# taz.de -- Bauhaus 2.0: Modernistisches Leben im Globalen | |
> Das Bauhaus wird gerade 100 Jahre alt. In Friedrichshafen stellt eine | |
> Ausstellung die Frage, wie es heute aussehen könnte. | |
Bild: Ausstellungsansicht „Ideal Standard“: Andrea Zittel, „1994 A-Z Livi… | |
Fast könnte man denken, das Bauhaus sei schon 100 geworden, so viele | |
Ausstellungen, Paneldiskussionen und Sonderveranstaltungen haben sich | |
bereits 2018 mit ihm beschäftigt. Und obwohl das Gründungs-Jubiläumsjahr | |
der Kunst- und Designschule gerade erst beginnt, fühlt es sich so nach | |
einer erfrischenden Abwechslung an, wenn eine Ausstellung zum Thema sich | |
nicht allein mit der Geschichte jener Institution auseinandersetzt. | |
Das Friedrichshafener Zeppelin Museum versucht sich an einem solchen | |
Ansatz, indem es die Frage stellt, wie ein Bauhaus heute aussehen würde. | |
Die Ausstellung „Ideal Standard“ untersucht anhand von fünf Positionen | |
exemplarisch, mit welchen Themen sich eine ähnlich visionäre und | |
technologisch innovative Bewegung heute auseinandersetzen, wie sie die Art, | |
wie wir leben und wohnen, prägen und mit welchen Materialien sie dabei | |
arbeiten würde. | |
Ganz ohne historischen Bezug funktioniert es dann aber doch nicht, und so | |
hat sich der Kurator Dominik Busch die Künstlerin Erika Hock mit ins Boot | |
geholt, deren „Salon Tactile“ sowohl als eigenständiges Werk fungiert als | |
auch maßgeblich zum Ausstellungsdesign beiträgt. Hock hat sich vom „Café | |
Samt und Seide“ inspirieren lassen, das Mies van der Rohe und Lilly Reich | |
1927 für einen Messestand des Vereins der deutschen Seidenweber entwarfen. | |
Die geschwungenen Metallstangen, die Sitzfläche und Rückenlehne von van der | |
Rohes MR20-Freischwingern bilden, spiegeln sich in ihrer raumschaffenden | |
Hängekonstruktion ebenso wider wie Reichs von der Decke hängende | |
Stoffbahnen. | |
Im Gegensatz zu jenen Seidenvorhängen sind Hocks wellen- und kreisförmige | |
Konstruktionen permeabel: Ursprünglich als ganze Stoffflächen mit | |
intensiven Farbverläufen bedruckt, wurden im Zuge eines futuristischen | |
Herstellungsprozesses zahlreiche in sie eingewebte wasserlösliche Fäden | |
herausgewaschen, sodass sie sich nun als dichte Fransenvorhänge | |
durchschreiten lassen. | |
## Künstlerinnen und Designerinnen nur am Rande | |
Noch expliziter geschichtsbezogen arbeitet Katarina Burin. Sie präsentiert | |
anhand von architektonischen Skizzen, Fotografien und Modellen das Leben | |
und Werk der Architektin Petra Andrejova-Molnár. Durch subtile biografische | |
Widersprüche wird deutlich, dass es sich bei dieser um eine Kunstfigur | |
handelt: Andrejova-Molnár steht stellvertretend für all die namenlosen | |
Frauen im Hintergrund, denen Burin bei ihren Recherchen zum | |
mitteleuropäischen Modernismus und speziell zum Bauhaus begegnete. | |
Künstlerinnen und Designerinnen durften sich zwar beteiligen, jedoch | |
verstand man ihre Werke eher als stille, ergänzende Beiträge, die | |
dementsprechend häufig unsigniert und ungewürdigt blieben. | |
Zitiert und kritisiert wird das Bauhaus auch bei Andrea Zittel. Ihre „A-Z | |
Living Unit“, eine kompakte Box auf Rollen, die sich zu einer kompletten | |
Wohneinheit samt Bett und Kochnische ausklappen lässt, ist maßgeblich | |
inspiriert von KünstlerInnen wie Margarete Schütte-Lihotzky, die mit ihrer | |
„Frankfurter Küche“ den klassischen deutschen Küchengrundriss komprimierte | |
und so alltägliche Laufwege verkürzte. Die Statuten von Minimalismus und | |
Effizienzsteigerung werden in Zittels Wohnbox auf die Spitze getrieben. | |
Platz für persönliche Besitztümer ist hier kaum, lediglich ein auf dem | |
