| # taz.de -- Antisemitismus-Meldestelle warnt: Der Hass bleibt | |
| > Antisemitische Vorfälle sind 2022 zurückgegangen. Die Gesamtzahl blieb | |
| > laut der Meldestelle Rias aber hoch. Der Ukrainekrieg habe dazu | |
| > beigetragen. | |
| Bild: Diese Einschusslöcher wurden am Rabbinerhaus der Alten Synagoge in Essen… | |
| Berlin taz | Das Drohschreiben erreichte die Familie im April 2022. Die | |
| Hamburger hatten eine ukrainische Familie aufgenommen und eine ukrainische | |
| Fahne an ihr Haus gehängt. Als „Untermenschen“ wurden die | |
| Kriegsgeflüchteten in dem Schreiben beschimpft. Wenn Deutschland im Winter | |
| Nachteile durch die Ukrainepolitik erleide, könne man ja „die Öfen, die wir | |
| seit 75 Jahren haben, wieder anfeuern“, drohte das Pamphlet. „Genug | |
| ‚Brennmaterial‘ haben wir ja.“ | |
| Der Vorfall ist nur einer, den die unabhängige Recherche- und | |
| Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in ihrem aktuellen Jahresbericht | |
| listet. Der Bericht wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt. Insgesamt | |
| 2.480 antisemitische Vorfälle zählt Rias darin für das Jahr 2022, im | |
| Schnitt fast sieben pro Tag – ein Rückgang von elf Prozent zum Vorjahr, | |
| aber immer noch ein höheres Niveau als in den Jahren zuvor. 661 jüdische | |
| Personen seien von den Vorfällen betroffen gewesen. Und nicht wenige | |
| Delikte hatten einen Bezug zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – | |
| immerhin elf Prozent. | |
| Die Zahlen werden seit 2017 erhoben, von aktuell fünf Meldestellen in | |
| Berlin, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Sachsen und Hessen und dem | |
| Bundesverband. Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz warnte am Dienstag: | |
| Antisemitismus habe inzwischen für viele Jüd*innen einen | |
| „alltagsprägenden Charakter“, sobald diese als solche zu erkennen seien. | |
| Und es sei noch immer von einer „großen Dunkelziffer“ an Delikten | |
| auszugehen. | |
| Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sprach | |
| von weiter sehr verbreiteten antisemitischen Einstellungen in der | |
| Gesellschaft. Personen mit diesen Weltbildern fänden „immer neue | |
| Gelegenheiten für ihren Judenhass“. | |
| ## Brandanschläge und Schüsse in NRW | |
| Die Recherchestellen zählen für 2022 insgesamt 56 antisemitische Angriffe, | |
| 72 Bedrohungen, 186 Sachbeschädigungen und 1.912 Vorfälle mit „verletzendem | |
| Verhalten“, etwa antisemitische Schmierereien oder Parolen auf | |
| Demonstrationen. In 75 Prozent der Fälle sei dabei unklar geblieben, aus | |
| welcher politischen Richtung die antisemitischen Angriffe kamen – was für | |
| Betroffene zu einer zusätzlichen Verunsicherung führe, so Rias. Erfasst | |
| wurden auch 843 antisemitische Vorfälle im Internet. | |
| Dabei sei es auch zu neun Fällen von „extremer Gewalt“ gekommen, die | |
| lebensgefährliches Potenzial hätten – ein Höchststand seit Beginn der | |
| Erfassung vor sechs Jahren. Rias zählt dazu die [1][Schüsse und | |
| Brandanschläge auf jüdische Einrichtungen in Nordhein-Westfalen Ende 2022.] | |
| Danach wurde ein Deutschiraner festgenommen. Den Fall hat inzwischen die | |
| Bundesanwaltschaft übernommen, die ihn auf iranischen Staatsterrorismus | |
| prüft. Zudem hatte in Berlin eine Personengruppe zwei junge Männer mit | |
| Baseballschlägern und Messern angegriffen, weil diese angeblich „Free | |
| Israel“ gerufen hätten. | |
| War das Vorjahr noch geprägt von antisemitischen Vorfällen auf | |
| Anti-Israel-Demonstrationen oder bei Coronaprotesten, gingen diese Zahlen | |
| in diesem Jahr zurück. Aber immer noch 27 Prozent der Vorfälle hatten einen | |
| Bezug zur Pandemie. Neu hinzu kamen Vorfälle mit Bezug zum russischen | |
| Angriffskrieg auf die Ukraine. Rias notierte hier etwa Anfeindungen von | |
| jüdischen Geflüchteten aus der Ukraine oder Vorfälle wie im Mai 2022 in | |
| Regensburg, wo an eine Tür, die in den ukrainischen Nationalfarben blau und | |
| gelb angestrichen war, ein Davidstern und Z-Symbol geschmiert wurden. | |
| Steinitz warnte, dass sich der Antisemitismus hier vor allem in | |
| Verschwörungsmythen äußere, wonach geheime Mächte das Weltgeschehen | |
| lenkten. Dieser Bereich werde für antisemitische Ausfälle immer prägender | |
| und habe eine Anschlussfähigkeit „bis weit in die Mitte der Gesellschaft | |
| hinein“. | |
| Zu den Gelegenheitsstrukturen, die Antisemitismus befördern würden, habe im | |
| vergangenen Jahr auch die [2][Documenta in Kassel mit ihren teils | |
| antisemitischen Exponaten] gezählt. Dies und der politische Umgang damit | |
| habe in der jüdischen Community „viel Vertrauen kaputt gemacht“, erklärte | |
| Steinitz. Auch Klein räumte das ein und verwies auch auf die jüngsten | |
| Konzerte von Roger Waters in Deutschland, bei denen es zu antisemitischen | |
| Ausfällen gekommen sei. Es könne nicht sein, dass „unter dem Deckmantel der | |
| Kunstfreiheit gegen Juden gehetzt“ werde. | |
| Auch das Bundeskriminalamt hatte im vergangenen Jahr einen Rückgang von | |
| antisemitischen Straftaten notiert: von 3.027 auf 2.641 Delikte. Das aber | |
| markiere immer noch ein hohes Niveau. So lagen die Taten 2018 noch bei | |
| 1.799 Delikten. | |
| Rias-Geschäftsführer Steinitz forderte die Sicherheitsbehörden auf, alle | |
| Sicherheitsdefizite an jüdischen Einrichtungen „umgehend zu beheben“. Hier | |
| dürfe es „nicht bei warmen Worten bleiben“. Auch müsse antisemitischer Ha… | |
| auf Social-Media-Plattformen stärker bekämpft werden und sich die | |
| Bundesregierung konsequent für die Aufnahme der iranischen | |
| Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste einsetzen. | |
| Zuletzt mahnte Steinitz Unterstützung auch in eigener Sache an: Die Arbeit | |
| von Rias sei bis heute prekär, drei Meldestellen rechneten mit Kürzungen. | |
| Felix Klein kündigte an, hier für eine institutionelle Förderung sorgen zu | |
| wollen. Die Arbeit von Rias sei „unabdingbar“. | |
| 27 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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