# taz.de -- Ausstellung zu Emanzipation in der Mode: Neue Bewegungsfreiheit | |
> Die Ausstellung „Kleider in Bewegung – Frauenmode seit 1850“ im | |
> Historischen Museum Frankfurt zeigt, wie Körper und Gesellschaft | |
> zusammenhängen. | |
Bild: Mode- und Gesellschaftsgeschichte bedingen sich gegenseitig | |
Der Teufel steckt bei diesem hübschen, tiefblauen Seidenkleid aus dem | |
Pariser Atelier A. Fontelay im Detail. Es ist der Wurf der Falten, der | |
perfide Wirkung zeigt: Nicht wie gewöhnlich von oben nach unten, sondern | |
quer verläuft er, rein nach ästhetischen und nicht nach funktionalen | |
Maßstäben gelegt. | |
Mit ihrer horizontalen Struktur sind die Falten bloß aufgebrachte | |
Dekoration, zusätzlicher Ballast eines Gesellschaftskleides, das seiner | |
Trägerin 1885 vornehmlich repräsentative Aufgaben erlaubte und nicht | |
unbedingt zum Herumlaufen gedacht war. | |
Zu sehen ist das Stück neben vielen weiteren Exponaten jetzt in „Kleider in | |
Bewegung. Frauenmode seit 1850“ im Historischen Museum Frankfurt. Die | |
Ausstellung spannt den Bogen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins | |
Jahr 1930 und kann sich dabei auch auf die umfangreiche eigene Sammlung | |
historischer Bekleidung verlassen (im empfehlenswerten Katalog sind sogar | |
einige Anschriften der damaligen Frankfurter Trägerinnen vermerkt). | |
Nebenbei vermittelt sie einen guten Eindruck davon, wie radikal schnell die | |
Moderne Einzug ins Leben hielt. Nicht dass man von alldem noch nie gehört | |
hätte – aber so anschaulich nah am Exempel, dem feinen Seismografen Mode, | |
lässt sich eine historische Entwicklung nicht immer statuieren. | |
## Korsettschäden auf Röntgenbildern | |
Den Beginn machen Krinolinen, Tournüren und Polonäsen – ihres Zeichens | |
verschiedene Varianten vom Reifrock und der raumnehmenden Raffung auf der | |
Rückseite des Kleides. Noch um 1850 nahm die modebewusste Frau | |
kleidertechnisch viel Platz ein, wenngleich ihrem eigenen Körper leicht die | |
Luft zum Atmen wegbleiben konnte. | |
Schon in den ersten Minuten wird klar, wie wörtlich das überstrapazierte | |
„Wer schön sein will, muss leiden“ einst zu nehmen war. Und wie teuflisch | |
schön die Leiden schaffenden Kreationen sein konnten! | |
Der weibliche Körper, lernt man gleich zu Beginn, habe noch im auslaufenden | |
19. Jahrhundert als von Natur aus weich und schlaff gegolten – ein | |
Schönheitsideal wohlgemerkt, dem aber offenkundig umso rigoroser | |
entgegenzuwirken war. So musste das müde Fleisch in Form gestrafft und | |
geschnürt werden, was dann zum Beispiel in die hier auf mitausgestellten | |
Röntgenbildern bezeugten Korsettschäden mündete. | |
Dagegen regte sich bald Widerstand aus verschiedenster Richtung. Ein | |
zunehmendes Gesundheitsbewusstsein, die aufkommende bürgerliche | |
Frauenbewegung – die anfangs allerdings auch nicht viel mit der | |
„Äußerlichkeit“ namens Mode anfangen wollte –, später die Reformkleidu… | |
gesellschaftspolitische und technische Neuerungen trugen, wenn auch aus | |
völlig unterschiedlicher Motivation, zur Veränderung bei. | |
## Dauerdiäten, Spezialwäsche und Operationen | |
Überall lockt der gedankliche Umkehrschluss: Haben (nicht nur, aber | |
vorrangig) Frauenkörper viel später dort fettfrei und gestählt zu sein, wo | |
die Kleidung nach Erfindung von Jerseystretch und Jogginghose keinen Halt, | |
dafür aber umso mehr potenziellen Komfort bietet? Verläuft die Kausalkette | |
umgekehrt? Und wie vermessen wäre es, heute überhaupt so unmittelbar | |
zwingende Zusammenhänge herzustellen, ohne die verschiedenen Stufen des | |
(empfundenen oder angeordneten) Zwangs zur Körperformung zu nivellieren? | |
Nur wenige Jahrzehnte nach den üppigen Schnür-Outfits mit der Betonung der | |
Steißpartie wird man jedenfalls ein neues Körperideal finden, das agil bis | |
androgyn ausschaut und vergleichsweise viel Haut zeigt. Die zunehmende | |
Bewegungsfreiheit (und, nebenbei, das heute selten hinterfragte Ideal vom | |
gesunden Leib) schaffen neuerliche Imperative. Frauen, die nicht mithalten | |
