# taz.de -- Ausflugsziel weicht Seniorenresidenz: Berlins Riviera war einmal | |
> Ein Investor in Grünau baut eine luxuriöse Seniorenresidenz und reißt | |
> Teile des historischen Ausflugsziels ab. | |
Bild: Schnäppchen: 2005 verscherbelte die Treuhand die Riviera für 650.000 Eu… | |
Die Bäume sind schon abgeholzt. Auch eine hundertjährige Platane wurde | |
gefällt. Sie spendete einst Schatten an der beliebten Ausflugsgegend im | |
Südosten Berlins. Auf dem Gelände der Regattastraße 161 bis 167 steht nur | |
noch, was von den einstigen Ausflugslokalen „Riviera“ und | |
„Gesellschaftshaus“ übrig geblieben ist. Und selbst diese Baudenkmale hat | |
der neue Investor des Geländes, die Firma Terragon, teilweise abgerissen. | |
Zu lukrativ ist der Bau einer überdimensionierten, luxuriösen Wohnanlage | |
für Seniorinnen und Senioren, die Terragon plant. Nils R. Schultze sagt | |
dazu: „Grünau wird nun endgültig zur Schlafstadt.“ | |
Schultze ist Künstler und in Grünau aufgewachsen. Er ist Sprecher der AG | |
Ortsgestaltung im [1][Ortsverein Grünau] und hat beobachtet, wie die | |
repräsentativen Ausflugsbauten am Dahme-Ufer über die Jahre hinweg | |
verfielen. Im Café Liebig an der Regattastraße zeigt er historische Fotos. | |
Auf ihnen ist das 1890 errichtete Riviera zu sehen, eine Vergnügungsstätte | |
mit einer von Palmen gesäumten Tanzdiele und einem Restaurant im Freien. | |
Acht Jahre später wurde das Gesellschaftshaus mit seinem neun Meter hohen | |
Ballsaal gebaut. Nicht nur, wenn Regatta war in Grünau strömten die | |
Menschen an die Dahme. „Diese beiden Ausflugsorte haben Grünau geprägt“, | |
sagt Schultze. | |
Und dann erzählt er die Geschichte des Bauvorhabens der Terragon. Sie ist | |
ein Lehrstück darüber, wie Berlin Investoren einen roten Teppich ausrollt. | |
Und wie ein Spekulant seinen Reibach macht, weil der Bezirk nicht ins | |
Risiko gehen will, sondern den Weg des geringsten Widerstands geht. | |
Der Spekulant, das ist in diesem Fall der Unternehmer Selahattin Erdem, der | |
das Grundstück im Juli 2006 von der Treuhand kaufte – für 650.000 Euro – | |
wie Schultze kopfschüttelnd erklärt. Erdem ließ das Riviera und das | |
Gesellschaftshaus weiter verfallen, den provisorischen Biergarten hatte | |
bereits die Treuhand schon 1999 geschlossen. | |
## Grünaus schläfrige Zukunft | |
Da die kommunale Untere Denkmalbehörde nichts dagegen unternahm, schlugen | |
die Bürger Alarm und forderten vom Bezirk die Sicherung des historischen | |
Gebäudeensembles. „Im Juni 2016 haben wir der Bezirksverordnetenversammlung | |
einen Einwohnerantrag mit 1.400 Unterschriften vorgelegt“, sagt Schultze. | |
Der Antrag fordert, „den traditionsreichen Gaststättenkomplex | |
Riviera/Gesellschaftshaus zu erhalten“ und die Flächen in einem | |
Bebauungsplan „als Gewerbeflächen für Gastronomie/Hotel auszuweisen“. Die | |
Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick (BVV) hat den Antrag im Juni | |
2016 in den Stadtplanungsausschuss verwiesen. Problem vertagt – der Bezirk | |
begann, auf Zeit zu spielen. | |
Denn Treptow-Köpenick hatte zu diesem Zeitpunkt bereits andere Pläne: Die | |
Firma Terragon stand mit Erdem im Gespräch und plante den Bau einer | |
Seniorenresidenz. „Der Bezirk“, sagt Schultze, „signalisierte grünes Lic… | |
und ignorierte den BVV-Beschluss und andere Investoren, die ein | |
Konferenzzentrum bauen wollten.“ Im Februar 2017 wird das Gelände dann an | |
Terragon verkauft, für 15 Millionen Euro. Mehr als das Zwanzigfache dessen, | |
