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# taz.de -- Als billige Arbeitskräfte begehrt: Ohne Rechte
> In der Coronakrise werden Migrant*innen im Tourismus ausgebeutet. Ein
> Gespräch mit Christiane Kuptsch von der Internationalen
> Arbeitsorganisation.
Bild: Ein Arbeiter reinigt den Pool eines Hotels in Rio de Janeiro – inmitten…
taz: Frau Kuptsch, zehn Prozent aller Arbeitsplätze weltweit sind – oder
waren, bis noch vor einem halben Jahr – vom Tourismus abhängig. Von 330
Millionen Arbeitskräften könnten ein Drittel durch die Coronakrise ihre
Jobs verlieren, darunter eine besonders große Zahl an Migrant*innen. Warum
arbeiten gerade im Tourismus besonders viele Migrant*innen?
Christiane Kuptsch: Tatsächlich ist die Tourismusbranche einer der
Wirtschaftssektoren, in denen besonders viele Arbeitsmigrant*innen
beschäftigt sind. In Untersuchungen der ILO wurde festgestellt, dass sie in
der Hotellerie Fähigkeiten mitbringen, die auf dem lokalen Arbeitsmarkt oft
nicht vorhanden sind, und sie gelten als besonders engagiert. In einigen
Ländern sind Arbeitsmigrant*innen für die Positionen, in denen sie im
Tourismus eingesetzt werden, deutlich überqualifiziert, und bei ihnen ist
die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich hoch, dass sie in schlechter
bezahlten Positionen verharren. Man könnte daraus schließen, dass sie als
billige Arbeitskräfte begehrt sind.
Unterscheiden sich die Erfahrungen der Arbeits*migrantinnen von Land zu
Land?
Einige Fachleute sehen eine Kluft zwischen Nord und Süd in Hinblick auf die
Funktionen und Verantwortlichkeiten, die ausländische Arbeitskräfte im
Tourismus haben: Migrant*innen aus ärmeren Ländern arbeiten in Jobs, die
kaum Qualifikationen erfordern, während diejenigen aus reicheren Ländern
gehobene Positionen im Management und als Fachkräfte einnehmen.
Warum sind Arbeitsmigrant*innen besonders verletzlich und wie hat sich
die Coronakrise auf sie ausgewirkt?
Viele Länder, egal ob Industrieländer oder Entwicklungsländer, verfolgen
eine Politik, nach der qualifizierte Migrant*innen willkommen geheißen
werden, weniger qualifizierte jedoch nur auf Zeit kommen dürfen. Dadurch
hat ein*e hoch qualifizierte*r Hotelmanager*in mit großer
Wahrscheinlichkeit einen dauerhaften Aufenthaltsstatus und einen
Arbeitsvertrag, der ein angemessenes Einkommen und soziale Absicherung
garantiert, während jemand vom Reinigungspersonal eher nur eine befristete
Arbeitserlaubnis hat und womöglich nicht einmal den gesetzlichen
Mindestlohn bekommt. In einer besonders schwachen Position sind sie dort,
wo sie an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden sind, sodass sie im Falle
einer Entlassung ihr Aufenthaltsrecht verlieren.
Sie wehren sich deshalb nicht?
Sie ertragen, dass ihre Rechte missachtet werden, um ihren Job zu behalten,
insbesondere wenn sie sich verschuldet haben, um zum Arbeiten ins Ausland
zu gehen. Ihre Lage kann noch schlimmer sein, wenn das Land, in dem sie
arbeiten, keine Rechtshilfemechanismen bietet, um ein Fehlverhalten des
Arbeitgebers anzuzeigen, und/oder wenn sie sich nicht an eine Gewerkschaft
wenden können, die ihnen helfen könnte. Die Coronapandemie hat deutlich
zutage gefördert, dass viele Migrant*innen in Hinblick auf ihre
Arbeitssicherheit, ihre Gesundheit und ihre Unterkunftsbedingungen vom
Wohlwollen ihres jeweiligen Arbeitgebers abhängig sind. Viel hängt davon
ab, inwieweit einzelne Arbeitgeber sich an die Vorschriften halten. Sehr
viele Arbeitgeber beachten die neuen Sicherheits- und Hygieneregeln und
nehmen dafür teilweise erhebliche zusätzliche Kosten auf sich, während
andere die Regeln missachten und damit eine unfaire Konkurrenz darstellen.
Leider reichen die Kapazitäten der Gewerbeaufsicht in vielen Ländern
nicht, um Verstöße gegen gesetzliche Arbeitsschutzbedingungen ans Licht zu
bringen.
Inwiefern betrifft das „Ohne Arbeit kein Einkommen“-Dilemma Migrant*innen
besonders?
Vor diesem Dilemma stehen natürlich viele Menschen, doch
Arbeitsmigrant*innen besonders. Sie sind in der Regel die Ersten, die
entlassen werden oder ihre Jobs verlieren. Fast überall verfügen
Arbeitsmigrant*innen kaum über Ersparnisse, häufig weil sie so viel Geld
nach Hause überweisen. Sie sparen nicht für sich selbst für schlechte
Zeiten, sondern schicken das Geld ihren Familien und unterstützen damit
viele Menschen in ihrer Heimat. Arbeitsmigrant*innen sind auch deshalb
besonders betroffen, weil sehr viele von ihnen nicht in standardmäßigen
Beschäftigungsverhältnissen angestellt sind und unterdurchschnittlich
bezahlt werden. Die Tourismusbranche ist dafür bekannt, dass informelle
Arbeitsverhältnisse an der Tagesordnung sind, sodass das Dilemma „ohne
Arbeit kein Einkommen“ in diesem Sektor definitiv besteht. Das führt dazu,
dass Migrant*innen in der Pandemie Gesundheitsrisiken überdurchschnittlich
stark ausgesetzt sind und dass sie oft versucht sind, auch dann zu
arbeiten, wenn sie krank sind.
Was sollten Regierungen und Tourismusunternehmen tun, um
Migrant*innen im Tourismussektor während der Pandemie besser zu schützen
und zu unterstützen?
Von Lohnsubventionen, Arbeitslosenunterstützung und anderen Leistungen zur
sozialen Absicherung, die als Antwort auf die Coronapandemie bereitgestellt
werden, sind Arbeitsmigrant*innen häufig ausgeschlossen. Das stellt ein
ernstes Problem dar. Migrant*innen müssen in nationale Maßnahmen zur
Überwindung der Folgen der Pandemie einbezogen werden. Insbesondere sollte
beispielsweise durch Verlängerung des Visums oder der Arbeitserlaubnis
vermieden werden, dass jemand in die Irregularität gedrängt wird, weil sie
oder er nicht in die Heimat zurückkehren kann. Besonders in diesen
schwierigen Zeiten sollten Regierungen und die Tourismuswirtschaft die
Gleichbehandlung von einheimischen und ausländischen Arbeitskräften
sicherstellen – das ist etwas, wofür die ILO nicht nur in der Krise,
sondern grundsätzlich steht und sich einsetzt.
28 Sep 2020
## AUTOREN
Christina Kamp
## TAGS
Tourismus
Arbeit
Rechte
Mindestlohn
Heinrich-Böll-Stiftung
Schwerpunkt Coronavirus
Virtual Reality
Reiseland Kroatien
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