# taz.de -- Berlin auf dem Wasser: Rudern bis zum Kanzleramt | |
> Am Samstag startet zum 89. Mal die Internationale Regatta „Quer durch | |
> Berlin“. Der einst elitäre Männersport hat hier immer viele Anhänger | |
> gefunden. | |
Bild: Am Ufer des Neuen See | |
Für einen Tag also werden die Ruderboote wieder sichtbar sein. Nicht | |
irgendwo weit da draußen am Wannsee oder am Müggelsee, sondern auf der | |
Innenstadt-Spree, für die 89. Internationale Regatta „Quer durch Berlin“. | |
„Wir wollen den Sport in die Innenstadt bringen, ähnlich wie beim | |
Marathon“, sagt Michael Hehlke, Geschäftsführer beim Landesruderverband | |
(LRV). „Wir wollen nicht in der Peripherie bleiben.“ Tatsächlich wirkt die | |
Verteilung der Berliner Rudervereine auf der Landkarte, als würden sie von | |
zwei mächtigen Magneten auseinander gezogen: Die eine Hälfte hat ihr | |
Vereinsheim tief im Westen, an der Havel, am Tegeler See, am Wannsee; die | |
andere Hälfte tief im Osten, an der Dahme und am Müggelsee. In der | |
Innenstadt sind sie längst verschwunden: Die RudererInnen mussten den | |
Sightseeing-Schiffen weichen. Rudern auf der Innenstadt-Spree ist wegen der | |
vielen Touristenboote verboten, bis auf wenige Ausnahmetage. Wie diesen. | |
„Bei einer Event-Metropole wie Berlin haben wir zu kämpfen, dass so was | |
hier stattfinden kann“, sagt Michael Hehlke. Meist aber klappte das. Die | |
Regatta „Quer durch Berlin“ gibt es seit den zwanziger Jahren, nach einigen | |
Kriegs- und Mauerbau-Unterbrechungen ist sie erst in den achtziger Jahren | |
wieder wirklich populär geworden. Rund hundert Ehrenamtler inklusive | |
Helfern des Tenchnischen Hilfswerks, der DLRG und Sanitätern stemmen die | |
zweitgrößte Regatta in Berlin: Über 140 teilnehmende Boote, Teams aus 95 | |
deutschen und europäischen Rudervereinen, darunter 23 Berliner Vereine, | |
insgesamt 850 TeilnehmerInnen, 34 Rennen in unterschiedlichen Klassen sind | |
es in diesem Jahr. Der älteste Teilnehmer ist 82 Jahre alt. | |
Und für alle gibt es Muskelsport. Sieben Kilometer lang Rudern, von Schloss | |
Charlottenburg bis zum Bundeskanzleramt, für Ruderrennen ist es eine lange | |
und anspruchsvolle Strecke. Eine Route voller Kurven, unter insgesamt 13 | |
Brücken hindurch. Und ein Tag Aufmerksamkeit für eine der ältesten | |
Sportarten der Welt, die aber auch ein bisschen bieder ist. Der das | |
aufregend Neue des Trendsports fehlt und der Kitzel riskanterer Sportarten | |
und die Massen des Fußballs. Und die zugleich in Berlin, meist wenig | |
beachtet, so viel betrieben wird wie kaum irgendwo sonst in Deutschland. | |
Einen Rekord halten die Ruderer sowieso: Die älteste noch genutzte | |
Sportanlage Berlins gehört ihnen, zumindest, wenn man Sportanlage großzügig | |
definiert. Es ist die Regatta-Strecke auf dem Langen See bei Grünau, wo | |
1880 das erste Rennen stattfand. Die ersten Berliner Rudervereine, die sich | |
um diese Zeit gründeten, waren inspiriert von den ruderfreudigen | |
Engländern, davon zeugen damalige Namen wie „Rudervereinigung All Right“, | |
die heute Treptower Rudergemeinschaft heißt. Und zutiefst elitär: Im 1883 | |
gegründeten Deutschen Ruderverband (DRV) durfte nicht beitreten, wer „als | |
Arbeiter durch seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient“. Frauen | |
