| # taz.de -- Film über die Chebeya-Affäre im Kongo: „Ein politisches Erdbebe… | |
| > Thierry Michel über seinen Dokumentarfilm „Die Chebeya-Affäre: Ein | |
| > Staatsverbrechen?“, der vom Mord an Kongos berühmtesten Menschenrechtler | |
| > Floribert Chebeya handelt. | |
| Bild: Die Ermordung schlug im Kongo hohe Wellen, und die Dreharbeiten über die… | |
| Der Film „L'Affaire Chebeya: Un crime d'État?“ handelt von der Ermordung | |
| des berühmten kongolesischen Menschenrechtsaktivisten Floribert Chebeya in | |
| Kongos Hauptstadt Kinshasa am 1. Juni 2010, und vom Prozess gegen seine | |
| Mörder in der kongolesischen Polizei. Chebeyas Leiche wurde am 2. Juni, am | |
| Tag nach einem spätabendelichen Termin im Büro von Kongos Polizeichef, in | |
| seinem Auto am Stadtrand gefunden, umgeben von Kondomen, Frauenhaaren und | |
| Fingernägeln, um einen Sexualmord zu suggerieren. Aber das glaubte niemand, | |
| und es demonstrierten wütende Kongolesen unter der Parole „Kabila, | |
| Mörder!“. Der Cineast Thierry Michel kam wenig später nach Kinshasa, um | |
| diesen Film zu drehen. | |
| taz: Was ist für Sie die „Chebeya-Affäre“? | |
| Thierry Michel: Es ist die Geschichte, wie aus einer eigentlich banalen | |
| Nachricht ein politisches Erdbeben wird. Denn hinter der makabren | |
| Inszenierung von Chebeyas Mord verbirgt sich ein politisches Verbrechen, | |
| verübt an einer der charismatischsten, integersten Persönlichkeiten der | |
| kongolesischen Zivilgesellschaft: Floribert Chebeya, bereits in den 1990er | |
| Jahren unter der Mobutu-Diktatur unangefochtener Anführer des Kampfes um | |
| Menschenrechte im Kongo. Sehr schnell wird klar, dass er zweifellos von | |
| oberster Stelle ermordet wurde, im Büro des Stabschefs von Kongos | |
| Polizeichef. Und das einen Monat vor den Feierlichkeiten zum 50. | |
| Unabhängigkeitstag des Kongo. Das ist ein politisches Erdbeben, das nicht | |
| nur den Kongo erschüttert, sondern auch die internationale | |
| Staatengemeinschaft. Sie sieht sich gezwungen, Position zu beziehen, bevor | |
| der König von Belgien und andere Staatschefs nach Kinshasa reisen, um dem | |
| Kongo für 50 Jahre Unabhängigkeit zu gratulieren. So tappt der | |
| kongolesische Staat in seine eigene Falle. Der Mord an diesem großen | |
| Aktivisten, an dieser international anerkannten Persönlichkeit überschattet | |
| am Ende die Feierlichkeiten, und der kongolesische Staat ist gezwungen, | |
| einige hohe Polizeiführer festzunehmen und den Polizeichef zu suspendieren. | |
| Sie haben den Mordprozess von Anfang bis Ende verfolgt. Was halten Sie von | |
| seinem Ausgang? Ein hoher Polizist wurde zum Tode verurteilt. | |
| Es war ein ganz besonderer Prozess. Nach einem solchen staatlichen | |
| Verbrechen erwartet man natürlich eine Justizfarce. Und selbstverständlich | |
| war die polizeiliche Ermittlung völlig einseitig, mit Fälschung und | |
| Verschwindenlassen von Beweisen, um die Polizei zu entlasten: Die Polizei | |
| ermittelte gegen sich selbst, die Mörder ermittelten gegen sich selbst. Die | |
| gigantischen Lücken, Fälschungen und Lügen waren offensichtlich. Aber als | |
| dann das Militärgericht die Sache übernahm, weil ja die Beschuldigten | |
| Polizisten waren, änderte sich das. Der Prozess war keine Farce. Er war | |
| großes Theater, manchmal eine Lachnummer, zum Beispiel als die | |
| Beschuldigten behaupteten, Floribert sei gar nicht in ihren Büros gewesen, | |
| obwohl alle Indizien das bewiesen. | |
| Ein Zeuge hat Floribert Chebeya am fraglichen Abend sogar im | |
| Polizeihauptquartier gesehen... | |
