# taz.de -- Alternative Wahrheit von Trump-Fans: Alles gelogen! | |
> Tom Torres glaubt, dass die Antifa das Kapitol gestürmt hat. Besuch bei | |
> dem Kaffeehausbesitzer, dessen Geschäfte gerade nicht so gut gehen. | |
Bild: „Wir lieben die Polizei“: Zerstörte Scheibe einer Eingangstür des K… | |
WARWICK taz | „Ich weiß es“, sagt Tom Torres, „ich war da.“ Am 6. Janu… | |
hatte der Kaffeehausbesitzer aus der Kleinstadt Warwick im Bundesstaat New | |
York sein Debüt als Demonstrant. Es war in Washington. „Verpasst es nicht“, | |
hatte Donald Trump versprochen, „es wird heiß“. Torres ging hin. Er hoffte | |
auf eine große Party. | |
Als stattdessen der [1][Sturm auf das Kapitol] begann, verlegte er sich | |
aufs Filmen. Während auf den Fernsehschirmen die Bilder von tödlicher | |
Gewalt liefen, beschrieb Torres' Livestream idyllische Szenen von | |
friedlichen und ruhigen Trump-Anhängern und freundlichen Polizisten. | |
Sechs Wochen später sitzt Torres an einem Resopaltisch in seinem „Caffé á | |
la Mode“ im Zentrum von Warwick. Von der Decke baumeln rote Valentinsherzen | |
aus Pappe herunter. „Polizisten und Militär bekommen hier 15 Prozent“, | |
steht an der gläsernen Eingangstür. Die meisten Tische sind leer. | |
Das liegt nicht nur an der Pandemie. Seit Torres und sein Geschäftspartner | |
Scott Elfant als Verharmloser von Gewalt und Rassisten gelten, trinken | |
viele Bewohner des Städtchens im Hudson Valley ihren Kaffee lieber | |
anderswo. Erst recht, nachdem wenige Tage nach dem Sturm auf das Kapitol | |
Trump-Unterstützer mit einer großen Fahne mit der Aufschrift „Fuck-Antifa“ | |
vor dem Kaffeehaus aufmarschierten und an der Main Street Graffiti der | |
Bürgerwehr „Patriot Front“ auftauchten. | |
## „Die nettesten Leute der Welt“ | |
Als die „nettesten Leute der Welt“ beschreibt Torres die | |
Trump-Unterstützer, die er in Washington getroffen hat. Als er am 6. Januar | |
frühmorgens in einem Park nahe dem Weißen Haus stand, trug er zum ersten | |
Mal in seinem Leben diese rote MAGA-Mütze („Make America Great Again“), die | |
er eigentlich nur als Sammlerstück gekauft hatte. Eine Maske trug er nicht: | |
„Ich habe keine Angst vor Covid“, sagt Torres. | |
Er berichtet, dass nach der Kundgebung mit Donald Trump eine Frau in der | |
Menge gerufen habe, es gebe Randale im Kapitol. Torres wischte das weg wie | |
etwas, das nichts mit ihm und den Leuten um ihn herum zu tun haben konnte: | |
Dass die Anhänger Trumps so etwas tun würden, ist für ihn ausgeschlossen: | |
„Wir rufen nicht Fuck the Police – wir lieben die Polizei“. | |
„[2][Es war alles inszeniert]“, ist Torres in seinem Kaffeehaus überzeugt. | |
Nicht die Trump-Fans, sondern verkleidete „Antifa“ seien es gewesen, die da | |
randalierten. Belege kann er nicht vorweisen: „Es ist nicht mein Job, | |
Beweise zu liefern.“ Aber von seiner Überzeugung bringt ihn nichts ab: | |
weder die Überwachungskameras noch die Videos, weder die | |
Augenzeugenberichte von Polizisten und Politikern noch die Aussagen von | |
mehr als 200 inzwischen angeklagten Beteiligten. Als die Reporterin ihn | |
darauf anspricht, sagt er: „Haben Sie es mit eigenen Augen gesehen?“ | |
Torres’ Argumentationslinien sind fließend. In einem Moment bestreitet er, | |
dass überhaupt ein Trump-Anhänger das Kapitol betreten haben. Im nächsten | |
sagt er, dass niemand seiner Freunde den Wikinger mit den Hörnern im | |
Sitzungssaal gesehen hätte. Über die 35-jährige [3][Ashli Babbitt], die von | |
einem Kapitolspolizisten erschossen worden ist? Torres glaubt an eine | |