waren in den Vereinen natürlich sowieso nicht erlaubt. Aber Innovation und | |
Rebellion kamen vor allem aus Berlin, der Reichshauptstadt, die mit ihren | |
Seen und Kanälen viele zum Paddeln einlud. Auch solche, die nicht | |
dazugehören sollten. | |
## Der erste Verein für Arbeiter | |
1892 gründete sich in Berlin der Arbeiter-Ruderverein Vorwärts, bei dem der | |
Beitrag 50 Pfennig pro Woche kostete. Auch Frauen durften beitreten und | |
taten es zahlreich. Mehrere Arbeitervereine schlossen sich bald darauf zum | |
Freien Ruderbund Berlin zusammen und wehrten sich gegen die selbstherrliche | |
bürgerliche Ruderwelt. Die Berliner Damen waren da schon längst eigene Wege | |
gegangen: 1894 gründeten sie die „Deutsche Amazonenflotte“, den ersten | |
Frauenruderverein überhaupt in Deutschland. Auch der erste langlebige | |
Frauen-Ruderclub, der FDRC, ist natürlich ein Berliner Verein. Die bizarre | |
Geschlechtertrennung aber lebt bis in die Gegenwart. Renommierte | |
Spitzenvereine wie der Berliner Ruder-Club oder die RG Wiking nehmen bis | |
heute keine Frauen auf. Als Reaktion gibt es bis heute reine Frauenvereine | |
wie den Frauen-Ruder-Club Wannsee oder seit 2015 den Neuköllner Ruderclub. | |
Viele Clubs immerhin sind mittlerweile gemischt. | |
Bei der Regatta „Quer durch Berlin“ sehen die Verhältnisse besser aus als | |
früher. 300 Frauen im Vergleich zu 500 Männern etwa sind es nach Angaben | |
des LRV. „Vor allem im Breitensportbereich kommen immer mehr Frauen“, so | |
Michael Hehlke. Das Rudern öffnet sich, mittlerweile gibt es auch | |
Handicap-Fahrten bei der Regatta; allerdings räumt der Geschäftsführer ein: | |
„Im Handicap-Bereich müssen wir uns noch weiter entwickeln.“ Sehr weiß | |
dominiert ist der Sport geblieben. Und den Ruf des Elitären sind sie nie | |
ganz los geworden. | |
Anders war das im Osten: Die Betriebssportgemeinschaften zu DDR-Zeiten | |
gaben endlich Arbeiterkindern massenhaft die Möglichkeit, zu rudern. Die | |
DDR-Ruderer waren Weltspitze, Top-Adressen wie der SC Dynamo Berlin | |
sammelten die Talente. Heute muss man sich Rudern wieder leisten können: | |
Der durchschnittliche Mitgliedsbeitrag für Erwachsene im Sportverein liegt | |
bei monatlich sechs Euro; im Ruderverein ist es schon mal das Zehnfache. | |
Der berühmte Berliner Ruder-Club etwa verlangt jährlich bis zu 740 Euro für | |
die Mitgliedschaft. Zumindest gibt es aber bei manchen Vereinen wie der | |
Treptower Rudergemeinschaft Rabatte für Arbeitslose, die dann 33 Euro im | |
Quartal zahlen. Auch die Suche nach jüngeren Mitgliedern ist offenbar nicht | |
leicht. „Die Nachwuchssituation in den Berliner Vereinen ist sehr | |
unterschiedlich“ erzählt Hehlke. „Wenn wir 15 bis 20 Prozent Jugendliche | |
haben, ist das im Rudersport viel. Es gibt mit den Booten einen hohen | |
Betreuungsaufwand, das ist das Problem.“ Er wünscht sich daher mehr | |
Ausbilder in den Vereinen. | |
Seinen Posten als Rudermetropole aber hat Berlin auch so behalten, nicht | |
nur im Spitzensport. Mit rund 9.500 Freizeitruderern belegt das Land Berlin | |
laut LRV Platz zwei in ganz Deutschland. | |
5 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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