# taz.de -- Aus der Quoten-taz: Der weibliche Blick auf den Krieg | |
> Viele Kriegsreporterinnen erliegen dem Reiz der Kalaschnikows genauso wie | |
> ihre Kollegen. Dabei wären sie da wichtig, wo Männer keinen Zutritt | |
> haben. | |
Bild: Marie Colvin auf dem Tahrirplatz in Kairo. Die Kriegsreporterin starb im … | |
Das ist ja mal was ganz Neues: Es herrscht Krieg – und die Frauen berichten | |
darüber. Den Eindruck mussten jedenfalls englischsprachige Fernsehzuschauer | |
haben, als im August 2011 Rebellen in die libysche Hauptstadt Tripolis | |
einrückten. Egal, ob sie durch CNN, Sky Channel oder Al Jazeera English | |
zappten – live vom Grünen Platz meldeten sich Korrespondentinnen. „Na | |
und?“, fragte später Zeina Khodr von Al Jazeera und wunderte sich, warum | |
westliche Medien so viel Aufhebens machten. | |
Nun ja, vielleicht, weil das weibliche TV-Trio vom Grünen Platz keineswegs | |
selbstverständlich ist. Krisen- und Sportjournalismus galten und gelten als | |
männliche Bastionen – wobei die Kolleginnen vom Sport nach meiner | |
Beobachtung mehr zu kämpfen haben als die Kriegs- und Krisenreporterinnen. | |
Letztere sind jedenfalls schon viel länger bei der Sache. | |
„War seen through a woman’s eyes“ lautete die Titelzeile eine Reportage a… | |
dem griechisch-türkischen Krieg, erschienen 1897 im New York Journal, | |
geschrieben von Cora Stewart Taylor, einer der ersten Kriegsreporterinnen – | |
und wohl die Einzige, die nach ihrer journalistischen Laufbahn auf den | |
Beruf der Bordellbesitzerin umsattelte. | |
## Allerlei sexistischer Unsinn | |
Ihren Nachfolgerinnen haftete auch ohne illustren Lebenslauf das Etikett | |
der schrulligen Exotin an. Schlimmer wäre es gewesen, als Feministin zu | |
gelten – obwohl den Reporterinnen allerlei sexistischer Unsinn vorgehalten | |
wurde: geschlechtsbedingte Unfähigkeit zu korrekter Grammatik (so | |
formuliert im ersten Ratgeber „Journalism for Women“ aus dem Jahr 1898), | |
mangelnde körperliche und mentale Eignung, Neigung zu Panik (besonders in | |
Hörweite von Gewehrfeuer), zu gutes Aussehen, zu schlechtes Aussehen, | |
Egoismus (weil eine Journalistin mit Kindern angeblich nichts in einem | |
Krisengebiet verloren hat – im Gegensatz zu einem Journalisten mit | |
Kindern). Nicht zu vergessen das beliebte Argument, Krisenberichterstattung | |
sei für Frauen zu gefährlich. | |
Die Sache mit der Grammatik ist inzwischen aus der Welt, die anderen | |
Klischees halten sich hartnäckig. Erinnert sei an den Appell der | |
französischen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“, Kolleginnen aus Ägypten | |
abzuziehen, nachdem es am Tahrirplatz zu üblen sexuellen Übergriffen auf | |
ausländische Korrespondentinnen gekommen war. Gut gemeint – und trotzdem | |
daneben. Schließlich fordert auch niemand, keine Journalisten mehr nach | |
Syrien oder in den Kongo zu schicken, weil es zu gefährlich ist. | |
Korrespondentinnen berichten weiter aus Ägypten, manche fahren nach Syrien, | |
andere bleiben im Irak oder recherchieren in Somalia. Wie männliche | |
Kollegen eben auch. Das vorläufige Fazit ist ein banales: Frauen können | |
Krisenberichterstattung genau so gut. Und genau so schlecht. Sie können | |
eindringliche Bildreportagen aus dem Irak und Afghanistan liefern und | |
brillante Reportagen über Korruption und Staatskollaps schreiben. | |
## Frauen prahlen wie Männer an der Hotelbar | |
Sie können ebenso machohaft wie männliche Kollegen an der Hotelbar damit | |
prahlen, wie „fuckin’ amazing“ es damals mit den Amerikanern in | |
Falludschaoder nach dem Erdbeben auf Haiti war. Und sie sind im | |
Zweifelsfall genauso auf Waffen fixiert wie ihre Kollegen. Kalaschnikows | |
üben auf Journalisten beiderlei Geschlechts eine starke Faszination aus. | |
Ich habe es an mir und vielen Fotografinnen feststellen können: Bewaffnete | |
Männer (und Frauen) finden wir interessanter als unbewaffnete. Warum? Weil | |
