| # taz.de -- Baerbock und die Grünen: Inhalte statt Personalia | |
| > Parteipolitik handelt immer von Menschen. Und eine Kanzlerkandidatin mit | |
| > beschädigter Glaubwürdigkeit ist keine gute Verkäuferin der Inhalte. | |
| Bild: Vernachlässigte Sonnenblume auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grün… | |
| Die Grünen pflegen – so wie andere Parteien im Bundestag auch – ein trautes | |
| Ritual zu Jahresbeginn: die Fraktionsklausur. Die Bundestagsfraktion | |
| versammelt sich an meist beschaulichem Ort weit weg von Berlin, schüttelt | |
| den Feiertagsdusel ab und sortiert das politische Jahr vor. Die Presse | |
| steht auf den Gängen des Tagungshotels herum. | |
| Bei solch einer Gelegenheit rückte einmal eine Gruppe Jung-Abgeordneter mit | |
| einem Papier an, das im Kern verlangte: Die Grünen sollten sich stärker um | |
| Inhalte als um Personalfragen kümmern. Was ja immer so schön wie wahr ist. | |
| Die [1][damalige Fraktionschefin Renate Künast] – noch ungehaltener, als | |
| sie ohnehin meistens ist – schnaubte mir dazu in den Schreibblock: „Also | |
| bei mir ist jetzt Wahlkampf.“ Keine Befassung. Was soll der Quatsch, sollte | |
| das heißen. | |
| ## Politische Linien an getäfelten Wänden | |
| Tatsächlich stand in jenem Frühjahr irgendwo eine Landtagswahl an, um die | |
| es aber gar nicht ging. Die Szene war deshalb so lehrreich, weil sich an | |
| den braun getäfelten Wänden des Tagungshotels plötzlich ganz große | |
| politische Linien erkennen ließen – allerdings als strategisches Knäuel. | |
| Denn natürlich war der Aufruf, sich um Inhalte statt um Personalia zu | |
| kümmern, eine Attacke auf die Fraktionschefin – und damit eine Personalie. | |
| Der Aufruf der Fraktionschefin, wegen Wahlkampfes die Reihen zu schließen, | |
| konnte dann prima als Verweigerung kritisiert werden, an echten Inhalten zu | |
| arbeiten. | |
| Ich habe vergessen, ob der Vorfall das Jahr für die Grünen damals noch | |
| eingetrübt hat. Aber Künasts Augenrollen fällt mir seither stets ein, wenn | |
| irgendwer in oder von der Parteipolitik fordert, es müsse doch um Inhalte | |
| statt Personal gehen. Die kurze Antwort lautet: Geht nicht. Erst recht | |
| nicht im Wahlkampf. Die Parteipolitik, wie wir sie kennen und so fix auch | |
| nicht ändern können, handelt immer von Menschen, die sich Inhalte zu eigen | |
| machen, und von Inhalten, die durch Menschen transportiert werden. | |
| Und nach den Gesetzmäßigkeiten der Parteipolitik ist eine Kanzlerkandidatin | |
| mit beschädigter Glaubwürdigkeit keine gute Verkäuferin der Inhalte mehr, | |
| selbst wenn es sich bei diesen Inhalten um, sagen wir: ernsthafte | |
| Klimapolitik handelt. | |
| Die gute Nachricht ist: Außerhalb der Parteipolitik müssen keine Reihen | |
| geschlossen werden, und man kann auch Inhalte von Personen trennen. Bei | |
| Medien gehört das sogar zur Jobbeschreibung. Nicht alles ist Strategie, | |
| manchmal ist ein Argument auch einfach ein Argument, und wer eine Meinung | |
| vertritt, macht sich nicht gleich zum Büttel oder zur Schergin eines | |
| politischen Gegners oder einer sonstigen bösen Übermacht. | |
| Wer die Meinung vertritt, dass Annalena Baerbock womöglich keine optimale | |
| Kanzlerkandidatin mehr ist, wäscht nicht die Wäsche der Klimazerstörer, | |
| sondern zieht erst einmal nur Schlüsse aus der öffentlichen | |
| Gesamt-Gemengelage. Bevor Nachfragen kommen: Ja, dies ist auch eine | |
| Reaktion auf die Debatten, die ein [2][taz-Kommentar] zu Wochenbeginn | |
| ausgelöst hat. | |
| In einer Analyse, die nur aus Diskursen und Gegendiskursen besteht, die | |
| verstärkt oder eben bekämpft werden, wird jede Meinungsäußerung zum Vehikel | |
| einer höheren Kraft. Die Meinungsäußerin ist dann nur ein Werkzeug, dumm | |
| genug, sich zum Sprachrohr der Falschen zu machen. | |
| Dabei ist doch so klar, wie verkürzt so ein Deutungsschema ist, dass es | |
| weder denen gerecht wird, die sich an einer Diskussion beteiligen, noch der | |
| Sache selbst. Welcher Sache noch genau? Ach, da sind gleich mehrere: Klima, | |
| ja genau. Aber auch: demokratische Öffentlichkeit. Politische Kultur. | |
| Vertrauen in die Kraft des Arguments. | |
| 11 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Winkelmann | |
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