was der Vorbesitzer bezahlt hat. | |
Glaubt man [2][der Website von Terragon], dann steht Grünau vor einer | |
glänzenden Zukunft. „Schon bald ist jeder herzlich eingeladen, sich selbst | |
zu überzeugen, wie gut es uns gelungen ist, das Riviera in seiner alten | |
Pracht wiederherzustellen“, schreibt Terragon-Vorstand Michael Held. Dass | |
nur der Ballsaal der Riviera in Gänze erhalten bleibt, schreibt er nicht. | |
Zu lukrativ nämlich ist der Bau von vier Gebäudeblöcken mit insgesamt „208 | |
barrierefreien und hochwertig ausgestatteten Seniorenwohnungen mit | |
Service“. | |
Das Ganze hat natürlich seinen Preis: „Das Residenzentgelt für eine | |
Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von circa 60 Quadratmetern liegt bei | |
1.650 Euro. Darin enthalten sind sowohl die Miete als auch die Nebenkosten | |
und eine Servicepauschale.“ Für eine zum nahe gelegenen Wasser | |
ausgerichtete Wohnung, so die Terragon, „beträgt das Residenzentgelt circa | |
1.990 Euro“. Insgesamt will die Firma 80 Millionen Euro investieren. | |
## Denkmalschutz light | |
Der Bezirk erteilte die Baugenehmigung am 22. Januar dieses Jahres. Die | |
Baumfällarbeiten sowie der Abriss jener Teile der Riviera und des | |
Gesellschaftshauses, die nicht erhalten werden, haben im März begonnen. Bis | |
2021 soll die „Seniorenresidenz“ Riviera fertig sein. Der Bezirk | |
rechtfertigt seine Baugenehmigung unter anderem damit, „dass eine | |
langjährige Brache endlich wieder einer Nutzung zugeführt wird“. So | |
formuliert es die Stadtplanungsamtsleiterin von Treptow-Köpenick, Ulrike | |
Zeidler, gegenüber der taz. Außerdem würden die vom Denkmalschutz als | |
relevant erachteten historischen Gebäude „erhalten und weitgehend | |
denkmalgerecht saniert“. | |
Dass die beiden unter Denkmalschutz stehenden Gebäude nicht in Gänze | |
erhalten wurden, rechtfertigt Zeidler schriftlich mit dem Hinweis, dass | |
„bis zur Entscheidung über die Bauvoranfrage mindestens ein/e | |
Mitarbeiter/in der Unteren Denkmalschutzbehörde nahezu ausschließlich mit | |
der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen an der Riviera und deren Durchsetzung | |
beschäftigt war“. Das, so Zeidler, „hätten das Bezirksamt und das Denkmal | |
nicht mehr lange durchhalten können, zumindest nicht ohne die 4.500 anderen | |
Denkmale im Bezirk zu vernachlässigen“. | |
So gab es also für die Terragon die Verpflichtung zu einer Art | |
„Denkmalschutz light“. „Die Untere Denkmalschutzbehörde konnte erreichen… | |
so Zeidler, „dass der Saal der Riviera denkmalgerecht saniert wird und das | |
Gesellschaftshaus mit seinen wesentlichen Elementen, insbesondere der | |
Veranda, erhalten bleibt.“ Der Saal Gesellschaftshaus wird vernichtet und | |
in Wohnungen umgebaut, der Saal Riviera solle als Veranstaltungsraum | |
genutzt werden und so auch für die Öffentlichkeit erlebbar sein – „mit der | |
Sanierung des ehemaligen Ballsaals wird der künftige Besucher einen | |
Eindruck der einstigen Pracht erhalten.“ | |
Schultze vom Ortsverein Grünau hält das für eine unschlüssige Begründung: | |
„Grünau verliert damit seine Einzigartigkeit, denn Erholung hat hier immer | |
dazugehört. Hier fährt die S-Bahn fast bis ans Wasser.“ Wenn nur der | |
Ballsaal des Riviera erhalten, aber die Art-Deco-Bar vernichtet und das | |
Gesellschaftshaus entkernt werde, sei das keine denkmalgerechte Lösung. | |
## Enteignung prüfen | |
Tatsächlich hatte bereits 2016 der Landesdenkmalrat gewarnt. In einer | |
