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# taz.de -- Über das, was nach dem Tod kommt: Das schauerlichste Übel
> Warum sind die Leute so wenig zuversichtlich, was ein Leben nach dem Tod
> anbelangt? Der Ethikrat ist in der Frage so furchtlos, wie Epikur es
> wünscht.
Bild: Der Ethikrat kämpft für das Selbstbestimmungsrecht der Ponys, auch bei …
Kürzlich besuchte ich mit den Kindern einen schrabbeligen Ponyhof, wo man
für zwölf Euro dickbäuchige Tiere einen Waldweg entlangführen darf. Die
Ponys hießen Hulda und Gundula, beide strebten ins Gebüsch, um dort zu
grasen. Ich zerrte an Huldas Strick, als hinter mir jemand „Nicht doch,
Frau Gräff“, sagte. Ich drehte mich um und sah den Vorsitzenden des
Ethikrats, der ein geschecktes Pony am Zügel hielt. Neben ihm standen die
beiden anderen Mitglieder mit Taschen, aus denen Mohrrüben ragten. Der
Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir
gelegentlich [1][Hinweise in Fragen praktischer Ethik] geben.
„Sicher wollen Sie das Recht des Tieres auf autonome Entscheidung über den
Zeitpunkt seiner Nahrungsaufnahme nicht beschneiden“, sagte der
Ratsvorsitzende und tätschelte den Hals des scheckigen Ponys. „Hm“, sagte
ich. „Beschäftigen Sie sich jetzt mit [2][Tierrechten]?“ „So ist es“, …
der Vorsitzende. „Womit beschäftigen Sie sich?“
Tatsächlich beschäftigte ich mich lediglich mit den Unebenheiten meines
Lebens, aber dann fiel mir ein schönes und trauriges Stück ein, das ich
kürzlich auf dem Klavier gespielt hatte: „Bist du bei mir, geh ich mit
Freuden zum Sterben und zu meiner Ruh“, heißt der Text. „Wobei es ja
eigentlich nicht traurig ist“, sagte ich zum Rat, „er geht ja mit Freuden.
Ich habe mich dann gefragt, warum sich die meisten Leute so wenig vom Leben
nach dem Tod versprechen. Selbst ich, die nicht zum Optimismus neige,
erwarte nicht notwendigerweise ein großes Nichts.“
Die Kinder näherten sich Gundula und Hulda, aber als sie nach den Zügeln
griffen, hoben die beiden Ratsmitglieder mahnend ihre Finger. „Sie sollen
selbst entscheiden, was sie jetzt tun“, sagten sie. „Vielleicht ist ihnen
nicht nach Reitern zumute.“ Der Ratsvorsitzende nahm eine Möhre und bot sie
Hulda an. „Ich bin mir bewusst, dass das keine sehr konkrete Frage ist“,
sagte ich eilig, „aber es ist doch bemerkenswert, dass in einer
Gesellschaft, die sich so desperat an der Endlichkeit abarbeitet, nicht
einmal ein bisschen transzendenter Zweckoptimismus herrscht.“
## Die Selbstverpflichtung zum glücklichen Leben
Ich habe mich oft gefragt, ob die Menschen früher, als die Auferstehung der
Toten ein so fester Glaubenssatz war wie heute die [3][Selbstverpflichtung
zum glücklichen Leben], leichter gestorben sind. „Ich glaube das eigentlich
nicht, obwohl es theoretisch doch so sein müsste“, sagte ich ein bisschen
zögerlich zum Ratsvorsitzenden, weil die Frage genau das
Unwissenschaftlich-Waberige hatte, das der Ethikrat verabscheut.
Hulda öffnete ihr Maul und schnappte mit gelblichen Zähnen nach der Möhre.
Der Vorsitzende wandte sich zu mir um. „Frau Gräff“, sagte er, „dies ist
ein Feld, auf dem Sie die Theorie nur mäßig weit bringt.“ „Das mag sein�…
sagte ich, „aber ich frage mich trotzdem: Warum setzen die Leute eher
darauf, sich einfrieren zu lassen, als darauf, dass etwas unerfindlich
Schönes kommen wird? Nur, weil sie es selbst unter Kontrolle halten
wollen?“
„Ich möchte Sie an Epikur erinnern“, sagte der Ratsvorsitzende: „Das
schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir
existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir
nicht mehr.“ Während er das sagte, begann Hulda an seinem Hosenbein zu
kauen und er musste sich an einem Birkenstamm festhalten, um nicht zu
fallen. Der Ethikrat ist nicht alterslos, dachte ich, man muss auf ihn
achten, vielleicht hat sogar er Angst. Aber da hörte ich den
Ratsvorsitzenden rufen: „Der Weise fürchtet das Nichtleben nicht“, und sah,
wie er Hulda mit einem Birkenzweig davontrieb.
2 Aug 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Tod
Religion
Kolumne Ethikrat
Schwerpunkt Stadtland
Humboldt Forum
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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