Nachttisch abgestellter Wecker und ein kleiner Stapel Bücher markieren den | |
Wohnraum als belebt. Die Grenzen zwischen Mobilität und monadischem | |
Normdasein sind, wie Zittel aufzeigt, oftmals fließend. | |
Weniger direkter Bauhausbezug findet sich bei „New Eelam“, dem | |
Start-up-cum-Kunstprojekt der Kuratorin Annika Kuhlmann und des Künstlers | |
Christopher Kulendran Thomas, das die beiden in der Ausstellung mithilfe | |
eines Videoessays näher erläutern. | |
Angesichts neuer freiberuflicher und ortsunabhängiger Arbeitsmodelle haben | |
die beiden sich der Idee verschrieben, Wohnorte durch ein globales Netzwerk | |
an Apartments vollkommen flexibel mietbar zu machen und so das Leben im | |
Mobilen ebenso einfach zu gestalten wie das Arbeiten. Langfristig soll | |
diese neue Form des Wohnens eine liquide Form der Staatsbürgerschaft und | |
somit ein Dasein als Weltbürger ermöglichen. | |
Das Ende des Kapitalismus | |
Die Theorie hinter „New Eelam“ basiere auf einer Lesart der Theorien Karl | |
Marx’, die Technologie statt Politik als maßgeblichen Fortschrittsantrieb | |
versteht, erklärt Thomas mit beruhigender Stimme. Begleitet werden seine | |
Worte durch Nachrichten-Videos von Grenzzäune erklimmenden Migranten, | |
Netzwerk-Animationen und Bildschirmaufnahmen eines Apple-Computers. | |
Einzelne Stellen sind unterlegt mit optimistischer Hintergrundmusik, es | |
fallen Ausdrücke wie cloud countries und luxury of communalism. Kuhlmann | |
und Thomas bieten Zukunftsentwürfe für eine Zeit, in der das Ende der Welt | |
eindeutig näher vor der Tür zu stehen scheint als das Ende des | |
Kapitalismus, in der sich Amazon-CEO Jeff Bezos für die Einführung des | |
bedingungslosen Grundeinkommens einsetzt und in der das Bezahlen mit den | |
eigenen Daten beinahe alternativlos geworden ist. Wie einst im Bauhaus die | |
Massenproduktion werden hier die app-basierte Sharing Economy und die | |
hyperflexiblen und postlokalen Arbeitsmodelle unserer Zeit affirmiert. „New | |
Eelam“ ist ein Versuch, ein scheinbar unumstößliches System durch | |
geschicktes Design von innen heraus zu verbessern. | |
Bei Versuchen dieser Art liegen Utopie und Dystopie häufig nah beieinander | |
– auch das lehrt die Geschichte des Modernismus und speziell des | |
Bauhauses. Man denke an die vertikalen Städte Le Corbusiers, deren | |
genauestens konzipierte Wohnungen ihre Bewohner in den Wahnsinn trieben, an | |
die Mechanisierung des menschlichen Lebens, die mit Erfindungen wie der | |
„Frankfurter Küche“ einherging. | |
Jene Ambivalenz verkörpern auch die Skulpturen des Künstlerduos Pakui | |
Hardware, die unter anderem aus hitzebehandeltem PVC, Silikonschläuchen, | |
Roboter-Greifarmen, künstlich hergestellter Lebensmittelfarbe und Chiasamen | |
zusammengesetzt sind und so zeitgleich organisch und artifiziell anmuten. | |
Mit ihrem Verweis auf die biomorphen Apparate der Industrie 4.0 ähneln sie | |
formell der ultra-sleeken Start-up-Ästhetik „New Eelams“, werfen aber zudem | |
einen kritischen Blick auf den Eingriff von Technologie in Biologie und | |
Natur. | |
Es sind viele interessante, mal mehr, mal weniger mit dem Bauhaus verwandte | |
Perspektiven, die „Ideal Standard“ mithilfe von wenigen ausdrucksstarken | |
Arbeiten anreißt. Für eine vernünftige Auseinandersetzung bedürfte jede von | |
ihnen wohl einer eigenen Ausstellung. Basierend auf der im Zeppelin-Museum | |
gebotenen groben Übersicht lässt sich immerhin so viel postulieren: Der | |
Fortschritt entpuppt sich häufig als vertracktes Kippbild – eine | |
progressive Designpraxis erschwerte das zu Zeiten des Bauhaus ebenso sehr | |
wie heute. | |
9 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Donna Schons | |
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