# taz.de -- Armenier in Russland: Heimat für schlechte Zeiten | |
> 2016 ging Lewon von Armenien nach Russland, in der Hoffnung auf ein | |
> besseres und sichereres Leben. Nun könnte er dort als Soldat eingezogen | |
> werden. | |
Bild: Der Flughafen Swartznoz in der armenischen Hauptstadt Jerewan | |
Die ganze Familie ist zum Jerewaner Flughafen Swartznoz gekommen, um Lewon | |
abzuholen: In den letzten sieben Jahren haben sie ihn nur im Videocall | |
gesehen. An der Passkontrolle holt Lewon stolz seinen armenischen Reisepass | |
heraus und hält ihn dem Beamten hin: | |
„Woher kommen Sie?“ | |
„Aus Russland.“ | |
„Grund Ihres Besuches?“ | |
„Hier ist meine Heimat.“ | |
„Wie lange wollen Sie in Armenien bleiben?“ | |
„Bis meine Sehnsucht gestillt ist.“ | |
Zu Hause zeigt Lewon glücklich seinen neuen roten Reisepass, auf dessen | |
Erhalt er sechseinhalb Jahre warten musste. Armenien hatte er [1][nach dem | |
Krieg] im April 2016 verlassen. | |
In Russland erwarteten ihn Frieden und ein sicherer Arbeitsplatz. Den hatte | |
ihm ein Onkel vermittelt, der schon in den 90er Jahren nach Russland | |
emigriert war. | |
Seinen Freunden gegenüber bekannte Lewon jedoch später, dass es weniger die | |
Sehnsucht nach der Heimat gewesen war, die ihn nach Armenien geführt hatte. | |
Drei Monate zuvor hatte er die russische Staatsbürgerschaft bekommen, | |
wenige Wochen darauf kam der erste Musterungsbescheid, den er ignorierte. | |
Zwei Wochen vor seiner Abreise nach Armenien bekam er den zweiten. | |
## Staatsbürgerschaft als Ticket in den Krieg | |
In Russland hatte Lewon es in den vergangenen Jahren geschafft zu heiraten, | |
zweimal Vater zu werden und eine kleine Firma zu gründen. Das einzige | |
Problem war die fehlende Staatsangehörigkeit Russlands. Die zuständigen | |
Behörden hatten die Ausstellung jahrelang verzögert. | |
Aber seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat sich alles verändert. | |
Allein in den Jahren 2021 und 2022 haben mehr als 65.000 armenischstämmige | |
Menschen die russische Staatsbürgerschaft bekommen. Russland und Armenien | |
haben ein Abkommen über die [2][doppelte Staatsangehörigkeit], Armenier und | |
andere Ausländer haben jetzt „überraschend schnell“ die lang erwarteten | |
Pässe bekommen – und mit ihnen ein „Ticket in den Krieg“: | |
Lewon war gerade dabei, sich an die Heimat zu gewöhnen, die er vor Jahren | |
verlassen und deren Staatsbürgerschaft er nur für schlechte Zeiten | |
aufbewahrt hatte, als es erneut bei ihm an der Tür klopfte. Der Briefträger | |
brachte ihm ein weißes Kuvert mit dem Wappen Armeniens. In dem Umschlag | |
befand sich der Einberufungsbescheid für ein dreimonatiges militärisches | |
Ausbildungslager, was nach dem [3][armenisch-aserbaidschanischen Krieg von | |
2020] obligatorisch ist. | |
Zwei Wochen später fuhr Lewon wieder zum Flughafen. An der Passkontrolle | |
zog er den armenischen Reisepass aus der Tasche. | |
„Wohin wollen Sie?“ | |
„Nach Russland.“ | |
„Grund Ihres Besuches?“ | |
„Ich weiß es selbst nicht.“ | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der [6][Verlag edition.fotoTAPETA] | |
im September 2022 herausgebracht. | |
6 Jul 2023 | |
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[1] /Konflikt-um-Berg-Karabach/!5292596 | |
[2] /Streit-um-doppelte-Staatsbuergerschaft/!5905463 | |
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[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[5] /Panter-Stiftung/Projekte/Internationale-Projekte/Osteuropa/!p5113/ | |
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
## AUTOREN | |
Sona Martirosyan | |
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