Inszenierung. In Wahrheit würde sie noch leben: „Wäre sie tatsächlich mit | |
einer 45er aus unmittelbarer Nähe erschossen worden, wäre ihr Blut in alle | |
Richtungen gespritzt und es hätte Panik in der Menge gegeben.“ Er fügt er | |
hinzu: „Außerdem tweetet sie weiter.“ Und dann zeigt er auf seinem Handy | |
ein Bild des angeblichen Schützen. Torres glaubt zu wissen, dass der | |
Polizist ein Mitglied von [4][Black Lives Matter] ist. | |
Seit dem 6. Januar ist Torres misstrauisch geworden, so sagt er. Er nennt | |
die Politiker der beiden großen Parteien „kriminell“ und die Richter in | |
seinem Land „korrupt“, weil sie seinen Präsidenten nicht verteidigt hätte… | |
„obwohl jeder weiß, dass er gewählt worden ist“. Aber am ungeheuerlichsten | |
sind ihm Journalisten. Von ihnen fühlt er sich missverstanden und seine | |
Worte aus dem Zusammenhang gerissen. Sein Geschäftspartner Scott Elfant | |
fragt die Reporterin, ob sie „patriotisch und positiv“ berichten werde. | |
## Die etwas andere Version der Ereignisse | |
Am frühen Nachmittag jenes 6. Januar, als die Lage im Kapitol eskalierte, | |
war Torres drei Blocks weit entfernt. Er saß mit Freunden in einem | |
Hotelzimmer, aß Club-Sandwichs mit Truthahn und trank Wodka. Ihn hatte | |
Trumps Aufforderung, zum Kongress zu gehen, nicht eingeleuchtet. Und er | |
hatte keine Lust, Slogans zu rufen. | |
Eine besorgte SMS seiner Frau habe ihn aufgerüttelt, sagt Torres. Von | |
diesem Moment an ging er online und lieferte seine eigene Version der | |
Ereignisse aus dem Hotelzimmer. In ausgelassener Stimmung berichtete er mit | |
Blick auf eine menschenleere Avenue: „Hier ist alles friedlich.“ Mit | |
gewölbter Brust und breitem Grinsen fügte er zwei persönliche Informationen | |
hinzu: dass er selbst jetzt sofort ins Kapitol gehen würde, wenn dort „die | |
Antifa“ wäre. Und dass er mitmachen würde, wenn es darum ginge, „Mike Pen… | |
an den Haaren herauszuzerren“. | |
Der Livestream des Kaffeehausbesitzers Tom Torres verbreitete sich wie ein | |
Lauffeuer in Warwick. Junge Leute begannen damit, in den sozialen Medien | |
nach Einträgen von ihm zu suchen. Sie fanden Tweets, in denen es um | |
„satanische Juden“ ging, um die demokratische Gouverneurin von Michigan, | |
der Torres „Gerechtigkeit – mit einem Strick“ wünschte und um den frühe… | |
Justizminister Eric Holder, einem Afroamerikaner, der die Protestbewegung | |
gegen Polizeigewalt gelobt hatte. Ihm antwortete Torres mit dem Foto einer | |
geknüpften Schlinge. Unter dem Namen seines Geschäftspartners Elfant fand | |
sie einen Eintrag, der Hitler als einen „netten Menschen“ beschrieb. | |
„Alles aus dem Zusammenhang gerissen“, wehrt sich Tom Torres gegen die | |
Vorwürfe. Er macht „die Antifa“ verantwortlich, nennt sie eine „von China | |
gesteuerte“ gefährliche Organisation. Dieses Mal wirft er den Linken vor, | |
dass sie die örtliche Black-Lives-Matter-Bewegung und die jüdische Gemeinde | |
gegen ihn aufgewiegelt hätten. Er wolle keine Gewalt, sei gegen Bürgerkrieg | |
und für die Einheit aller Amerikaner. Und es sei völlig ausgeschlossen, | |
dass er ein Rassist sei, denn sein eigener Vater stamme aus Puerto Rico und | |
sein Geschäftspartner Elfant sei Jude und habe Vorfahren, die den Holocaust | |
überlebt hätten. Auch für das Hitlerzitat Elfants findet er eine | |
Rechtfertigung. Auch Jesse Owens, der schwarze Leichtathlet, habe Positives | |
über Hitler gesagt, will er wissen. Elfant stand der taz nicht für ein | |
Gespräch zur Verfügung. | |
Warwick, eineinhalb Autostunden nordöstlich von New York gelegen, ist ein | |
Städtchen wie aus einem US-amerikanischen Bilderbuch: Die Häuser und | |