Empfehlung an das Bezirksamt Treptow-Köpenick wurde festgestellt, dass „die | |
Eigentümerschaft kein Interesse an einem Weiterbestand und damit an einem | |
ordentlichen Unterhalt zu haben scheint“. | |
Der Denkmalrat empfahl dem Bezirk sogar, eine Enteignung prüfen zu lassen. | |
Die besondere Bedeutung des Falls unterstrich er mit der ausdrücklichen | |
Empfehlung, mit Hilfe der zuständigen Senatsverwaltung einen | |
baurechtlich-juristischen Beistand einzuschalten, „um diesen Präzedenzfall | |
für die Berliner Denkmalpflege Erfolg versprechend zu gestalten“. | |
Doch nichts davon geschah. Stattdessen gaben sich Baustadtrat Rainer Hölmer | |
und Stadtplanungsamtsleiterin Ulrike Zeidler mit der Minimallösung | |
zufrieden, die schließlich die Terragon in Aussicht stellte. Mehr noch: Der | |
zweite Investor, der ein Kongresszentrum bauen und die Denkmale erhalten | |
wollte, kam nicht zum Zuge. | |
Für Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist das ein entscheidender | |
Punkt. Hätte man von einem Alternativentwurf gewusst, so Lüscher im März | |
bei einem Gespräch mit Schultze und dem SPD-Abgeordneten Robert Schaddach, | |
wäre die Situation eine andere gewesen. Grünes Licht hatte die oberste | |
Denkmalbehörde nur gegeben, weil es keine Alternative zu Terragon gab. | |
## „Nur noch eine Schlafstadt“ | |
Auch baurechtlich rollte der Bezirk dem neuen Investor den roten Teppich | |
aus. Statt dem Einwohnerantrag zu folgen und für die Regattastraße einen | |
Bebauungsplan festzulegen, wurde der Bauantrag der Terragon nach Paragraf | |
34 Baugesetzbuch genehmigt. Dieser Paragraf besagt, dass ein Bauvorhaben | |
ohne B-Plan genehmigungsfähig ist, wenn es sich in die vorhandene Umgebung | |
einpasst. | |
Tatsächlich aber entstehen nun vier fünfgeschossige Blöcke in einer zwei- | |
bis dreigeschossigen Umgebung. Planungsamtschefin Zeidler begründet das | |
auch mit der Belastung ihres Amtes. Bei 1.100 Bauanträgen 2018, so Zeidler, | |
„hat Treptow-Köpenick vier Bebauungsplanverfahren zum Abschluss bringen | |
können. Diese Zahl mag sehr gering erscheinen, hilft aber vielleicht, den | |
Aufwand eines solchen Verfahrens nachzuvollziehen.“ | |
Für Robert Schaddach, der seinen Wahlkreis in Treptow-Köpenick hat, ist das | |
kein Argument. „Viele Ortsteile werden nach Paragraf 34 zugebaut, die sind | |
teilweise nicht wiederzuerkennen“, sagt Schaddach der taz. „Wir brauchen | |
auf jeden Fall mehr Bebauungspläne. Dann gibt es mehr Mitbestimmung und die | |
Möglichkeit, bezahlbare Wohnungen zu verlangen.“ Die Baugenehmigung für die | |
Seniorenresidenz des Bezirks hält er für einen „großen Fehler“: „Damit… | |
ein großer Schaden entstanden. Was da jetzt gebaut werden soll, ist | |
eindeutig zu viel. Das ist viel zu massiv.“ | |
Auch dass es künftig keine Gastronomie mehr an der Dahme geben soll, hält | |
Schaddach für falsch: „Wir brauchen Naherholung für die wachsende Stadt. | |
Sonst sind wir nur noch eine Schlafstadt.“ | |
Dem Bezirk freilich scheint das nichts auszumachen. Zeidler sagt: „Das | |
Problem ist, dass das historische Ausflugsziel, wie es einmal bestand, | |
nicht wiederherstellbar ist, weil diese Art der Freizeitgestaltung | |
heutzutage so nicht mehr funktioniert.“ | |
16 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.buergerhaus-gruenau.de/ | |
[2] https://www.terragon-gmbh.de/aktuelles/pressemitteilungen/terragon-baugeneh… | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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