| Er hat ihn gesehen, und zufällig waren die entsprechenden Seiten im | |
| Einlasskontrollbuch herausgerissen, die neu installierten | |
| Überwachungskameras funktionierten nicht, es war lächerlich. Aber das | |
| Tribunal handelte nicht wie in einer Bananenrepublik. Es gab den Willen, | |
| die Wahrheit zu finden, zu ermitteln, den Tatort zu besichtigen, die Tat zu | |
| rekonstruieren, alle Seiten anzuhören. Es ist klar, dass dieses Tribunal | |
| unter enormem Druck eines Staates stand, der nicht wollte, das man seine | |
| Schändlichkeiten, seine Lügen, seinen Verrat und seine Morde ans Tageslicht | |
| bringt. | |
| Aber diese Militärrichter gingen gegen andere Militärs vor - die | |
| beschuldigten Polizisten sind ja ebenfalls Militärangehörige - und so | |
| stellt dieser Prozess einen demokratischen Fortschritt dar, der deswegen | |
| besonders exemplarisch ist, weil andere Prozesse beispielsweise für die | |
| zahlreichen Morde an Journalisten eine komplette Farce gewesen sind. Das | |
| ging in diesem Fall nicht, weil es einen großen internationalen Druck gab, | |
| großes Medieninteresse. Man erlaubte mir ja sogar, die Verhandlung zu | |
| filmen, bis zum Plädoyer des Staatsanwaltes, das keinen Zweifel mehr | |
| zuließ, und dem Urteil: Todesstrafe - die im Kongo nicht mehr vollstreckt | |
| wird - gegen den Chef des Polizeigeheimdienstes, sowie gegen drei flüchtige | |
| Militärs, die man nie gesucht hat. | |
| Aber der Hauptbeschuldigte aus Sicht der Opferfamilien, Polizeichef General | |
| Numbi, wurde nicht einmal angeklagt. | |
| Er kam davon, und das ist ziemlich surreal, denn ihn bezeichneten die | |
| Nebenkläger und die Familien als Auftraggeber des Mordes, er hatte sich in | |
| seinem eigenen Büro mit Chebeya verabredet und vermutlich war das auch der | |
| Ort, wo der Mord begangen wurde. Die Begründung ist, dass General John | |
| Numbi ein Drei-Sterne-General ist, und ein Militärgericht, dessen Richter | |
| den Rang von Obersten haben, kann nicht jemanden Höherrangiges aburteilen. | |
| Es kann ihn nicht einmal als Zeugen laden. Das hinterlässt eine tiefe | |
| Unzufriedenheit. Ein zweiter Punkt ist der zweite Mord - Chebeyas Fahrer | |
| Fidèle Bazana, der mit Gewalt in das Polizeigebäude verschleppt wurde und | |
| verschwunden ist. Das Gericht erkannte sein Verschwinden und seine | |
| Entführung an, nicht aber seine Ermordung. Die Witwe sagte: Gebt ihn | |
| zurück, ob tot oder lebendig, damit ich trauern kann. Aber niemand ist | |
| dafür verurteilt worden. | |
| Wieso nennen Sie die Chebeya-Affäre ein „Staatsverbrechen“? | |
| Der Filmtitel lautet „Staatsverbrechen?“ mit Fragezeichen. Es ist eine | |
| Frage, die der Film stellt. Ich gebe darauf keine Antwort. Manche im Film | |
| geben eine Antwort. Ein Priester spricht bei einer Trauerfeier von einem | |
| Staatsverbrechen. Er sagt: Wenn diejenigen, die die Bürger schützen sollen, | |
| sie umbringen; wenn es keinen Rechtsstaat gibt; wenn der Staat Blut an | |
| seinen Händen hat - dann kann man von Staatsverbrechen sprechen. Ich sage | |
| nicht, dass es ein Staatsverbrechen gibt sobald Verantwortliche des Staates | |
| ein Verbrechen begehen. Das Urteil jedoch erkennt die Verantwortung des | |
| Staates an und verurteilt ihn zur Entschädigung der Opfer. Also gibt es | |
| eine Anerkennung der staatlichen Verantwortung. Haben die Täter ohne Wissen | |
| des Staates aus persönlichen Motiven gehandelt, oder im Interesse einer | |
| Faktion des Staatsapparates, oder in dem der Polizeiführung? Kann man dann | |
