# taz.de -- Aufnahme von afghanischen Geflüchteten: Ein moralisches Dilemma | |
> Wen zuerst aus Afghanistan rausholen? Gefährdete, die sich verstecken | |
> oder die, die es an den Flughafen schaffen? Jetzt heißt es: pragmatisch | |
> vorgehen. | |
Bild: Das Zeitfenster zur Rettung von Menschen aus Afghanistan schließt sich | |
Tausende Demonstrierende gehen in Deutschland auf die Straße, um für eine | |
Aufnahme von gefährdeten Menschen aus Afghanistan zu protestieren. Sie | |
haben gute und richtige Gründe: Es kann nicht angehen, dass nur diejenigen | |
eine Aufnahme finden, die als Ortskräfte der Bundeswehr geholfen haben. Die | |
Taliban bedrohen Frauenrechtlerinnen und Journalisten, Menschenrechtler, | |
Entwicklungshelfer, Demokratinnen und überhaupt alle, die sich den | |
Vorstellungen einer islamistischen Gesellschaft entgegenstellen. | |
All diesen [1][Menschen Schutz zu gewähren], ist das Mindeste, was die | |
demokratischen Staaten nach dem Afghanistan-Desaster jetzt leisten müssen, | |
wenn ihre Vorstellungen von Menschenrechten mehr als nur das Papier wert | |
sein sollen. Die Zahl dieser Schutzsuchenden zählt nach Hunderttausenden – | |
und nicht nach der begrenzten Zahl, die tatsächlich ausgeflogen werden | |
soll. Wie aber kann das bewerkstelligt werden? | |
Soll man all diejenigen ausfliegen, die in die Nähe des Flughafens von | |
Kabul gekommen sind in der Hoffnung, irgendwie das Land zu verlassen? Oder | |
ist es sinnvoller, erst einmal die zu retten, die in existenzieller Gefahr | |
schweben und denen man diese Hilfe versprochen hat? Absehbar ist dabei, | |
dass sich das Zeitfenster der Hilfe schon bald schließen wird, sei es | |
aufgrund der Anordnungen der Taliban oder der US-Regierung. | |
Bei diesem moralischen Dilemma gibt es keine einfache Antwort. Es kann | |
nicht richtig sein, dass halbleere Maschinen abfliegen, nur weil sich | |
gerade im Chaos nicht genügend Menschen finden, die einen berechtigten | |
Anspruch zur Ausreise besitzen. Es wäre aber auch falsch, die am Flughafen | |
Wartenden aufzunehmen, während für diejenigen, die versteckt auf ihre | |
Rettung warten, die Zeitspanne für Hilfe verrinnt. | |
Und es könnte die [2][Lage am Flughafen] endgültig außer Kontrolle bringen, | |
wenn sich in Kabul herumsprechen würde, dass dort eine Ausreise garantiert | |
wäre. Es gibt für dieses Dilemma keine moralisch einwandfreie Lösung. Die | |
in Kabul eingesetzten Bundeswehrsoldaten müssen pragmatisch handeln und | |
retten, wer zu retten ist. Es ist absehbar, dass nicht alle dringend | |
Schutzbedürftigen gerettet werden können. | |
Ebenso gewiss ist es, dass nicht jeder, der am Airport Hitze und Durst | |
trotzt, das Land wird verlassen können. Vor einigen Tagen ging eine Meldung | |
um die Welt, dass eine einzige [3][US-Militärmaschine] 823 Menschen | |
ausgeflogen hat. Das Flugzeug war in Kabul von Verzweifelten gestürmt | |
worden und die Besatzung entschied, diese Menschen nicht wieder von Bord zu | |
zwingen. Ihr Vorgehen entsprach wohl kaum den Richtlinien. Aber es zeigte | |
Menschlichkeit. | |
22 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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