# taz.de -- Ausstellung über Leben und Tod: Wer will schon unsterblich sein? | |
> Mit den Osterfeiertagen steht auch das Thema Tod und Auferstehung vor der | |
> Tür. Die Ausstellung „Un_endlich. Leben mit dem Tod“ stellt letzte | |
> Fragen. | |
Bild: Sterbebetten: Wie halten Sie es mit dem Sterben und dem Tod? | |
BERLIN taz | Im Museumsshop des Humboldt Forums gibt es bunte | |
Kühlschrankmagnete mit dem Abbild des vor zwanzig Jahren abgerissenen | |
Palastes der Republik zu kaufen. So seltsam das im ersten Moment scheint, | |
ist es im Kontext der aktuellen Sonderausstellung im Hause, die sich mit | |
dem Tod befasst, doch sehr passend. | |
Auch ein Gebäude aus Stahl und Beton, prinzipiell für eine kleine Ewigkeit | |
gemacht, ist nicht gegen ein gewaltsames Ende gefeit. Der Palast der | |
Republik, Friede seinem Staub, erreichte in Menschenjahren nicht einmal | |
mittleres Alter, und die neu erbaute Schlossattrappe ist neben vielem | |
anderen auch ein [1][überdimensionierter Grabstein]. | |
Aber wer weiß, ob auch im Palast der Republik, hätte man ihn stehenlassen | |
und das Ethnologische Museum hineingepackt, diese Ausstellung entstanden | |
wäre, die sich auf vielfältige Weise mit Vergänglichkeit befasst. | |
„un_endlich. Leben mit dem Tod“ thematisiert ein Schicksal, das alle | |
Menschen vereint. Und tatsächlich steht dabei nicht der kulturell | |
unterschiedliche Umgang mit dem Tod im Vordergrund, sondern mehr noch wird | |
das Verbindende betont. | |
Bevor sich die Pforten zur eigentlichen Ausstellung öffnen, werden die | |
BesucherInnen mit Hilfe eines bunten Lehrfilms eingestimmt, der im | |
Schnelldurchlauf die Entstehung des Universums und das Erscheinen des | |
Menschen in dessen allerletzter Sekunde visualisiert – und es dabei mit der | |
Evolution nicht sehr genau nimmt. Solcherart mit der eigenen | |
Staubkornexistenz konfrontiert, wird man eingelassen in die | |
Ausstellungswelt selbst. | |
## Zwischen Entspannung und aktiver Mitwirkung | |
Der vorgegebene Rundgang enthält zunächst eine Reihe immersiv gehaltener | |
Stationen. Farbigkeit ist abwesend in den aufwändigen Installationen, | |
Schwarz und Weiß beherrschen die Optik. Weiße Tücher dominieren den ersten | |
Saal, animierte Leuchtschriftbänder werden auf sie projiziert. Die | |
Stoffbahnen formen runde Nischen, in denen Platz genommen und Stimmen | |
gelauscht werden kann, die Begräbnisriten und Jenseitsvorstellungen | |
unterschiedlicher Religionen erläutern. | |
Allgemein werden in der Ausstellung auffällig viele Sitzgelegenheiten | |
vorgehalten. In der islamischen Nische ist unter anderem zu erfahren, dass | |
es im Paradies auch Sessel gibt. Es ist eine Einladung, zur Ruhe zu kommen, | |
zuzuhören, in sich zu gehen – nach einer festgelegten Dramaturgie. Zwei | |
lange Reihen bequemer Liegen machen die zweite Station aus. Hier ist aktive | |
Mitwirkung erforderlich, denn über Kopfhörer muss ein Interview absolviert | |
werden. | |
Eine freundliche Frauenstimme stellt Fragen: „Hast du Angst vor dem Tod?“, | |
„Möchtest du unsterblich sein?“, „Glaubst du an eine Seele?“ Nur binä… | |
Antworten sind möglich. Als ich versuche, die Frage „Denkst du oft an den | |
Tod?“ mit „manchmal“ zu beantworten, herrscht langes Schweigen. Schließl… | |
werde ich sanft ermahnt, nur Ja oder Nein zu sagen. Ich entscheide mich für | |
Nein. | |
## Sterben als Liebesrausch | |
Es ist Geschmackssache, ob man es mag, in einer Ausstellung ständig von | |
