meint Christof
Meueler im Gespräch.
Zusätzlich verweist er auf die Konzepte des italienischen Operaismus, ein
grundsätzliches Misstrauen Parteien und Funktionären gegenüber sowie den
Autonomiegedanken bei Trikont. „Autonomie – Materialien gegen die
Fabrikgesellschaft“ hieß auch die Theoriezeitschrift der Spontibewegung.
Trikont gab sie heraus.
Gefragt, wie er eigentlich zu den Platten und Büchern von Trikont gekommen
ist, erinnert sich Meueler, verpflichtender Jahrgang 1968, Sohn aus
linksliberalem Elternhaus und mittlerweile Feuilleton- und Sportredakteur
der Tageszeitung junge Welt, wie er in den achtziger Jahren eine Welt
betrat, die es so kaum noch gibt: die der linken Buchläden.
Meueler zog es dabei eher in die der Spontis als in die der DKP – „die
waren beschränkter und hatten meist schlechte Laune“ – und entdeckte
zwischen den Regalen eine Kiste mit Trikont-Platten: „Bands, die kaum einer
kannte, über die kaum einer schrieb. Mit so irren Namen wie Teller Bunte
Knete oder Drei Eier. Ich finde die immer noch toll!“
Meueler besuchte die Abschiedstour von Ton Steine Scherben – „auch toll!“
–, Trikont hatte sie lizenziert und besorgte sich antiquarisch das 1977
ebenfalls dort erschienene Reprint der Gesellschaftskritik „Do it! Scenario
für die Revolution“des US-amerikanischen Aktivisten und Anarchisten Jerry
Rubin: „Da war sie wieder, die Spontaneität, die Betonung des Jetzt. Das
hat mich angezogen.“
## „Musik von unten“
Als Meueler auf seine große Entdeckungsreise ging, hatte der Trikont
Musikverlag bereits einen Schwenk in Richtung Esoterik unternommen und sich
1980 aufgelöst. Das von Eva Meir-Holms und Achim Bergmann geleitete
Plattenlabel für „Musik von unten“ entstand .
In den Achtzigern ging bei Trikont ein Angebot von Geoff Travis ein. Der
Gründer des legendären Punk- und Independent-Labels Rough Trade konnte sich
vorstellen, dass die Münchener seinen Deutschland-Vertrieb übernehmen
könnten. Sie schlugen aus. Nicht etwa, weil sie etwas gegen Punk gehabt
hätten, sondern die jungen Wilden mit einer eigenen Struktur produzieren
sehen wollten. Ein schöner Ansatz!
Dafür lassen sich auf den circa 500 Platten, die mittlerweile bei Trikont
erschienen sind, Sachen entdecken, die allemal noch den Eigensinn
befördern: Rembetiko, der Blues der griechischen Halb- und Unterwelt in
gleich zwei Compilations, oder Protopunk aus den USA und Großbritannien.
Dann die zum Schunkeln untaugliche, aber hochenergetische Musik des
Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters um die E-Musik-Komponisten und
Musiker Heiner Goebbels und Alfred 23 Harth, ein wichtiger Einfluss auf die
Ostberliner Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot, Blasmusik überhaupt.
Oder aber die Band, die Christof Meueler jedem Trikont-Einsteiger ans Herz
legen möchte: Attwenger, jene oberösterreichische Zwei-Mann-Kapelle, der es
seit 1989 gelingt, Volksmusik zu spielen, mit der keine Identitätshuberei
zu machen ist. Wir brauchen mehr davon.
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
21 Feb 2018
## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
Label
Trikont
Literatur
Funk
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