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# taz.de -- Kündigungen bei Böll-Stiftung: Rauswurf leicht gemacht
> Die Heinrich-Böll-Stiftung setzt sich für Freiheit und Gerechtigkeit ein.
> Doch für ihre eigenen Mitarbeiter gelten diese Rechte offenbar nicht
> immer.
Bild: Arbeitsrecht zweiter Klasse für ausländische Mitarbeiter: Zentrale der …
Berlin taz | Ein Anwalt, der eine eingeschüchterte Mitarbeiterin drängt,
einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Die Aufforderung, unverzüglich
den Schreibtisch zu räumen und den Schlüssel abzugeben, und ein sofortiges
Abschalten des Mail-Accounts. Und das alles, ohne dass ein aktueller
Vorwurf im Raum steht und obwohl das Arbeitsverhältnis noch mehrere Wochen
weiterläuft. Die Szene klingt nach den Methoden fragwürdiger Konzerne. Doch
abgespielt haben soll sie sich im Sommer im Büro der
[1][Heinrich-Böll-Stiftung] in Warschau.
Beschrieben wird der ungewöhnliche Rauswurf in einer Mail der betroffenen
Mitarbeiterin an den Vorstand und den Betriebsrat der Stiftung, die der taz
vorliegt. Was sie berichtet, passt, ebenso wie weitere Vorgänge im
Warschauer Büro, so gar nicht zum Selbstbild dieser Institution. Die hat
sich großen Zielen verschrieben: „Demokratie und Menschenrechte,
Selbstbestimmung und Gerechtigkeit“ finden sich an zentraler Stelle im
Leitbild der Stiftung, die den Grünen nahesteht und nach dem
Literaturnobelpreisträger benannt ist, der in seinen Romanen
gesellschaftliche Missstände angeprangert hat.
Für diese Ziele setzt sich die Böll-Stiftung nicht nur in Deutschland ein,
sondern auch von ihren 32 [2][Auslandsbüros] aus. Eines davon befindet sich
in Warschau, wo die Fundacja Heinricha Bolla in einem Altbau residiert.
Verantwortlich für die inhaltliche Arbeit waren dort neben der Direktorin
bisher vier Programmkoordinator*innen. Doch nur eine von ihnen wird im
nächsten Jahr noch für „Böll“ arbeiten. Neben der Mitarbeiterin, die
gezwungenermaßen gehen muss, hat ein weiterer aus Frustration über die
Arbeitsbedingungen zu Ende Oktober gekündigt; die dritte verlässt die
Stiftung zum Jahresende.
## Keine Warnung, keine Abmahnung
Die Mitarbeiterin, deren Beschäftigung im Sommer so abrupt endete, möchte
mit der taz nicht sprechen. Doch in ihrem Brief an Vorstand und
Betriebsrat, dessen Authentizität sie bestätigt, zeigt sie sich schwer
enttäuscht. Sie sei dankbar, dass sie für die Stiftung arbeiten durfte,
denn sie teile deren Werte wie „Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte,
Gleichheit, Fairness, Solidarität und Respekt“, schreibt sie im Juni. Und
fährt fort: „Ich bin jedoch zutiefst besorgt darüber, dass die Art und
Weise, wie ich letzten Freitag abrupt entlassen wurde, offensichtlich
diesen Werten widerspricht.“
Nachdem sie noch im Mai zunächst mündlich und dann per Mail eine Zusage der
Leiterin des Warschauer Büros bekommen hatte, dass ihre Stelle verlängert
werde, wurde sie im Juni ins Büro bestellt, wo ein Anwalt sie drängte,
einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, heißt es weiter. Als Grund wurde
dem Schreiben zufolge lediglich genannt, ihre Person passe nicht „zur
Struktur des Büros“. Vorherige Warnungen oder Abmahnungen habe es nicht
gegeben.
