| # taz.de -- Aufklärungsfilm für Migrantinnen: Panik vor dem Stuhl | |
| > Manche Migrantinnen gehen aus Sorge um ihr Jungfernhäutchen nicht zum | |
| > Frauenarzt. Der Film zweier Frauen soll ihnen die Angst nehmen. | |
| Bild: Löst bei vielen Mädchen Angst und Scham aus: Frauenarztstuhl. | |
| Hamburg taz | Kann das Jungfernhäutchen bei der Untersuchung bei der | |
| Frauenärztin reißen? Und wie furchtbar ist eigentlich dieser Stuhl? Über | |
| solche Fragen kursieren viele Gerüchte, aber richtig Ahnung haben die | |
| meisten Mädchen nicht, sagt Saniya Hassani. Die 21-Jährige floh gemeinsam | |
| mit ihrer älteren Schwester aus Afghanistan nach Hamburg. | |
| „Im Ausland ist das Thema Sexualität oft ein Tabu“, sagt sie. An | |
| Informationen zu kommen, sei gerade für Migrantinnen schwierig: „Als ich | |
| meine Mutter gefragt habe, woher Kinder kommen, sagte sie nur: Aus dem | |
| Bauch.“ | |
| Damit wollte sich Hassani nicht zufrieden geben. Gemeinsam mit ihrer | |
| Schwester Baran drehte sie den Kurzfilm [1][„Gut zu wissen – Besuch bei der | |
| Frauenärztin“]. Sieben Minuten lang geht darin die 16-jährige Leyla, eine | |
| fiktive Jugendliche, der Frage nach, was eigentlich genau in der Praxis | |
| passiert. | |
| Sie interviewt dafür ihre Frauenärztin. „In der ersten Woche des Projekts | |
| habe ich erst einmal selbst ganze viele Informationen bekommen“, sagt | |
| Hassani. „Vorher wusste ich fast nichts.“ | |
| Für den Film in Stopp-Trick-Animation zeichnete sie die Figur Leyla, in | |
| verschiedenen Varianten – etwa mit verschiedenen Blickrichtungen. Durch den | |
| Schnitt bewegt sich die Figur im Video. Unterstützung bekamen die Hassanis | |
| vom Medienzentrum St. Pauli. | |
| „Ich war überrascht, als sie mit diesem Thema auf mich zu kamen“, sagt | |
| Sexual- und Medienpädagogin Christina Witz. Sie ermutigte die Schwestern, | |
| auch Zeichnungen der Vagina einzubinden. „Wir wollten Bilder, die nicht | |
| peinlich berühren, aber die klar machen, wovon wir da reden.“ | |
| Anfang 2015 wurde der Film fertig. Fast anderthalb Jahre Arbeit stecken | |
| darin. Durch Spenden konnte er auf Deutsch, Türkisch, Persisch, Englisch | |
| und Arabisch übersetzt werden. Die Filmemacherinnen wollten möglichst viele | |
| Jugendliche erreichen. | |
| Baran und Saniya Hassani kamen vor dreieinhalb Jahren ohne ihre Eltern nach | |
| Deutschland. In Hamburg lebten sie zunächst in einer Mädchenwohngruppe. | |
| Dort habe eine Bekannte nach einem Besuch bei der Frauenärztin erzählt, | |
| dass ihr Jungfernhäutchen bei der Untersuchung beschädigt worden sei. | |
| „Sie und die Ärztin konnten sich nicht richtig verständigen“, sagt Saniya | |
| Hassani. Da sei es zu einem Missverständnis gekommen. Die Medizinerin habe | |
| angenommen, dass ihre Patientin schon Geschlechtsverkehr gehabt habe. Diese | |
| Geschichte hätte auch ihre eigene Angst verdoppelt, sagt Hassani. „Die | |
| Vorstellung war für mich ganz schrecklich.“ | |
| Helga Seyler arbeitet als Frauenärztin im Familienplanungszentrum in | |
| Hamburg und kommt im Film als Expertin zu Wort. Sie berät oft Mädchen, die | |
| sich Sorgen um ihr Jungfernhäutchen machen oder es wiederherstellen lassen | |
| wollen. „Dabei kann man es dem Jungfernhäutchen nicht ansehen, ob ein | |
| Mädchen Geschlechtsverkehr hatte“, sagt Seyler. Doch die Mädchen stünden | |
| von Seiten ihrer Familien unter Druck und hätten Angst, in der | |
| Hochzeitsnacht nicht zu bluten. | |
| Sie bewegten sich zwischen den konservativen Moralvorstellungen innerhalb | |
| ihrer Familien und einer sexuell liberalen Gesellschaft. „Die eigene | |
| Position zu finden, ist da ein schwieriger Prozess“, sagt Seyler. Angst und | |
| Scham vor der ersten Untersuchung hätten jedoch nicht nur Migrantinnen oder | |
| Musliminnen. „Das ist für alle Mädchen ein Thema“, sagt die Ärztin. | |
| Hassani macht gerade ihr Abitur und will danach Chemie studieren. Den | |
| fertigen Film hat sie ihrer Klasse gezeigt. „Freundinnen von mir haben | |
| jetzt keine Angst mehr, zum Frauenarzt zu gehen“, sagt sie. Sie sei stolz, | |
| dass ihr Film das bewirkt habe. Die Mädchen wüssten jetzt: „So schlimm ist | |
| es gar nicht.“ | |
| 17 Aug 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://gutzuwissenfilm.wordpress.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andrea Scharpen | |
| ## TAGS | |
| Aufklärung | |
| Sexualität | |
| Gynäkologie | |
| Untersuchung | |
| Filmförderung | |
| Flüchtlinge | |
| Kiez | |
| Liebe | |
| Feminismus | |
| Postpunk | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Filmförderin Eva Hubert über norddeutsche Regisseure und Geld: „Die Kleinen… | |
| Eva Hubert, Chefin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, geht in | |
| Rente. Die taz sprach mit ihr über Namen, Gremien und ihren Abschied. | |
| Diskriminierung: Ankunft mit Nebenwirkungen | |
| Die Hamburger Linke macht auf die Diskriminierung queerer Flüchtlinge in | |
| den Unterkünften aufmerksam und fordert sicheren Wohnraum. | |
| Buchautor über sexuelle Gebärden: „Mein Vorbild ist Beate Uhse“ | |
| Wolfgang Schinmeyer hat ein Gebärden-Wörterbuch über die Reeperbahn | |
| herausgegeben. Mit Zeichen für „Kondom“ oder „Prostituierte“ will er | |
| Sexualität normalisieren. | |
| Erzählungen von A. L. Kennedy: Kondome mit Schokoladengeschmack | |
| Komik und Zartheit: In ihren neuen Geschichten versetzt die britische | |
| Autorin sich gern in die männliche Perspektive. | |
| Kolumne Luft und Liebe: Sex, Sex, Sex, Sex und ein Aber | |
| Es gibt jede Menge Frauen, die über schiefgelaufenen, merkwürdigen, | |
| unbeblümten Sex schreiben, und sie machen das gut. Aber etwas fehlt. | |
| Neues Album von Sleater-Kinney: Feminismus fürs 21. Jahrhundert | |
| Das US-Postpunk-Trio veröffentlicht mit „No Cities to Love“ ein hymnisches | |
| neues Album – das die Riot Grrrl-Bewegung wieder zünden lässt. |