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# taz.de -- Am Impftermin für Corona scheitern: Antonios hämisches Lächeln
> Papa will sich impfen lassen. Für einen Termin muss er es durch das
> Onlineportal der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein schaffen.
Bild: Steckt da ein wenig Schadenfreude im Lächeln von Antonio Montalbán?
Papa kann das nicht. Na klar will er sich impfen lassen, und er ist nun
auch kein Internetanalphabet – aber er hat eine Augen-OP hinter sich,
momentan also besser keine Bildschirmarbeit. Und lange und harte
Bildschirmarbeit ist erforderlich, um an Papas Wohnort in
Nordrhein-Westfalen einen Impftermin zu kriegen. Genau genommen in
Nordrhein, denn im Bindestrichland sind die Kassenärztlichen Vereinigungen
säuberlich getrennt. Drüben in Westfalen, wird geraunt, ist alles ganz
anders. Die arbeiten da mit alphanumerischen und QR-Codes, erzählt man.
Besser soll das aber auch nicht sein.
Immerhin, das Land ermittelt die [1][Impfberechtigten] nicht wie im
Nachbarbundesland per Vornamenshoroskop: In Niedersachsen wird das Alter
der Einwohner*innen danach erraten, wie ihre Eltern sie genannt haben:
Post für Adolf! Nein, NRW setzt zum Glück auf normale
Verwaltungsstandards.
Die Stadt verschickte zusammen mit einem Brief des
Landesgesundheitsministers ein mehrseitiges Anschreiben der
Oberbürgermeisterin. Nett! Darin steht alles zum Impfen und zur
Impfterminvergabe drin. Also fast alles. Was fehlt, ist die Information,
dass in Behörden der Tag um 8 Uhr beginnt – und deshalb eine
Onlineplattform, die ab 25. Januar freigeschaltet sein soll, natürlich um
7.45 Uhr – bevor man sich also ins Homeoffice begibt, um sein Tagewerk zu
verrichten – noch nicht funktioniert. Das hätte man sich ja denken können.
Da hätte Papa einen Vorteil gehabt, das hätte er gewusst, lebenslängliche
Behördenerfahrung sei Dank.
Auf der Site termin.corona-Impfung.nrw findet sich diese Zeitangabe nicht.
Stattdessen ploppt um 7.45 Uhr erst mal das Bild eines Greises auf, der
verschmitzt vor inkontinenzwindelgrünem Hintergrund dem User
entgegenlächelt. „Ab 25. Januar“, steht unter der Fotografie von dem Mann
mit akkuratem Seitenscheitel, „können Sie auf dieser Website Ihre
Impftermine buchen.“
## Herr Montalbán mit den Pfirsichbäumen
Für einen Kriegsverbrecher sieht der Mann etwas jung aus, aber vielleicht
hat er sich auch nur gut gehalten. Sein Name wird verschwiegen. Recherchen
ergeben: Er hat sich in der Region Aragón eine unscheinbare Existenz als
Agronom aufgebaut. Dort taucht derselbe Herr nämlich als Kunde einer
Baumschule unter dem Allerweltsnamen Antonio Montalbán auf.
Das ist die einzige Erklärung, denn schließlich wird eine seriöse
Einrichtung wie die KV Nordrhein ja nicht wie irgendwelche Klitschen
generische Stockfotos einkaufen, um Menschen bei der Impfbewerbung gute
Laune zu machen. Nein, gewiss nicht.
Antonio Montalbán in Spanien bedankt sich beim Kirschen- und
Pfirsichspezialisten Augusta Viveros für den gesteigerten Ertrag und die
Qualität der Obstbäume. In NRW spukt er derweil durch Papas
Impfanmeldungsprozess.
8 Uhr, es geht los. Ein Kennwort braucht es nicht. Eine Eingabemaske tut
sich auf. Hier sind die Personendaten des Impflings einzugeben. Singular:
Auf diese subtile und rücksichtsvolle Art vermittelt das Impfportal die
Einsicht, dass [2][die oft als Problem beschriebene Einsamkeit im Alter]
auch ihre Vorzüge hat. Wer noch nicht verwitwet ist, wird an einem anderen
Tag und vermutlich mit einer anderen Mailadresse die Prozedur wiederholen
müssen.