In ihrem eigenen Leitbild schreibt die Böll-Stiftung: „Wir überprüfen und
verbessern unsere Arbeit in einem kontinuierlichen Prozess und stellen uns
der internen und externen Bewertung.“ In diesem Fall kann davon keine Rede
sein: Eine Reaktion des Vorstands auf den Brief hat es nach Auskunft eines
weiteren Mitarbeiters des Warschauer Büros nie gegeben. Der Betriebsrat
äußerte zwar sein Bedauern, erklärte aber, in diesem Fall nichts tun zu
können.
Dahinter steht ein strukturelles Problem: Die örtlichen Angestellten der
ausländischen Büros haben keinerlei offizielle Vertretung. Denn sie sind
formal nicht bei der Stiftung in Berlin angestellt, sondern beim jeweiligen
ausländischen Büro; darum fallen sie nicht unter das deutsche Arbeitsrecht,
und der Betriebsrat ist für sie nicht zuständig. Einen Sprecher oder eine
Sprecherin der Auslandskräfte, die ihre Position in Berlin vertreten
könnte, gibt es ebenfalls nicht. Somit sind die Angestellten in den
Auslandsbüros komplett von den örtlichen Direktor*innen abhängig, die
zugleich Vorgesetzte und einzige formale Ansprechpartner*innen sind.
In der Praxis ist das so lange kein Problem, wie diese gut mit dem Team
zusammenarbeiten. Doch davon kann in Warschau offenbar keine Rede mehr
sein, seit im Januar eine neue Direktorin ihren Dienst antrat. Von Anfang
an soll das Verhältnis von Misstrauen und Kontrolle geprägt gewesen sein,
berichtet der Mitarbeiter, der eineinhalb Jahre für die Stiftung in Polen
gearbeitet hat und diese Ende Oktober freiwillig verlässt. Auch er möchte
aus Sorge vor negativen Konsequenzen seinen Namen nicht gedruckt sehen.
So sei ein von den Angestellten verfasster Brief mit Vorschlägen zur
Verbesserung der Zusammenarbeit von der Direktorin nie beantwortet worden.
Mit permanenter Einmischung und Kontrolle habe sie die inhaltliche Arbeit
massiv behindert. Zudem waren öffentliche Äußerungen plötzlich unerwünscht:
Nicht nur Interviews im Namen der Stiftung sollen den Expert*innen verboten
worden sein, auch private Stellungnahmen wurden teilweise zum Problem
erklärt.
Der Mitarbeiter etwa, der nun freiwillig geht, hatte im April einen Appell
für wirtschaftliche Solidarität angesichts der Coronakrise unterzeichnet,
den polnische Intellektuelle verfasst hatten und der von zahlreichen
EU-Abgeordneten der Grünen unterstützt wurde. Weil dabei ohne sein Wissen
erwähnt wurde, dass er für die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet, kündigte
die Büroleiterin nicht nur eine Abmahnung an, sondern verlangte für die
Zukunft, vor allen Veröffentlichungen informiert zu werden – „auch wenn
diese als Privatperson erfolgen“, wie sie in einer Mail schreibt.
Stützen konnte sie sich dabei auf den Arbeitsvertrag, in dem es heißt: „Der
Mitarbeiter verpflichtet sich, keine Interviews zu geben und keine
Materialien zu veröffentlichen. Ausnahmen bedürfen der vorherigen
Genehmigung.“ Wohlgemerkt in einer Stiftung, die in ihrem Leitbild erklärt:
„Wir ermutigen zu Zivilcourage und gesellschaftlichem Engagement.“
Eine Anfrage der taz bei der Warschauer Büroleiterin zu den Vorfällen blieb
unbeantwortet. Auch der verantwortliche Böll-Vorstand wollte sich nicht
direkt äußern. Eine Antwort kam lediglich von der Pressestelle der
Stiftung. Darin werden die Vorwürfe zurückgewiesen. Details zum Fall der
Mitarbeiterin, deren Vertrag in Anwesenheit des Anwalts beendet wurde,
könnten aus Datenschutzgründen nicht genannt werden; sie sei aber vorab
mehrfach darauf hingewiesen worden, dass der Vertrag auslaufen könne. Auch
gebe es für die Angestellten in den ausländischen Büros kein Verbot, sich
öffentlich zu äußern. Allerdings sei es üblich, so etwas „vorher
grundsätzlich abzustimmen“, denn in politisch schwierigen Lagen müsse „je…
Aussage wohl überlegt sein“.
