# taz.de -- Auftakt der Fußball-EM mit Italien: Sturm und Drang | |
> Das italienische Team revolutioniert unter Trainer Mancini sein Spiel – | |
> ohne Weltstars und mit Offensivgeist. Erster EM-Gegner ist am Abend die | |
> Türkei. | |
Bild: Mitreißend: Lorenzo Insigne ist zu einem Anführer im Team gereift | |
„Gewinnen wir doch gleich alle sieben Spiele“, gab Nationaltrainer Roberto | |
Mancini als Marschroute für diese EM aus. Das klingt ambitioniert, vor | |
allem, [1][wenn man noch an den Tiefpunkt des WM-Verpassens vor drei Jahren | |
denkt.] Es klingt auch ambitioniert, weil im Kader der Squadra Azzurra kein | |
richtiger Weltstar das Zepter schwingt. | |
Aber die Stärke ist der kollektive Zusammenhalt und das Wissen um Laufwege | |
und Systeme. Mancini, nach dem Desaster 2018 ins Amt gekommen, setzte schon | |
früh auf ein 4:3:3-System. Jeder weiß, was er an seiner Position zu tun | |
hat. Schwer ersetzbar sind wegen ihrer individuellen Stärken wohl nur der | |
mitunter genialische Mittelfeldlenker Marco Verratti und Linksaußendribbler | |
Lorenzo Insigne. Für alle anderen Planstellen, auch im Tor, das nach | |
gefühlten 100 Jahren nicht mehr von Gianluigi Buffon gehütet wird, gibt es | |
gleichwertigen Ersatz. | |
Hinzu kommt, dass das eine Jahr Verschiebung von allen Mitfavoriten wohl am | |
meisten der italienischen Auswahl genutzt hat. Dauertalent Insigne ist | |
mittlerweile zum verlässlichen Anführer gereift. Passverteiler Jorginho | |
kommt mit dem Selbstvertrauen der mit dem FC Chelsea gewonnenen Champions | |
League zur Euro. Nebenmann Nicolò Barella war mit seinem präzisen Passspiel | |
und seinen unter Antonio Conte noch verstärkten Ballgewinnfertigkeiten der | |
Motor bei Inter Mailands Titelgewinn in der Serie A. Und in Rechtsaußen | |
Federico Chiesa verfügt Italien nun über ein Insigne in Sachen Dribbelkunst | |
und Ideenreichtum gleichwertiges Pendant auf der anderen Angriffseite. | |
In der Qualifikation hat die Truppe ihre Fähigkeiten auch nachgewiesen. | |
Alle zehn Qualifikationsspiele wurden gewonnen, dabei 37 Tore geschossen | |
und nur vier zugelassen. Gut, die Gegnerschaft war mit Finnland, | |
Griechenland oder Bosnien-Herzegowina alles andere als erstklassig. Ein 1:0 | |
gegen die Niederlande bei der Nations League in Amsterdam im letzten Jahr | |
und das glatte 4:0 gegen Tschechien im letzten Freundschaftsspiel vor der | |
Euro zeigen aber auch, dass höher dotierte Rivalen bezwungen, ja sogar | |
beherrscht werden können. | |
## Philosophie des Angreifers | |
„Wir wollen gut spielen und gewinnen“, formuliert Mancini als Anspruch an | |
seine Truppe. Das ist ein Paradigmenwechsel für die viele Jahrzehnte lang | |
vor allem für ihre beinharte Verteidigung gefürchtete Auswahl. Statt Tore | |
verhindern und das Spiel des Gegners zerstören zu wollen, will Mancini | |
lieber ein Tor mehr schießen als selbst zulassen. | |
Das entspricht der Philosophie des früheren Angreifers, der selbst | |
technisch sehr beschlagen war. Es passt aber auch zur aktuellen Generation | |
der Talente und Halbtalente vor allem in der Spiel gestaltenden Zone. Neben | |
den gesetzten Verratti, Jorginho und Barella kann Mancini noch über den | |
Spielmacher der AS Roma, Bryan Cristante, und das beim FC Sassuolo wieder | |
aufgeblühte Talent Manuel Locatelli verfügen. Perspektivisch hat er den | |
bereits [2][mit Andrea Pirlo verglichenen] Sandro Tonali sowie den wegen | |
Verletzung fehlenden Stefano Sensi. Bis 2026 geht sein frisch verlängerter | |
Vertrag. Mancini, der als Spieler niemals Welt- oder Europameister wurde, | |
will diese Lücken in seinem persönlichen Trophäenschrank nun von der Bank | |
aus schließen. | |
Pikant ist, dass ausgerechnet das Prunkstück der früheren Jahre, die | |
Abwehr, nicht mehr hochkarätig besetzt ist. Die Heroen Giorgio Chiellini | |
und Leonardo Bonucci sind mit 36 und 34 Jahren dem Fußballerrentenalter | |
beträchtlich nahe gerückt und haben an Schnelligkeit weiter verloren. Ihre | |
Erfahrung ist aber enorm wichtig. Zur Kompensation der physischen Defizite | |
hat Mancini den sehr laufstarken und physisch robuster gewordenen Barella | |
als Staubsauger vor der Abwehr installiert. In seiner Doppelfunktion als | |
Spielflussregulator und Unterbrecher der gegnerischen Offensive ist der | |
gebürtige Sarde auch der heimliche Held dieser Auswahl. | |
Was Italien jetzt nur noch bremsen kann, ist ein Übermaß an Euphorie. Die | |
Stimmung ist gefährlich gut. Sollte es im Eröffnungsspiel gegen die | |
unberechenbare türkische Elf einen Dämpfer geben, ist die Gefahr des | |
Umschlagens in eine kollektive Depression sehr hoch. Das Anspruchsmanagment | |
ist derzeit die wohl größte Herausforderung für Erneuerer Mancini. | |
11 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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