## Ist Ihnen ein „Token“ bekannt?
Denn die dauert. Ob es wohl Menschen im KV-Bezirk Nordrhein gibt, die ihre
Anmeldung in weniger als sechs Stunden erfolgreich abgeschlossen haben?
Sobald die Daten eingegeben sind, geht es ans Speichern und darum, die
Mailadresse zu verifizieren. Also Häkchen setzen. Datenschutz: Check!,
Zusendungseinverständniserklärung: Check! Abschicken, das Postfach prüfen –
ähm, wieso jetzt das? Statt einer automatischen Mail sind da zwei, drei,
vier, ping!, schon wieder eine … alle um 8.08 Uhr. Und um 8.09 Uhr noch
eine Nachzüglerin, Nummer 20. Der Bestätigungslink wenigstens ist aktiv und
… funktioniert … nicht. „Die Bestätigung Ihrer E-Mail-Adresse war nicht
erfolgreich, da der Bestätigungstoken nicht bekannt ist.“
Verstehen Sie das? Ist Ihnen überhaupt ein Token bekannt? Also außer der
Figur Token Black aus der Zeichentrickserie „South Park“? Wissen Sie
überhaupt, was ein Token im Bereich der Informationstechnologie ist? Mit
wie vielen Menschen der Altersgruppe 80 Jahre und älter teilen Sie dieses
Wissen?
Auf dem Bildschirm erscheint Antonio Montalbán und lächelt. Ist da ein
Anflug von Schadenfreude zu erkennen? „Herzlich willkommen auf unserer
Terminvergabe-Seite für Ihre Corona-Impfung!“, steht jetzt unter seinem
gestreiften Hemd mit gestärktem Kragen. „Leider …“ – was gibt es denn …
lächeln, Antonio?! – „Leider sind derzeit alle Termine vergeben“, behaup…
der Tünnes. Das kann doch wohl nicht sein! Um 8.10 Uhr! „Wir schalten in
Kürze weitere Termine frei.“
Um Fehlerquellen auszuschließen: Das Laptop funktioniert einwandfrei, es
wurde im Herbst neu gekauft, Lenovo, mit Mozilla-Firefox-Browser 84.0.2.,
daran sollte es nicht liegen, Breitbandanschluss seit Juli. Das müsste doch
…? Wäre das Netz überall sonst so viel leistungsfähiger und schneller?
Unwahrscheinlich. Einfach stur dranbleiben. Im Homeoffice lässt sich
Wartezeit zum Glück in Hausarbeit verwandeln. Wäsche. Geschirrspüler.
Kaffee kochen. Man könnte auch mal wieder duschen. Alle fünf Minuten ein
neuer Versuch, ein neuer Misserfolg. Ein neuer Gruß vom Grinse-Toni. Bis
10.36 Uhr. Ein Schrei der Erleichterung. Ist es das jetzt?
## … oder ein „Throbber“?
Das ist es doch! Die Site gibt den Blick auf einen Kalender frei. Er ist
interaktiv. „Verfügbare Termine werden geladen“, teilt die Maschine in
weißer Schrift auf transparentem Grau mit. Ein Kreis aus Pünktchen dreht
sich daneben, ein sogenannter Spinning-Wheel-Throbber, der zeigen soll,
dass etwas passiert, während nichts passiert. Throbber und graues Kästchen
verschwinden, und die orange umrahmte Botschaft, dass ein Fehler
aufgetreten sei, ploppt auf. Und in roter Schrift, die aussieht wie ein
galliger Vorwurf: „Fehler beim Laden der verfügbaren Termine.“ Machen
Maschinen Fehler? Nein, irren ist menschlich. Das System vermittelt dem
User den Eindruck, zu dumm zu sein dafür, zu inkompetent. Antonio Montalbán
grinst dazu.
