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# taz.de -- Anarchistischer Philosoph wird 90: Was Chomsky sagt, gilt
> Noam Chomsky, Linguistikprofessor, Intellektueller, Medienkritiker und
> Star der Linken, wird am Freitag 90. Gebraucht wird er jetzt mehr denn
> je.
Bild: Sollte ruhig noch 1.000 Jahre weiterleben: Gesellschaftskritiker Noam Cho…
Während Donald Trump und seine Regierung weiterhin [1][Geflüchtete jagen
und kriminalisieren], findet ein Mann wie gewohnt klare Worte. Laut Noam
Chomsky ist Trump ein „infantiler Größenwahnsinniger“, dessen Politik
„kriminell“ sei. Die Flüchtlingsströme aus Südamerika verknüpft der
berühmte Linguistiker und Philosoph mit der dortigen US-Außenpolitik, die
in den letzten Jahrzehnten, ähnlich wie anderswo, brutale Regimes und
Diktaturen unterstützte und dadurch Chaos und Zerstörung kreierte. Am
Freitag wird Chomsky, der laut New York Times am meisten zitierte
Intellektuelle der Welt, 90 Jahre alt.
Zur Ruhe gesetzt hat sich Chomsky allerdings noch lange nicht. Dies wurde
abermals vor wenigen Wochen deutlich. Während weite Teile der westlichen
Welt sich kaum für die [2][jüngsten Präsidentschaftswahlen in Brasilien]
interessierten und elitäre Wirtschaftskreise [3][den neofaschistischen Jair
Bolsonaro] als „ihren Kandidaten“ favorisierten, reiste Chomsky gemeinsam
mit seiner Frau Valeria ins Land und besuchte den [4][eingesperrten
Ex-Präsidenten Lula da Silva] im Gefängnis.
Da Silva ist kein einfacher Inhaftierter. Er wurde vielmehr von den
neoliberalen Eliten, die die Macht im Land abermals an sich gerissen haben,
nach einem fadenscheinigen Prozess im vergangenen Jahr ins Gefängnis
verfrachtet. Seitdem gilt er als erster politischer Gefangener Brasiliens
seit dem Ende der Militärdiktatur. Mit dem Sieg Bolsonaros ist jenes
schlimmste Szenario eingetreten, vor dem Chomsky während seines Besuchs in
Brasilien gewarnt hat.
Dass der ehemalige MIT-Professor etwas gegen Faschisten hat, wurde früh
deutlich. Bereits im Alter von zehn Jahren schrieb er einen Artikel über
den Aufstieg des Faschismus in Europa. Es war Chomskys erster Artikel, der
veröffentlicht wurde. Es folgten zahlreiche weitere. Im Laufe seines Lebens
hat Noam Chomsky über 100 Bücher veröffentlicht. Er revolutionierte die
Linguistik und setzte mit seinen anarchistischen und medienkritischen
Schriften Akzente wie kein anderer.
## Eine aussterbende Sorte von Mensch
Im Zeitalter der Renaissance gab es den Uomo universale –
Universalgelehrte, die in verschiedenen Themenfeldern mit ihrer Intelligenz
und ihren Begabungen brillierten. Noam Chomsky ist ein moderner Uomo
universale. Doch gleichzeitig gehört er – so traurig und hart diese
Feststellung auch klingen mag – zu einer aussterbenden Sorte von Mensch.
In der gegenwärtigen Twitter- und YouTube-Dystopie, in der permanente
Kriege, Migrations- und Fluchtbewegungen und Klimakatastrophen zum Alltag
gehören und faschistische Reality-TV-Stars vom Schlag Trumps das Sagen
haben, werden Menschen wie Chomsky immer seltener.
Noam Chomsky ist ein Gigant, der mehrere Generationen beeinflusst hat und
der nicht nur von seinen Lesern, Bewunderern und Anhängern respektiert
wird, sondern auch von vielen seiner politischen Gegner. Was Chomsky sagt,
gilt – oder wird zumindest in irgendeiner Art und Weise deutlich
aufgenommen.
Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass dieser Gigant unfehlbar ist.
Chomskys Haltung zum Balkankrieg, zu den Verbrechen der Roten Khmer in
Kambodscha sowie jüngst etwa auch zum Syrien-Krieg wurde im Laufe der Zeit
auch von vielen seiner Fans kritisiert und in Frage gestellt.
## Er wird weiterhin gebraucht
Auf Chomskys Gesamtwerk und seine damit verbundene Hinterlassenschaft für
künftige Generationen nimmt Derartiges allerdings kaum Einfluss. Dabei ist
es auch seine eigene Familiengeschichte, die ihn unter anderem zu dem
gemacht hat, was er heute ist. Hitlers Reden konnte Chomsky noch im Radio
hören und obwohl er sie nicht verstand, so bemerkte er die deutliche
Begeisterung der Scharen, die sich um den „Führer“ versammelten. Sympathien
für die Nazis gab es auch in Chomskys Nachbarschaft in Philadelphia, in der
vor allem Iren und Deutsche lebten. Seine Familie gehörte zu den wenigen
Juden in der Umgebung.
Auf diese Umstände macht Chomsky in diesen Tagen in Anbetracht aktueller
Entwicklungen besonders aufmerksam. Sie sind wohl auch einer der
Hauptgründe dafür, dass Chomsky sich seit jeher für Minderheiten
starkmacht. Dies gilt nicht nur für Juden, sondern auch für Muslime und
Araber. Bereits vor Jahrzehnten, in einer Zeit, in der sich in den USA
niemand für die Rechte der Palästinenser interessierte, prangerte Chomsky
die israelische Politik, die von Washington bis heute vehement unterstützt
wird, lautstark an. Auch dem wurde nicht nur mit Beifall, sondern auch mit
Kritik begegnet.
Heute lebt Chomsky in Tucson, Arizona. Im vergangenen Jahr hat er das MIT
in Boston nach vielen Jahren verlassen. In der Wüste, nahe der Grenze zu
Mexiko, lehrt er weiterhin im Fach Linguistik und gibt auch öffentliche
Kurse, die für jedermann und -frau zugänglich sind. Seiner Rolle als
kritischer public intellectual mit klaren moralischen Standpunkten wird er
dabei abermals mehr als gerecht.
Im Afghanischen gratuliert man Menschen zum Geburtstag, indem man ihnen
1.000 weitere Lebensjahre wünscht. Dies kann und sollte man auch Chomsky
wünschen, denn er wird weiterhin gebraucht – und das für mindestens noch
weitere 1.000 Jahre.
7 Dec 2018
## LINKS
[1] /USA-verstaerken-Grenze-zu-Mexiko/!5551855
[2] /Bolsonaro-ernennt-Minister-in-Brasilien/!5550101
[3] /Brasiliens-kuenftiger-Praesident-Bolsonaro/!5547368
[4] /Brasiliens-politisierte-Justiz/!5516191
## AUTOREN
Emran Feroz
## TAGS
Faschismus
Donald Trump
Jair Bolsonaro
Antisemitismus
Lesestück Recherche und Reportage
Menschheit
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