| # taz.de -- Annalena Baerbock besucht die CDU: Letzte Ausfahrt Schwarz-Grün? | |
| > Die CDU wird 75. Grünen-Chefin Annalena Baerbock bringt einen Strauß | |
| > Komplimente mit – und will auf keinen Fall über das Offensichtliche | |
| > reden. | |
| Bild: Nicht in Italien, sondern in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung am… | |
| Berlin taz | Die CDU und die Grünen „sind die beiden spektakulärsten | |
| Parteigründungen“ der Bundesrepublik. Das sagt am Donnerstagabend Norbert | |
| Lammert, lange Zeit Bundestagspräsident, nun Chef der Konrad | |
| Adenauer-Stiftung und einer der wenigen Parteiintellektuellen in der CDU. | |
| Damit gibt er den Ton vor. | |
| Die CDU wird 75 Jahre, Lammert hat dazu [1][einen 700 Seiten dicken Band | |
| herausgegeben]. Das Buch ist keine der bei Jubiläen üblichen | |
| Selbstbeweihräucherungen, sondern lässt Lage und Geschichte der CDU von | |
| rund 20 Autoren (und wenig Autorinnen) ausleuchten, von Historikern, | |
| Journalisten, Politikwissenschaftlern. | |
| Schon dass die Union es für nötig hält, über sich selbst zu reflektieren, | |
| kann als eine Art Krisensymptom gelesen werden. Der normale Modus ist, | |
| nicht erst seit Merkel, ein robuster Alltagspragmatismus, der ohne | |
| leuchtende Zukunftsideen, funkelnde Werte und diskursive Rückversicherungen | |
| auskommt. | |
| Die entscheidenden politischen Weichenstellungen, von der Westbindung über | |
| [2][den beschleunigten Atomausstieg] bis zum [3][Flüchtlingsherbst 2015], | |
| wurden im Kanzleramt getroffen, nicht auf Parteitagen. Die Union ist eine | |
| Art Staatspartei der Bundesrepublik, die Zukunft hingegen prekär. Was kommt | |
| nach Merkel? Ist Volkspartei ein Auslaufmodell? Ist Schwarz-Grün die | |
| Lösung? | |
| ## Demut, eines von Baerbocks Lieblingsworten | |
| Zur Lobrede auf Buch und Partei ist die Grünen-Chefin Annalena Baerbock | |
| geladen, die diese Rolle in dem coronabedingt dünn mit Maskierten besetzten | |
| kleinen Saal recht aufgeräumt nachkommt. Baerbock, geboren 1980 im | |
| Gründungsjahr der Grünen, lobt fast überschwänglich Helmut Kohl für | |
| Wiedervereinigung und Maastricht. Die Grünen hätten 1990 und 1992 gegen die | |
| deutsche Einheit und Euro votiert und seien damit auf dem Holzweg gewesen. | |
| Das müsse sie als Grüne im Rückblick mit Demut, eines ihrer Lieblingsworte | |
| an diesem Abend, in Erinnerung rufen. | |
| Die Grünen-Chefin flankiert die Eloge auf die segensreiche Wirkung der CDU | |
| – Westbindung, soziale Marktwirtschaft, Europa – mit freundlich | |
| vorgetragenen Ermahnungen vom Merkels Mittekurs nicht abzuweichen oder | |
| wieder zum Männerclub zu werden „Bei den sieben CDU-Ministerpräsidenten | |
| muss man nicht gendern“, so Baerbock. | |
| Auch die kurz aufflackernde Skepsis in der Unionsfraktion gegen den | |
| UN-Migrationspakt fand sie erschreckend. In Sachsen-Anhalt dürfe sich nach | |
| der Landtagswahl 2021 Thüringen, die Annäherung der Union an die AfD, nicht | |
| wiederholen. Allerdings formuliert die Grünen-Chefin dies als Warnung, | |
| nicht als Hürde für eine weitere schwarz-grüne Kooperation. | |
| Baerbocks Kernbotschaft ist nicht Kritik, sondern ein Angebot zur | |
| Zusammenarbeit: „Die Klimakrise ist entscheidend für unsere | |
| Wettbewerbsfähigkeit in den Zukunftsmärkten“, sagt sie. Die | |
| Wirtschaftspartei CDU müsse das mutig angehen, wie beim Euro auch gegen die | |
| Mehrheitsstimmung. „Die Union sollte beim Klima nicht den Fehler machen, | |
| den wir Grüne bei der deutschen Einheit und Europa gemacht haben“, so | |
| Baerbock. | |
| ## Ein Bauplan für die nächste Bundesregierung | |
| Dieser recht kühne historische Bogen entwirft ein Bild, in dem Union und | |
| Grüne nicht Gegner sind, sondern komplementäre Organisationen, die sich | |
| gegenseitig brauchen. Es gehe darum „die soziale Marktwirtschaft zur | |
| sozialökologischen“ umzubauen, also Tradition und Erfahrung (Union) mit | |
| Zukunft (Grün) zu verknüpfen. Das ist ein grober Bauplan für die nächste | |
| Bundesregierung. | |
| „Der CDU bleibt als realistische Option für die nächste Bundestagswahl nur | |
| eine schwarze-grüne Mehrheit oder Jamaika“, schreibt der grüne Realo Ralf | |
| Fücks zutreffend in dem CDU-Sammelband. Die Grünen sind geneigt diese | |
| Gelegenheit zu nutzen und ein Bündnis von altem und neuem Bürgertum zu | |
| schmieden. | |
| Allerdings soll, wenn es nach der Grünen-Spitze geht, Schwarz-Grün im Bund | |
| 2021 noch immer eine Art Geheimakte sein. [4][In Interviews], so Baerbock | |
| fast zornig, werde sie nach Koalitionen und Farbenspielen gefragt. Auf der | |
| Straße interessiere „das Gerede über Lager niemand“. Also: Immer dran | |
| denken, nie drüber reden. | |
| Das wirkt, angesichts der unübersehbaren Symbolik ihres Auftritts in der | |
| Konrad Adenauer Stiftung, fast rührend. | |
| 28 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.randomhouse.de/Buch/Christlich-Demokratische-Union/Norbert-Lamm… | |
| [2] /Kommentar-Moratorium-zu-deutschen-AKWs/!5124827 | |
| [3] /Fuenf-Jahre-Wir-schaffen-das/!5701650 | |
| [4] /Gruenen-Chefs-ueber-Macht/!5651653 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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