Nicht aufgeben. Nicht jetzt. Und nicht dem wachsenden Hass auf Señor
Montalbán die Zügel schießen lassen. Es geht um Papas Gesundheit. Das darf
nicht an diesem Impfpimpf scheitern. Man kann ja zwischendurch was kochen.
Irgendwann wird es möglich sein, Daten zu markieren. Na siehst du! Zwei
Tage im Abstand von circa drei Wochen, die nicht mit anderen
Routineuntersuchungen oder Besuchen der Haushaltshilfe kollidieren – kein
Ding. Nur, markieren ist das eine, speichern das andere. „Termine werden
reserviert“, verspricht die Site, graues Kästchen und Throbber machen
Hoffnung. Bis sich plötzlich in einem neuen Dialogfenster die Mitteilung
davorschiebt: „Die ausgewählten Termine konnten nicht reserviert werden“,
ergänzt durch die Bitte, „es zu einem späteren Zeitpunkt erneut“ zu
versuchen.
Die Schaltfläche OK anzuklicken ist die einzige Option, die dieser
vermeintliche Dialog seinem Gegenüber lässt. Ansagekästchen oder
Kommandofenster wäre eine bessere Bezeichnung. Den Befehl befolgt,
verschwindet es. Und wer lauert dahinter? Und verzieht maliziös die
Mundwinkel?
Aaaaaaaaarrrghhh!!!!
Dieser Mann sollte sich vorerst nicht im Rheinland blicken lassen, aber
echt jetzt. Der Arme, er hält sein Konterfei für etwas hin, wofür man auf
die Gesichter von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) oder KV-Chef
Frank Bergmann wohl vorsichtshalber verzichtet hat.
## Schleswig-Holstein macht's anders
Die beiden behaupteten übrigens noch am Mittwoch tapfer, dass [3][alles
super geklappt habe]. Aber mal im Ernst: Dass die Landtagsopposition
moppert, liegt halt in ihrem Wesen, und [4][maulende Rentner] sind auch
geradezu sprichwörtlich. Wieso sollten die eine derart geile Terminvergabe
gebührend loben? Und im Nachbarland Niedersachsen läuft’s schließlich auch
nicht besser, da war am Donnerstag die Impfhotline überlastet.
Klar, es ginge auch anders. [5][Das exotische Schleswig-Holstein] hat mit
der Terminvergabe einfach jemanden beauftragt, der mit Events solcher
Größenordnung schon zu tun hatte: den Bremer Onlinetickethändler Eventim.
Dessen IT-Abteilung ist nicht nur fit, sondern auch derzeit kaum
ausgelastet. Andererseits hat Eventim [6][bereits ein Quasimonopol im
Bereich Kultur]. Will man das wirklich auf die Gesundheitsversorgung
ausweiten?
Am Ende, ganz zum Schluss, es ist schon fortgeschrittener Nachmittag, hat
Papa endlich doch zwei Termine, ganz wie gewünscht – es soll sogar möglich
sein, sie sich inklusive der Dokumente per E-Mail zuschicken zu lassen. Das
ist, sagen Programmierer*innen, die ganz hohe Schule bei einem
Serviceportal, und es auszuprobieren, zugegeben, ja, da war ein wenig
Übermut dabei. Aufgeploppt ist dann eine Maske, gegliedert, aber ohne
Lemmata, leer, bloß mit einem Eintrag: „Die Kassenärztliche Vereinigung“.
Und ein Fragezeichen. Und sonst gar nichts. Aber wenigstens auch kein
grinsender Antonio.
28 Jan 2021
## LINKS
[1] /Impfungen-gegen-Corona/!5741498
[2] https://www.wohnen-im-alter.de/leben/einsamkeit#risiken
[3] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/corona-impfung-chaos-bei-t…
[4] https://www.youtube.com/watch?v=5E7xeajSoyE
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Corona-In-SH-vergibt-Even…
[6] https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/ticket-haendler-mit-viel-aggressivit…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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