Kirchen im Zentrum stammen aus der Kolonialzeit. Rundherum liegen Felder | |
und Obstplantagen, Wälder, Hügel und Seen. Einmal im Jahr, zum „Apfelfest“ | |
im Oktober, verdoppelt sich die Bevölkerung für ein Wochenende auf 60.000 | |
Seelen. Die Bevölkerung ist überwiegend weiß. Eine „Antifa“ oder Ähnlic… | |
ist in Warwick nie in Erscheinung getreten. | |
Das „Caffé á la Mode“ liegt in einem alten Backsteinhaus mit Veranda im | |
Zentrum. Das Geschäft lief so gut, dass Torres und sein Partner ihr Lokal | |
zwei Mal vergrößerten. Bis zur Pandemie fanden dort auch Dichterlesungen | |
und Konzerte statt. | |
## Sabrina Jennings trinkt jetzt lieber woanders ihren Kaffee | |
Ab dem 6. Januar änderte sich das Image der Kaffeehausbesitzer schlagartig. | |
Roger Moss, der in einer Umweltgruppe in Warwick aktiv ist, fand Torres’ | |
Livestream aus dem Hotelzimmer auf Facebook. Er sah dort auch, dass | |
zahlreiche Leute Torres beglückwünschten, darunter Stammkunden des | |
Kaffeehauses. Moss kannte Torres nicht persönlich, aber er schickte ihm | |
eine warnend gemeinte Frage nach Washington: „Unterstützt du die Gewalt, | |
oder distanzierst du dich davon?“ Laut Moss kam umgehend die Antwort: „Was | |
zum Teufel geht dich das an?“ | |
„Ich kenne keine Antifa-Mitglieder“, sagt Rabbinerin Rebecca Shinder von | |
der Beth-Shalom-Synagoge. Nach dem Sturm auf das Kapitol hat sie zusammen | |
mit einem Dutzend anderen Geistlichen einen Appell gegen den Hass | |
unterzeichnet. Gegen den Kaffehausbesitzer hat sie nichts unternommen. Aber | |
sie zeigt sich besorgt über die Ausbreitung der antisemitischen | |
QAnon-Bwegung in den sozialen Medien. | |
Sabrina Jennings, die bis Januar Kundin des Kaffeehauses von Tom Torres | |
gewesen war, macht jetzt einen großen Bogen darum. „Ich bin eine schwarze | |
Frau in Amerika“, sagt sie, „und das fühlt sich in diesem Moment in Warwick | |
sehr unangenehm an.“ | |
Torres war acht Jahre lang bei den Marines. Seit 18 Jahren ist er | |
Kaffeehausbesitzer. Schon mit 18 trug er sich als Republikaner ins | |
Wahlregister ein. Aber für drei republikanische Präsidentschaftskandidaten, | |
denen er seine Stimme gegeben hat, benutzt er heute das Wort „Verräter“: | |
George W. Bush (wegen der Kriege), John McCain (weil er für die | |
Gesundheitsreform gestimmt hat) und Mitt Romney (weil er Trump nicht | |
unterstützt hat). Erst Trump weckte seine Leidenschaft für Politik. | |
Seit dem 6. Januar sieht Torres sich als Opfer. Er berichtet über Anrufer, | |
die ihm gesagt hätten: „Bring dich um.“ Und andere, die seine Angestellten | |
auffordern würden: „Verlass deinen rassistischen Boss.“ Seine Kinder würd… | |
von anderen Kindern geschnitten. Das FBI habe ihn gewarnt, sein Geschäft | |
werde „mit Eiern beworfen“. Die taz hat keine Auskunft vom FBI erhalten. | |
Aber Warwicks Polizeisprecher John Rader sagt: „Uns liegen keine | |
glaubwürdigen Drohungen vor.“ | |
Seine Tweets hat Tom Torres gelöscht. Aber er bereut es nicht, am 6. Januar | |
in Washington gewesen zu sein. „Wenn es meine Familie nicht in Gefahr | |
bringt, würde ich wieder fahren“, sagt er. Falls Trump 2024 kandidiert, | |
will er ihn erneut wählen. | |
26 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Rechter-Sturm-auf-US-Kongress/!5738355 | |
[2] /Der-Sturm-auf-das-Kapitol/!5741580 | |
[3] https://www.nytimes.com/2021/01/07/us/who-was-ashli-babbitt.html | |
[4] /Black-Lives-Matter-Proteste-in-den-USA/!5703846 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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