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# taz.de -- BDSM und Christsein: Auch die andere Wange
> Beim Kirchentag ist der Arbeitskreis BDSM und Christsein vertreten. Wie
> passen harte Schläge mit dem vermeintlich sanften Christenglauben
> zusammen?
Bild: Gefesselt vom Herrn und der heiligen Schrift
Berlin taz | Eine Peitsche und ein Seil, geformt zu einem Kreuz. Rechts
darunter die Bibel, links stählerne Handschellen. In Halle 1, Themenbereich
„Lebensführung und Zusammenleben“, präsentiert sich beim Evangelischen
Kirchentag der Arbeitskreis BDSM und Christsein, ein Grüppchen, das über
„sadomasochistische Sexualpräferenzen aus christlicher Sicht“ informieren
will.
Doch wie gehen harte Schläge mit dem vermeintlich sanften Christenglauben
zusammen? Und was sagen jene, die mit der Gewalt lustvoll spielen, zur
[1][sexualisierten Gewalt im Raum der Kirche]?
[2][BDSM steht für Bondage] (Fesselung), Disziplinierung, Sadismus und
Masochismus. Letztere Vorlieben tragen die Namen zweier Schriftsteller, des
französischen Marquis de Sade (1740–1814) und des Österreichers Leopold von
Sacher-Masoch (1836–1895). Die gewaltpornografische Literatur der beiden
beschreibt die Lust an Züchtigung und Schlägen.
Am BDSM-Stand in Nürnberg wird Markus präsent sein. Der Wahlberliner will
Öffentlichkeit für die Sache, seinen Nachnamen jedoch nicht veröffentlicht
sehen. Mit de Sade und Sacher-Masoch habe die heutige BDSM-Szene nicht mehr
viel zu tun, sagt der 50-Jährige der taz. Was in den Romanen beschrieben
sei, führe zum Schaden der Beteiligten, teils zum Tod. BDSM im Sinne des
Arbeitskreises sei „intensive Körperlichkeit, intensive zwischenmenschliche
Interaktion“.
## Machtgefälle muss einvernehmlich sein
Auf dem Kirchentag will Markus Christ:innen mit einer ähnlichen Präferenz
sagen, dass sie okay seien, „dass wir allesamt als begnadigte Sünder mit
Gottes Liebe beschenkt werden, ohne etwas dafür tun zu müssen“. Bis er das
selbst so sehen konnte, war es für Markus ein langer „Kampf gegen den
frommen Rahmen“.
In einem schwäbischen Dorf ist er aufgewachsen, katholisch getauft, der
Tradition halber. Ein Film lässt ihn mit acht Jahren sexuell erwachen:
„Wüstenräuber überfielen eine Karawane und legten die erbeuteten Frauen in
Ketten. Die Gefühlsexplosion, die diese Bilder in mir auslösten, stellte
alles in den Schatten, was ich bis dahin empfunden hatte“, sagt Markus.
Doch er sei überzeugt davon gewesen, dass er aus der menschlichen
Gemeinschaft ausgeschlossen würde, „wenn jemand merkt, was da in mir tobt“.
Im Jahr 2003 entschied Markus sich, ernsthaft als Christ zu leben, jetzt
evangelisch. Der Konflikt zwischen seinem SM-Begehren und seiner Liebe zu
Jesus spitzte sich noch zu. Bis er in einem BDSM-Onlineforum seine Frau
kennenlernte, die ebenfalls Christin ist. Bis er im Arbeitskreis BDSM und
Christsein Kontakt zu Leuten fand, die auch „ein bisschen komisch sind und
darüber sprechen wollen“.
1999 ist der Arbeitskreis entstanden, aus einer Kontaktanzeige im Hamburger
Szenemagazin Schlagzeilen. 50 Menschen stehen heute auf seiner
Mailingliste, zwischen 12 und 20 Leute sind bei den monatlichen
Onlinetreffen dabei. Die Signalwirkung sei aber deutlich größer, da ist man
sich in der Gruppe sicher. Zweimal im Jahr gibt es ein Bundestreffen, mit
Andachten und Gesprächen über Glaubensthemen und Praktiken. Einige stehen
auf Fesselspiele nach dem Vorbild des japanischen Shibari, andere auf
Züchtigungsszenarien in Leder- oder Tierkostümen. Der Konsens: Das
Machtgefälle muss einvernehmlich sein.
Doch selbst aus Sicht fortschrittlicher evangelischer Ethiker:innen ist
das leichter gesagt als praktiziert. „Fragwürdig bleibt der Sadomasochismus
als Sexualpräferenz, weil das verantwortungsvolle Spiel mit Macht und
Ohnmacht eine große Bewusstheit und Empathie voraussetzt, die im sexuellen
Vollzug der oft extrem energetisch gespeisten Ekstase ausgeübt werden
müssen“, schreibt eine Gruppe um Peter Dabrock und Cornelia Helferich in
„Unverschämt – schön: Sexualethik: evangelisch und lebensnah“, eine
Handreichung, die ursprünglich als EKD-Denkschrift geplant war.
## „BDSM hat nichts mit Gewalt zu tun“
Auch aus feministischer Warte gibt es Kritik an BDSM, etwa von Alice
Schwarzer oder Eva Illouz. Selbst wenn die „erbeuteten Frauen in Ketten“
nur eine Fantasie waren, selbst wenn Frauen freiwillig die passive Rolle im
Züchtigungsspiel annehmen: Ist die gesellschaftliche Struktur dahinter
nicht eine von männlicher Macht über Frauen?