Die Antwort der Stiftung widerspricht zudem der Aussage, dass die örtlichen
Mitarbeiter*innen generell nicht direkt mit der Berliner Zentrale
kommunizieren dürfen – und beweist in ihrer Antwort zugleich, wie wenig
Kommunikation es tatsächlich gibt. Denn zu den weiteren Kündigungen im
Warschauer Büro heißt es in der Stellungnahme, diese stünden „weder in
einem zeitlichen noch sonstigem kausalen Zusammenhang mit dem von Ihnen
erwähnten Vorgang“.
## Offenbar kein Einzelfall
Eine Nachfrage zu seinem Kündigungsgrund hat es aus Berlin aber nie
gegeben, sagt der Mitarbeiter, der die Stiftung Ende Oktober verlässt.
Dabei macht er kein Geheimnis daraus: „Ich habe bei der
Heinrich-Böll-Stiftung angefangen, weil ich an ihre Ziele glaube:
Gerechtigkeit, Menschenrechte und Umweltschutz voranzubringen“, sagt der
Mann, der zuvor schon für andere Nichtregierungsorganisationen und
Stiftungen gearbeitet hat, der taz. „Es bricht mein Herz, zuzusehen, wie
die Organisation daran scheitert, diese Werte bei der Behandlung ihrer
ausländischen Angestellten zu leben.“ Die Welt verändern zu wollen sei
nicht glaubwürdig, solange den Worten nicht auch Taten folgten, meint er.
„Aus diesem Grund – damit die Böll-Stiftung ihr großes Potenzial auch
selbst lebt – habe ich mich entschieden, die Vorfälle öffentlich zu
machen.“
Bei den Vorgängen im polnischen Büro handelt es sich offenbar nicht um
einen Einzelfall. Vor mehreren Jahren soll es einen ähnlichen Konflikt im
Böll-Büro in Belgrad gegeben haben, allerdings mit einem anderen Ausgang:
Nachdem ein Großteil des Teams dort mit der Kündigung gedroht hatte, wurde
der Direktor ausgetauscht. In Pakistan sollen zahlreiche Böll-Mitarbeiter
nach einem Konflikt mit dem örtlichen Direktor gegangen sein.
Auch bei anderen deutschen Stiftungen sollen die deutschen Direktor*innen
ihre uneingeschränkte Machtposition gegenüber den lokalen
Mitarbeiter*innen bisweilen ausnutzen, ist zu hören. Denn dass sie
formal nicht vom Betriebsrat unterstützt werden dürfen, ist aufgrund der
rechtlichen Situation bei allen diesen Stiftungen gleich. Doch bei einigen
Stiftungen existieren zumindest Ombudspersonen, die Hinweise auf Missstände
vertraulich entgegennehmen und eine Unterstützung bieten. Bei der
Böll-Stiftung wird über ein solches System seit vielen Jahren debattiert,
ohne dass es eine Entscheidung gibt. „Ich hoffe, dass das jetzt bald
umgesetzt wird“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Pohl. Für die
ehemaligen Angestellten in Warschau kommt es zu spät.
21 Oct 2020
## LINKS
[1] https://www.boell.de/de/startseite
[2] https://www.boell.de/de/unsere-auslandsbueros
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Heinrich-Böll-Stiftung
Arbeit
Arbeitsrecht
Datenschutz
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Tourismus
Bolivien
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