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# taz.de -- Demos zum Al-Quds-Tag: Jede Menge Rundumschläge
> Zum 20. Mal wird an diesem Samstag der Al-Quds-Tag in Berlin begangen.
> Die Inhalte verschwinden hinter dem Ritual.
Bild: Parolen satt: Al-Quds-Demo 2015 in Berlin
Was haben die Ostermärsche, der 1. Mai in Berlin und die Proteste zum
Al-Quds-Tag gemeinsam? Richtig: die Gefahr, an der eigenen Ritualisierung
zu ersticken. Inhalte verschwinden, eine Aktualisierung findet nicht mehr
statt, stattdessen wird jedes Jahr die gleiche Platte abgespult, höchstens
aus einer Innensicht ist es noch möglich, die verschiedenen Jahre
auseinanderzuhalten.
Die Demonstrationen zum antizionistischen Al-Quds-Tag, ausgerufen 1979 vom
iranischen Ajatollah Chomeini als Tag der „internationalen muslimischen
Solidarität“ mit den PalästinenserInnen, sind nicht mehr zu retten. Das
lässt sich leicht an einigen Indizien festmachen.
Eins ist klar: Die Zeiten, in denen 2.500 Menschen an der jährlichen
Demonstration teilnehmen, sind längst Geschichte – das war nur um die
Jahrtausendwende so. Die Veranstalter, die Al-Quds-AG, werden wegen ihrer
mutmaßlichen Nähe zur libanesischen Miliz Hisbollah immer noch vom
Verfassungsschutz beobachtet.
Aber nur noch selten – nämlich immer dann, wenn sich der Nahostkonflikt
militärisch zuspitzt – folgen mehr als 1.000 Menschen dem Aufruf der
Veranstalter. Im letzten Jahr waren es statt der angemeldeten 2.500 rund
600 Personen, in diesem Jahr wird die Teilnehmerzahl voraussichtlich
ebenfalls unter der schon reduzierten Erwartung von 1.500 Menschen liegen.
Nur: Statt in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, wird die Aufmerksamkeit
für diesen Tag mit den Jahren eher größer als kleiner – inklusive der im
Vorfeld angestellten Spekulationen, wie viele TeilnehmerInnen es wohl
dieses Mal werden.
## Bizarre Bündnisse
Bei der antizionistischen Al-Quds-Demonstration laufen ultraorthodoxe Juden
mit, weil es nach ihrer Überzeugung keinen Staat Israel bis zur Ankunft des
Messias geben darf. Gegenveranstaltungen gibt es gleich zwei: eine große,
die von rechten israelischen Gruppen und der Jungen Union, aber auch dem
Schwulen- und Lesbenverband oder dem Sozialistischen Jugendverband Die
Falken unterstützt wird. Auf dieser wird der Innensenator Frank Henkel
(CDU) ebenso sprechen wie die Linkspartei-Politikerin Petra Pau. Dann gibt
es noch eine kleine Gegenveranstaltung, die von linksradikalen
antideutschen Gruppen veranstaltet wird.
Den Al-Quds-DemonstrantInnen gelang es in den letzten Jahren immer wieder
nur sehr dürftig, ihre antizionistische Israel-Kritik von antisemitischen
Motiven abzugrenzen. Der Zentralrat der Juden nannte die Demonstration in
dieser Woche eine „Schande“, die US-amerikanische Organisation American
Jewish Committee, die auch in Berlin einen Sitz hat, sprach von einem
„Islamistenaufmarsch“.
Zusätzlich überschattet wird der Tag in diesem Jahr von einer
Auseinandersetzung im März: Im Vorfeld des „Karnevals der Geflüchteten“
hatte das American Jewish Committee veröffentlicht, dass die beiden
MitinitiatorInnen Nadia und Maryam Grassmann vom Moabiter Theaterprojekt
Refugee Club Impulse nicht nur die Töchter des Al-Quds-Veranstalters Jürgen
Grassmann sind, sondern auf der Demonstration auch selbst schon Aufgaben
übernommen haben sollten.
Die öffentliche Reaktion war kurz, aber heftig, dem Projekt aus Moabit
wurden Fördergelder in Höhe von 100.000 Euro gestrichen. Während die
Beteiligung der Grassmann-Schwestern an der Demonstration unstrittig ist,
ist sowohl ihre genaue Rolle dort als auch die Frage, inwiefern sich das
auf ihre Arbeit im dem Theaterprojekt auswirkt, weiter ungeklärt.
## Erfrischende Position
Politisch ist am Al-Quds-Tag nicht mehr viel zu holen. Erfrischend wirkt da
die Position der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in
Nahost“: Sie holt zum Rundumschlag aus und übt an jeder der drei
Veranstaltungen an diesem Tag Kritik.
An der eigentlichen Demonstration kritisiert die Gruppe vor allem deren
Nähe zum iranischen Regime, das linke AktivistInnen, Frauen, Homosexuelle
sowie religiöse und ethnische Minderheiten unterdrücke. Doch auch die
InitiatorInnen der Gegendemonstration würden die aktuelle israelische
Regierung „unkritisch unterstützen“ und „militärische Aggressionen und …
israelische Besatzungspolitik“ befürworten. Das zeige sich auch in der
Person Izi Azharons, eines Neonazi-Aussteigers, der in jüngster Zeit als
Unterstützer der ultranationalistischen israelischen Gruppe Im Tirtzu
aufgetreten ist.
Die antideutsche Gegenkundgebung kommt ebenfalls nicht gut weg: Dass diese
in ihrem Aufruf auch die BDS-Bewegung anprangern, die sich für einen
Boykott israelischer Produkte einsetzt, obwohl diese mit dem Al-Quds-Tag
nichts zu tun haben, sei ein „unerträglicher Affront gegen jüdische und
palästinensische Friedensaktivist_innen weltweit“.
„In unseren Augen sind alle drei Veranstaltungen, also Demonstration,
Gegendemo und Gegenkundgebung ungeeignet, um emanzipatorischen,
antirassistischen oder Anti-Kriegs-Positionen Gehör zu verschaffen“, sagt
der Jüdische-Stimme-Aktivist Yossi Bartal.
Wer dieser Haltung folgt, kann sich an diesem Samstag also getrost einem
anderen Sommerritual widmen – und am See oder im Freibad, jedenfalls fernab
vom Ku’damm, die Beine hochlegen.
1 Jul 2016
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Al-Quds-Tag
Demonstrationen
Frank Henkel
Schwerpunkt Iran
BDS-Movement
Anti-Israel
Anti-Israel
Förderung
Al-Quds-Tag
Antisemitismus
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