# taz.de -- Album von Jazz-Musikerin Alina Bzhezhinska: Klänge wie eine Klette… | |
> Die ukrainische Harfenistin Alina Bzhezhinska hat die Londoner Jazzszene | |
> aufgemischt. Mit „Reflections“ will sie nun aufs europäische Festland. | |
Bild: Jazz auf 47 Seiten: die Harfenistin Alina Bzhezhinska | |
Harfen stehen im klassischen Orchestergraben fast immer am Rand. Oft ganz | |
rechts außen, manchmal auch ganz links. Aber meist abseits der prominenten | |
Musiker:Innen nahe beim Dirigentenpult. Und trotzdem fällt die Harfe | |
auf. Denn sie ist voluminös: Wiegt sie doch um die 40 Kilogramm und ist | |
alleine durch die Größe, zwei Meter, unförmig. | |
Noch dazu sieht die Harfe auch ziemlich kitschig aus mit ihrem vergoldeten | |
und geschwungenen Holzrahmen, auf den insgesamt 47 Saiten gespannt sind. | |
Und wenn sie dann mal im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel, wenn Werke von | |
Wagner oder Tschaikowski aufgeführt werden, dann sind es immer die | |
lyrischen Passagen, in denen Harfen ein paar Takte lang gebraucht werden | |
mit ihrer perlenden Tonspur. | |
Die ukrainische Künstlerin Alina Bzhezhinska stellt ihre Harfe nicht mehr | |
in den Orchestergraben, sondern geht mit ihr auf die große Bühne. Neben ihr | |
steht Julie Walkington am Kontrabass und Adam Teixera sitzt hinter den | |
Drums. Dann beginnt eine halbstündige Jamsession. | |
Immer wieder kündigt Bzhezhinska eine eigene Komposition an, oft aber wirkt | |
die Session wie spontan improvisiert, so sehr ist das Trio mit seinen | |
Instrumenten im Dialog. | |
## Gelegentliche Schlenker zum HipHop | |
Wie gut sich Harfe und Jazz zusammen denken und spielen lassen, lotet | |
Bzhezhinska seit einem Studienaufenthalt am Konservatorium der University | |
of Arizona in Tucson aus. Eigentlich ist die Ukrainerin von der Ausbildung | |
her klassische Harfenistin. Das hat sie an der Chopin-Musikakademie in | |
Warschau auch studiert. 2017 wurde die damals schon in London lebende | |
Bzhezhinska bekannt, als sie mit ihrem damaligen Quartett im Barbican | |
Center beim „London Jazz Festival“ auftrat. Ihr umjubelter Gig wurde für | |
den „Best Live Experience of the Year“ beim Jazz FM Award nominiert. | |
Inzwischen wird sie von der britischen Presse als „eine der besten | |
zeitgenössischen Harfenistinnen“ genannt, Erinnerungen an große | |
US-Jazz-Kolleginnen wie [1][Dorothy Ashby] und [2][Alice Coltrane] liegen | |
nahe. Bzhezhinska arbeitet mit namhaften britischen Jazzkollegen wie | |
Django Bates zusammen. 2018 erschien ihr hochgelobtes Debütalbum | |
„Inspiration“ und nun folgt „Reflections“, ein neues Werk, eingespielt … | |
ihrer Band, dem HipHarp Collective. | |
Bzhezhinska konnte für die Arbeit an ihren neuen Songs unter anderem den | |
Saxofonisten Tony Kofi, den Trompeter Jay Phelps, Julie Walkington und Adam | |
Teixera gewinnen. Sie mischt Eigenkompositionen mit Standards, bleibt dem | |
Instrumental bis auf zwei kurze Ausflüge zu Songs mit Gesang verbunden. | |
Gelegentlich macht sie einen Schlenker zum HipHop, ansonsten bleibt die | |
ukrainische Künstlerin dem Jazz treu. | |
Schon bevor sie Anfang der nuller Jahre ans Konservatorium ging, hatte sie | |
in der Kiewer Jazzszene mitgemischt und trat bei Jamsessions in | |
Erscheinung. Nun spannt sie ihren Fächer weit auf: Vom spannungsgeladenen | |
improvisierten Free Jazz bis zu melancholisch-intimen Momenten, ihr Sound | |
ist stilistisch vielfältig und doch sofort wiedererkennbar. | |
Der musikalischen Interaktion zwischen den klassischen Jazzinstrumenten | |
Bass, Saxofon, Trompete und Drums und dem Außenseiter-Instrument Harfe | |
zuzuhören, ist extrem spannend für das Jazz-Gewohnheits-Ohr. Man muss sich | |
an die neue Klangsignatur erst gewöhnen. Interessant ist, wie sich die | |
entfernten Verwandten Kontrabass und Harfe zueinander verhalten. | |
## Die Harfe schafft sich ihren Klangraum | |
Das Zusammenspiel beider Zupfinstrumente hört sich wie eine Symbiose an, so | |
wirken die tiefen Basstöne und die hohen Harfentöne wie die linke und | |
rechte Hand beim Klavier. Aber auch die Drums, vor allen die Hihat-Becken, | |
schaffen ein Klangfeld, auf dem sich die Harfe virtuos bewegen kann. Das | |
aber führt interessanterweise dazu, dass man auch die Drums noch mal ganz | |
neu hört. Wenn Blasinstrumente mit ins Spiel kommen, dominieren sie die | |
Harfe klanglich, diese aber schlingt sich wie eine Kletterrose um das | |
Saxofon herum und schafft sich so den Klangraum, den sie braucht. | |
Bzhezhinska dehnt den Radius der Möglichkeiten, was eine Harfe kann, | |
anregend aus, so dass man dieses Instrument in ihrer Musik aufs Neue | |
entdecken kann. Besonders eindrücklich im Stück „Alabama“, hier hat | |
Bzhezhinska ein langes Intro, in dem sie es schafft, die Reminiszenz an die | |
klassische Harfe und ihre spezielle Jazz-Harfe zur beeindruckenden | |
Klangsymbiose zu verbinden. | |
Seit Kriegsbeginn am 24. Februar haben Alina Bzhezhinska und das | |
HipHarpCollective über 30 Konzerte gegeben, deren Einnahmen an das | |
Kunst-Therapie-Zentrum im ukrainischen Luzk und die ukrainische | |
Territorialverteidigung gehen. Bis jetzt sind umgerechnet mehr als 35.000 | |
Euro zusammengekommen. Das nächste Solidaritätskonzert wird am 5. Dezember | |
in London stattfinden. Auf dem Kontinent muss man sich erst mal mit ihrem | |
Album zufriedengeben. | |
15 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Tontraeger/!5192022 | |
[2] /Jazzfest-Berlin-2022/!5893152 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
## TAGS | |
Musik | |
Jazz | |
Ukraine | |
London | |
Jazz | |
Jazz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Album von Drummer Makaya McCraven: Solieren auf Seidenlaken | |
Jazz, der fast klingt wie instrumentaler R&B: „In These Times“ ist das | |
neue, diesmal komponierte Album des Schlagzeugers Makaya McCraven. | |
Neues Album von Pharoah Sanders: Bären haben die Musik | |
Mit „Promises“ veröffentlichen der Londoner Elektroniker Floating Points | |
und US-Jazzsaxofonist Pharoah Sanders eine vibrierende Kollaboration. | |
Spiritueller Jazz aus Großbritannien: Mysteriöse Kometenmelodien | |
Das britische Trio The Comet Is Coming feiert den Kollektivgeist des Jazz. | |
Es dockt mit seinem Sound an die Londoner Dancefloor-Szene an. |