unsichtbaren Stimmen angesprochen zu werden („Hallo Mensch!“). Wie in jener | |
dunklen Zelle, in der mensch sich ganz allein befindet, während die junge | |
Frau aus dem Off erklärt, was passiert, während mensch gerade stirbt. | |
Der Tod, den sie beschreibt, ist wohl einer in einem Bett, in dem ein | |
Mensch, also „du“, also ich, gerade seine letzten rasselnden Atemzüge tut: | |
„Das Todesdreieck um Lippen und Nase ist ein Zeichen, dass dein Leben bald | |
vorbei ist.“ Nachdem mein Herz schon stillstehe, schwelle die Aktivität | |
meines Hirns noch einmal an, erfahre ich. Es werde von Botenstoffen wie | |
beim Verliebtsein geflutet; vielleicht ziehe auch mein ganzes Leben noch | |
einmal an mir vorbei. | |
Ja, kann sein, denke ich, als ich die Zelle verlasse, aber vielleicht | |
sterbe ich auch einfach im Schlaf oder werde morgen vom Trecker überfahren. | |
Oder gehe unter entsetzlichen Schmerzen zugrunde. Aber all diese | |
Todessituationen eignen sich ja nicht für ein immersives | |
Ausstellungserlebnis. | |
## Todesgefahr Hund | |
Die Räume, die sich an die dunkle Erlebniswelt anschließen, liefern | |
differenzierte Informationen nach. Der Umgang mit einem toten Körper wird | |
anschaulich durch ein Video vorgeführt, das eine Metallbahre simuliert, auf | |
der eine (unsichtbare) Leiche gewaschen wird. Dieser Ausstellungsraum zeigt | |
Gerätschaften und hygienische Vorrichtungen, die für die Bestattertätigkeit | |
benötigt werden. Begräbnisgewänder aus verschiedenen Kulturen hängen an der | |
Seite. | |
Ein Raum mit Todesstatistiken schließt sich an, wo unter anderem zu | |
erfahren ist, dass unter den tierischen Menschenkillern der Moskito (in | |
Nigeria) an erster Stelle steht, gefolgt von Schlangen (in Indien) und, an | |
dritter Stelle, Hunden! In Myanmar, sagt diese Statistik, kommen 4.500 | |
Menschen jährlich durch Hundeattacken ums Leben. | |
Weitere Schautafeln zeigen, woran in welchen Ländern am meisten gestorben | |
wird, wie es um die Entwicklung der Mütter- und Säuglingssterblichkeit | |
steht und wo Menschen am ältesten werden. Ein Zusammenhang zwischen dem | |
Reichtum eines Landes und der Langlebigkeit seiner EinwohnerInnen ist dabei | |
nicht immer gegeben, wie das Beispiel der SpanierInnen zeigt, die in puncto | |
Langlebigkeit mit den EinwohnerInnen der Schweiz oder Singapurs gleichauf | |
sind, aber über viel weniger Einkommen verfügen. | |
## 79 Prozent gegen ewiges Leben | |
Die Statistiken finden sich auch im Buch zur Ausstellung, dort sogar in | |
ihrer ursprünglichen Form, denn manche Grafiken wurden für die Schautafeln | |
vereinfacht. Auch andere Themen werden erst mit der Lektüre des | |
Begleitbandes in aller Komplexität greifbar. | |
So enthält er ein ausführliches Interview mit der Forensikerin Cristina | |
Cattaneo, deren Arbeit an der Identifizierung von im Mittelmeer ertrunkenen | |
Geflüchteten in der Ausstellung filmisch dokumentiert ist. In einem anderen | |
Interview erklärt der Neurologe Jens Dreier detailreich, was während des | |
Sterbens im Hirn passiert und warum es kaum möglich ist, einen genauen | |
Todeszeitpunkt zu definieren. | |
In der Mitte der Ausstellung steht übrigens eine Leuchttafel, auf der die | |
statistischen Ergebnisse der BesucherInnen-Interviews projiziert werden. | |
Die Frage „Möchtest du unsterblich sein?“ haben 79 Prozent mit Nein | |
beantwortet. | |
6 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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