| von Staatsverbrechen sprechen? Dies ist die Debatte, die der Film auslöst. | |
| Was war denn das Motiv für den Mord an Chebeya? Einige sagen, Chebeya wurde | |
| umgebracht, weil er eine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof wegen | |
| Massakern in der Provinz Bas-Congo durch das berüchtigte Simba-Bataillon | |
| des Generals Numbi vorbereitete. | |
| Ich glaube, es gab viele Motive. Chebeya war ein Steinchen im Getriebe, der | |
| alle Menschenrechtsverletzungen denunziert, seit er im Untergrund gelebt | |
| hat, unter Mobutu und unter den beiden Kabilas. Er ist ein entschlossener | |
| Aktivist mit einem Ideal, und für den Staat ist er ein ständiger | |
| Störenfried. Er hat viele Dinge denunziert: die Ermordung der angeblichen | |
| Schwester des Präsidenten, die Haftbedingungen im Kongo, die gewaltsame | |
| Unterdrückung der Sekte Bundu Dia Kongo durch General Numbis Männer mit | |
| über 200 Toten im Jahr 2008. Die Drohung mit einem Verfahren vor dem | |
| Internationalen Strafgerichtshof lässt Verantwortliche von | |
| Sicherheitsdiensten, Staatschefs und Polizei- und Armeechefs immer zittern. | |
| Und man befand sich kurz vor dem 50. Unabhängigkeitstag, eine große | |
| Feierlichkeit zur Bestätigung des Regimes. Am Vorabend dieser Feiern kommt | |
| nun Chebeya und erhebt die Stimme gegen die Dramen des Kongo, gegen die | |
| „Alpträume“, wie er es nennt, gegen die soziale Ungleichheit, die wachsende | |
| Armut, die schlechte Regierungsführung, die Korruption. Diese Stimme stört | |
| das Bild, das das Regime von sich international geben möchte. Ich glaube, | |
| man wollte eine Warnung an alle aussprechen, die sich überlegten, das große | |
| Fest zu stören. In diesem Zusammenhang, glaube ich, muss man die Gründe für | |
| seine Ermordung begreifen. | |
| Sie haben den Prozess von Anfang bis Ende gefilmt. Wie haben Sie das | |
| gemacht? Es ist ja nicht leicht, im Kongo zu drehen. | |
| Das ist nie leicht. Aber hier muss ich sagen: Hut ab vor dem | |
| Militärgericht. Sie haben mir die Sache erleichtert. Ich habe gemerkt, dass | |
| das Militärgericht die ausländische Kamera brauchte - ich war die einzige | |
| nicht-kongolesische Kamera, die sich also nicht kontrollieren und zensieren | |
| ließ. Ich glaube, das Militärgericht hat mich ein wenig als Schutzschild | |
| benutzt, um das Größtmögliche an Unabhängigkeit zu bewahren, dass es haben | |
| konnte in einem so sensiblen Verfahren, wo es erheblichen politischen Druck | |
| geben würde. Diese Militärrichter sind Richter und Karrieresoldaten | |
| zugleich. Für sie war der Prozess gewissermaßen eine Revanche der | |
| traditionellen Streitkräfte gegen andere Militärs wie Numbi, die ohne | |
| Ausbildung an einer Militärakademie General werden oder die durch den | |
| Willen des Präsidenten aus Rebellenführern zu großen Chefs innerhalb des | |
| Staatsapparates werden. | |
| Ich muss objektiv sagen: Die Pressefreiheit wurde garantiert, selbst wenn | |
| hinter den Kulissen großer Druck herrschte. Zuweilen musste ich mich | |
| strategisch zurückziehen, um mich zu schützen, weil ich gewarnt wurde, dass | |
| ein Risiko bestünde - ein undefinierbares Risiko, kein präzises im Sinne | |
| einer drohenden Drehentzugsgenehmigung oder Ausweisung. Es schwebte eine | |
| Bedrohung über der Sache. Ich habe Mitarbeiter verloren, die | |
| eingeschüchtert wurden, deren Telefone abgehört wurden, denen man sagte, | |
| sie sollten lieber nicht mehr mit mit zusammenarbeiten. | |
| 30 May 2012 | |
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