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# taz.de -- Armutskongress und linke Parteien: Abgehängt auch im Wahllokal
> Dass linke Parteien Arme nicht mehr erreichen ist selbstverschuldet,
> heißt es auf dem Armutskongress. In Zukunft braucht es einen langen Atem.
Bild: Hat womöglich wichtigere Probleme als einen Wahlzettel: Obdachloser in S…
Berlin taz | SchülerInnen, die fürs Klima auf die Straße gehen, ein
Volksbegehren gegen die grassierende Wohnungsnot – politisches Engagement
scheint derzeit einen kleinen Boom zu erleben. Auch die Wahlbeteiligung
steigt seit einigen Jahren wieder. Nur: Unverändert sind es vor allem
finanziell besser gestellte Menschen, die politisch partizipieren. Arme
hingegen bleiben auch im Wahllokal häufig außen vor. Was tun? Der
Armutskongress der Sozialverbände, der in dieser Woche in Berlin stattfand,
versuchte sich an Antworten.
Denn dass die soziale Kluft allein aus demokratischer Sicht ein Problem
ist, liegt auf der Hand: Gehen ärmere Menschen nicht wählen, werden ihre
Interessen politisch weniger berücksichtigt. Die Zahlen dazu sind klar:
Laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung gingen im Jahr 2016
weniger als zwei Drittel der Erwerbslosen zur Wahl – während es unter den
Erwerbstätigen ganze 88 Prozent waren. Bei anderen Beteiligungsformen wie
Demos oder Bürgerinitiativen ist das Ungleichgewicht noch stärker.
Eine erste Erkenntnis auf dem Armutskongress klang für die linken Parteien
eigentlich ermutigend: Es ist vor allem das geschätzt ein Viertel der
BürgerInnen – die Abgehängten und Politikfernen –, die finanziell am
meisten von linker, progressiver Politik profitieren würden, sagte Jana
Faus von der Forschungsagentur pollytix, die an der [1][Aufarbeitung des
SPD-Bundestagswahlkampfs 2017] beteiligt war.
Warum aber erreichen SPD, Grüne und Linkspartei diese Menschen trotzdem so
schwer? Weil sie komplett das Vertrauen in die Politik verloren haben: „Die
bringen abends ihr Kind ins Bett und gehen danach noch zu ihrem Zweit- oder
Drittjob“, sagte Faus. Da sie jeden Tag darum kämpften, selbst über die
Runden zu kommen, erhofften sie sich von der Politik nichts – was sich
linke Parteien, Stichwort Agenda 2010, auch selbst zuzuschreiben hätten.
Schnell wurde klar, dass es sich dabei um ein tiefer liegendes,
strukturelles Problem handelt. Eines, dass mit einfachen Instrumenten kaum
zu lösen ist. Absenkung des Wahlalters? Wählen im Supermarkt?
Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht darin kaum Abhilfe. „Nicht jede
Steigerung der politischen Beteiligung sorgt für ein Schließen der sozialen
Schere“, sagte der Wahlforscher von der FU Berlin. Von derlei Maßnahmen
profitierten vor allem diejenigen, die ohnehin politisch interessiert sind.
Eine Wahlpflicht könnte helfen, sei politisch aber kaum umsetzbar, so Faas.
## Ein langer Atem ist nötig
Die zweite Botschaft der Debatte dürfte den Parteien aus dem linken
Spektrum wenig gefallen. Neben der Europawahl stehen in diesem Jahr auch
mit Bremen, Thüringen und Brandenburg in drei Ländern Wahlen an, in denen
linke Parteien regieren. Denn, da waren sich beide ReferentInnen einig,
kurzfristig dürften die Parteien kaum mehr ärmere Menschen erreichen.
Vielmehr sei ein langer Atem nötig. Und Gesichter: „Die Kirche verliert
auch an Vertrauen, aber Pfarrer Müller wird trotzdem vertraut“, sagte Faus.
Politiker müssten vor Ort sein, die Alltagssorgen der Menschen lösen. Und
das nicht nur in Wahlkampfzeiten. Auch in der politischen Bildung müsse
mehr getan werden, meinte Faus.
Dass dazu viel Ausdauer nötig ist, offenbart eine zeitgleich zum Kongress
[2][veröffentlichte Infratest-Umfrage]. Vor dem anstehenden 70. Geburtstag
des Grundgesetzes wurde die Zufriedenheit der Deutschen mit der Demokratie
abgefragt. Besonders hoch war die Unzufriedenheit der Menschen mit kleinem
Einkommen: Unter jenen mit weniger als 1.500 Euro Nettoeinkommen äußerten
sich ganze 47 Prozent unzufrieden – unter den Gutverdienenden waren es nur
29 Prozent.
11 Apr 2019
## LINKS
[1] /Externe-Wahlkampfanalyse/!5509243
[2] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/grundgesetzstud…
## AUTOREN
Daniel Godeck
## TAGS
Schwerpunkt Armut
Agenda 2010
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Justiz
Schwerpunkt Ostdeutsche und Migranten
SPD
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