konnten mit dem neuen Maß, versuchten sich mit Dauerdiäten, Spezialwäsche | |
und, wer es sich leisten konnte, Operationen in Form zu bringen. Der Körper | |
war und ist offenbar, was der Vorstellung dazwischenkommt. | |
An dieser Stelle empfiehlt sich vielleicht auch ein Abstecher ins | |
Offenbacher Ledermuseum. Dort nämlich wird gerade eine umfassende | |
Ausstellung über Schuhdesign im Wandel gezeigt, in der sich abermals | |
bemerkenswerte Beispiele für die mal gezwungene, mal freiwillige | |
Zurichtung, hier eben der Füße, finden (allerdings mitnichten nur der | |
weiblichen). | |
Doch zurück in die deutsche Großstadt um die Jahrhundertwende: Auch damals | |
schon stieß die neue, weibliche Bewegungsfreiheit nicht nur auf Gegenliebe. | |
Gehässige Karikaturen sollten zeigen, wie deplatziert die Frau im | |
öffentlichen Raum sei – und zwar sowohl, wenn sie in dezidiert femininer | |
Weise auftritt (dann nimmt sie mit ihren Reifröcken nämlich zu viel Raum | |
ein), als auch im modernen, androgynen Tagesdress (dann wird sie zum | |
konkurrierenden Mannweib, das zu allem Überdruss auch noch lässig eine | |
Zigarette in der Hand halten muss). Exakt zur Mitte der Schau bewegen sie | |
sich dann leibhaftig, die Menschen und ihre Kleider. | |
## Rhythmus der Modezyklen | |
Und auch die Bilder, die sie produzieren. Historische Aufnahmen belegen | |
anschaulich, wie sich Mode- und Gesellschaftsgeschichte gegenseitig | |
bedingten. Die Frau ist endgültig im öffentlichen Raum angekommen. Die | |
Warenwelt hat ihren Anteil daran: Schaufenster stellen sich zunehmend auf | |
die weibliche Kundschaft ein, dekorieren öfters um. Mit ratternden | |
Straßenbahnen im zunehmenden Großstadtverkehr geht auch so etwas wie der | |
Rhythmus der Modezyklen einher. | |
Eine Zeitleiste macht deutlich, wie unfassbar nah beieinander die | |
vestimentären Umwälzungen liegen. 1910 noch Humpelrock, ihres Zeichens für | |
zahllose Unfälle verantwortlich, 1920 dann schon knielanges Kleid. Und | |
Pulli, Jumper, Laufschuhe. Den Unisex-Look bezeichnet Modejournalistin Elsa | |
Herzog später als „Weltuniform“. | |
Plötzlich wurde Tennis gespielt und Fahrrad gefahren. Und geschwommen: Eine | |
Kleiderpuppe haben die Ausstellungsmacherinnen zu diesem Zweck sogar an der | |
Decke befestigt, von wo aus sie den Flug vom Sprungturm im | |
Trikotware-Badeanzug simuliert. | |
Das ist interessant: Dieser Augenblick, die geronnene Ästhetik der | |
Repräsentation fürs Foto oder den Gesellschaftsanlass, der löst sich auf – | |
und wird gerade deshalb umso mehr Augenblick, im einzelnen Moment, | |
praktiziert und erfahrbar. Fehlt eigentlich nur noch ein | |
Tennisspielerinnen-Gemälde von Lotte Laserstein, denkt man. Das kommt zwar | |
nicht, aber doch folgen einige ganz ähnlich coole Protagonistinnen im | |
androgynen Look, 1928 vom Frankfurter Maler Hermann Lismann im Stile Neuer | |
Sachlichkeit porträtiert. | |
## Konsum bedingt Innovation | |
Ökonomisches wird hier nicht ausgeklammert. Die sportliche | |
Freizeitbeschäftigung war natürlich vornehmlich denen vorbehalten, die es | |
sich leisten konnten. Doch sie wirkte eben auch in die unteren Schichten | |
nach. Spätestens mit Ende des Ersten Weltkriegs stiegen dann auch Frauen | |
ins Erwerbsleben ein. Wer sich kein Tennisspiel leisten konnte, wurde so | |
zum Beispiel in der Fabrik mit ganz handfesten Anforderungen ans | |
Kleiderwesen konfrontiert. Jetzt musste es einfach praktischer zugehen. | |
Bald schon werden Universitäten auch für Frauen zugänglich. Die moderne | |
Großstadtfrau ward geboren. Konsum bedingt Innovationen: Leuchtfarben wie | |
Hydronblau sind der neueste Schrei einer zunehmend auch auf Mode setzenden | |
Chemieindustrie. | |
Tänzerinnen werden zu Stars. Glitzernde Stickereien versetzen das | |
Nachtleben in flirrende Fantasiewelten. Man weiß schließlich nicht mehr so | |
genau, wer oder was wen in Bewegung versetzt hat. Am Ende biegt sich selbst | |
die Kleiderpuppe in ihrem paillettenverzierten Charleston-Kleid zum Tanz. | |
2 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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