„Nein, das sehe ich nicht so“, sagt Petra vom Arbeitskreis BDSM und
Christsein. Auch die 53-Jährige ist beim Kirchentag dabei, auch sie will
ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. BDSM gehe in beide Richtungen:
„Es gibt ja auch Dominas, die Männer dominieren.“ 25 Jahre lang sei sie mit
einem Nicht-BDSMler verheiratet gewesen, sagt die Lübeckerin. Mit ihrem
Mann habe sie eine Vereinbarung gehabt, die ihr erlaubte, ihren
BDSM-Vorlieben nachzugehen. Seit acht Jahren ist sie verwitwet und steht
offen zu ihrer BDSM-Leidenschaft. Trotz Gegenwind aus ihrer
Kirchengemeinde.
Sie selbst nehme gerne die Rolle der Devoten ein, sagt Petra. „Ich kann die
andere Seite auch, aber sie gibt mir nichts.“ Dass auch Frauen mit Frauen
und Männer mit Männern BDSM praktizierten, verdeutliche zusätzlich, dass es
nicht um die gesellschaftliche Unterwerfung der Frau gehe. Und, darauf
besteht Petra: „BDSM hat nichts mit Gewalt zu tun.“ Gewalt, sexualisierte
Gewalt, sei immer nicht einvernehmlich.
Doch wie stellt man tatsächliches Einvernehmen her? Für Markus ist dabei
die gemeinsame Reflexion der eigenen Bedürfnisse entscheidend, wie sie im
Arbeitskreis stattfinde. Nicht zuletzt als Regulativ in der Szene. „BDSM
scheint erst einmal einen sicheren Rahmen zu geben, wie die Kirche auch“,
sagt Markus. Dahinter gebe es allerdings auch Menschen, die diesen Rahmen
ausnutzten, den Konsens nur scheinbar eingingen. „Ich finde, das ist auch
etwas, worüber man sprechen muss. Bevor einem die Befreiung von den
Sexualnormen eruptiv um die Ohren fliegt.“
Wenn Verantwortung und Sicherheit ernst genommen würden, wäre BDSM aber das
[3][Gegenteil von Missbrauch.] Es gehe nicht darum, „Kopulation
hinzukriegen, die ein paar Minuten dauert und meine Lust befriedigt,
sondern sich sehr nah zu kommen. Sehr genau hinschauen zu müssen.“ Beim
Tango sei es ganz ähnlich, das Führen und Folgen.
## Kritische Nachfragen vor Ort
Im Paartanz, aber auch im Neuen Testament sieht man im Arbeitskreis
Analogien zu BDSM. Darin gebe es „eine generelle Tendenz, in der die
Niederlage und die Schwachheit in den Sieg und in die Herrlichkeit
umgewandelt werden“, heißt es auf der Webseite. Begriffe wie „Gehorsam“,
„Demut“, „Hingabe“ seien im christlichen Glauben ebenso zentral wie im
BDSM. „Christus selbst wird über die Erniedrigung ‚erhöht‘, wie es im
Philipper-Hymnus, einem sehr frühen christlichen Glaubensbekenntnis, heißt:
‚Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, /
sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave …‘“
Denker wie Friedrich Nietzsche oder Theodore Reich kritisierten die
„masochistische Struktur“ des Christentums. Der Arbeitskreis feiert sie.
Ohne biblische Anleihen und wesentlich vorsichtiger formulieren aber auch
die Ethiker:innen um Dabrock und Helferich: „Solange die Kriterien von
Freiwilligkeit, der Lebensdienlichkeit und des Schutzes der Beteiligten […]
gewahrt bleiben, müssen sadomasochistische Neigungen moralisch nicht
verworfen werden.“ Eine generelle Ächtung würde die potenziellen Gefahren
eines Kontrollverlustes erhöhen.
Doch konservative Kräfte in der evangelischen Kirche verhinderten 2015,
dass „Unverschämt schön“ zur EKD-Denkschrift wurde. Und auch bei den
Kirchentagen hatten sexuelle Minderheiten nicht immer einen Stand, schon
gar keinen leichten. Als der Kirchentag 1979 schon einmal in Nürnberg
stattfand, war die Teilnahme der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle
und Kirche noch umstritten. Die Veranstalter hatten Bedenken, es kam zu
Übergriffen von Evangelikalen.
Seit 2005 sind die Sadomaso-Jünger:innen dabei. Der „Arbeitskreis
entspricht der Idee von Kirchentag“, sagt eine Sprecherin auf taz-Anfrage
und meint damit eine breite Vielfalt an „gemeinnützigen Gruppen aus Kirche
und Gesellschaft“. Sexuelle Minderheiten gehörten heute selbstverständlich
dazu. Es habe im Vorfeld keine Beschwerden über die Teilnahme des
Arbeitskreises gegeben, dennoch „kann es sein, dass vor Ort kritische
Nachfragen kommen“.
Markus und Petra stellen sich darauf ein, dass sie auch in diesem Jahr
wieder die sprichwörtliche Wange hinhalten müssen. Markus sagt: „Wir
kämpfen nicht gegen die Institution, sondern wollen ergänzen, was dort
nicht abgebildet wird.“ Auch Petra fordert nichts – außer Akzeptanz.
8 Jun 2023
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## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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