ReporterInnen in Krisengebieten auf Drama, Zuspitzung und auf „das | |
Gefährliche“ konditioniert sind. Und weil es nicht so einfach ist, sich | |
diese Konditionierung wieder abzutrainieren. | |
Gibt es ihn denn überhaupt, den „weiblichen Blick auf den Krieg“? Ja. Er | |
hat bloß weniger mit Geschlechtszugehörigkeit zu tun als mit sozialer | |
Konstruktion des Männlichen und Weiblichen. In „War seen through a woman’s | |
eyes“ berichtete Cora Stewart Taylor, wie verwundete griechische | |
Freiwillige einem erbärmlichen Tod überlassen wurden. Eine Frau konnte das | |
aufschreiben. Einem Mann wäre das als Weinerlichkeit ausgelegt worden. | |
## „Feminin“ und „maskulin“ sind immer relativ | |
Vierzig Jahre später verfasste die Amerikanerin Martha Gellhorn leise, aber | |
erschütternde Artikel aus dem Spanischen Bürgerkrieg – ein starker Kontrast | |
zu den testosterongeschwängerten Reportagen ihres Ehemannes Ernest | |
Hemingway. Gelobt wurde sie allerdings für ihren „antifemininen“ Stil, der | |
frei von „hemmungslosem Mitleid“ und Übertreibungen sei. „Feminin“ und | |
„maskulin“ sind immer relativ. | |
Über ein halbes Jahrhundert später, im Bosnienkrieg, war der „weibliche | |
Blick“ dann nicht mehr ungewöhnlich. Er bestimmte zu einem erheblichen Teil | |
die internationale Wahrnehmung dieses Krieges: Frauen wurden sehr konkret | |
als Opfer von Massenvergewaltigungen beschrieben. Womöglich würden diese | |
Verbrechen heute nicht vor internationalen Tribunalen verhandelt, wären | |
damals nicht deutlich mehr Reporterinnen vor Ort gewesen als in vorherigen | |
Kriegen. Nicht weil Männer das Thema ignorierten, sondern weil die | |
vergewaltigten Frauen oft nur mit anderen Frauen darüber reden wollten. | |
## Leichterer Zugang zu beiden Geschlechtern | |
Zum ersten Mal kam für Reporterinnen ein biologischer Vorteil ins Spiel: | |
Wir haben in Kriegs- und Krisengebieten leichteren, oft viel leichteren | |
Zugang zu beiden Geschlechtern. Nicht nur in Bosnien. In Afghanistan mögen | |
sich die Hierarchien weigern, mir die Hand zu geben. Aber mir hat noch | |
keiner ein Interview verweigert, weil ich eine Frau bin. Anders als meine | |
männlichen Kollegen kann ich aber auch ohne Weiteres mit Afghaninnen reden, | |
ohne einen Aufruhr zu provozieren. | |
Haben wir Berichterstatterinnen aus diesem Vorteil etwas gemacht? | |
Jedenfalls nicht genug. Frauen in Kriegs- und Krisenländern kommen in | |
unseren Berichten heute prominenter vor als noch vor zehn oder zwanzig | |
Jahren. Aber sie erscheinen überwiegend in der Rolle der wehrlosen Opfer – | |
im Zweifelsfall zu retten durch ausländische Helfer. Männer wiederum | |
tauchen als böse oder gute Soldaten oder als böse oder gute Rebellen auf. | |
Hauptsache: Kalaschnikow. | |
## Anders wäre, im größten Irrsinn den Alltag zu sehen | |
Mit der Wirklichkeit in den betreffenden Gesellschaften hat das wenig zu | |
tun. Die Kunst besteht darin, auch im größten Irrsinn den Alltag zu sehen | |
und zu beschreiben. Wer nur nahe genug rangeht, entdeckt, dass in | |
Afghanistan Familienstrukturen nicht einfach nach dem „Männer unterdrücken | |
Frauen“-Schema funktionieren, sondern sehr viel komplizierter sind. Oder | |
dass im Kongo die übergroße Mehrheit der Männer eben kein Gewehr in die | |
Hand nehmen will, um sich das Geld zum Überleben mit Gewalt zu holen. | |
Ist das ein „weiblicher Blick“? Es ist eher ein stiller, präziser, | |
geduldiger Blick, der oft mehr fragt, als er beantworten kann. Das ist | |
womöglich ganz heilsam in Zeiten, in denen nicht nur Militärs, sondern | |
inzwischen auch Hilfsorganisationen JournalistInnen „embedden“. | |
Gut: Er strengt auch an, dieser Blick, die AutorInnen ebenso wie das | |
Publikum. Aber diese Zeit und diesen Raum sollten wir uns geben. | |
17 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Andrea Böhm | |
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