# taz.de -- Tonträger: Die Achse der Reissues | |
> James Luther Dickinson von 1971, Chaz Jankel aus den 1980ern und Dorothy | |
> Ashby von 1958 - drei neu aufgelegte Jazzalben und wohin sie heute | |
> verweisen. | |
Bild: Ein erneutes Hinhören könnte sich lohnen. | |
## Von einer Hölle zur andern | |
"Dixie Fried" ist nicht nur dem Primal-Scream-Sänger Bobby Gillespie | |
stetiger Quell der Inspiration. Auch der amerikanische Kritiker Nick | |
Tosches bescheinigte einmal dem Album, "eine der größten Musiken des 20. | |
Jahrhunderts" zu bergen. Aus dem Plural ist ersichtlich, was am Pianisten | |
und Gitarristen James Luther Dickinson fasziniert: dass er fürs Überleben | |
im Alltag bizarre Analogien bei so unterschiedlichen Künstlern wie dem | |
Countrysänger Tex Ritter und der Soulgruppe Staple Singers ausgegraben hat | |
und diese alte Musik aus einer Hölle geradewegs in die nächste zerrt. Die | |
Aufnahmen für "Dixie Fried" entstanden im Herbst 1971 in Memphis, zusammen | |
mit Dr. John, Sid Selvidge und anderen Musikern. Trotzdem ist der | |
schmierige Ölteppich, der sich über die Songs gelegt hat, nicht allein mit | |
der Allstarbesetzung zu erklären. Nach der Drogen-induzierten Euphorie der | |
Sixties wachte man auch im Süden der USA verkatert auf: Musikerfreunde | |
Dickinsons gerieten mit dem Gesetz in Konflikt, oder schlimmer, schieden | |
freiwillig aus dem Leben. Zudem stand die regionale Plattenindustrie vor | |
ihrer ersten großen Umstrukturierung. Die einende Macht der Aufnahmestudios | |
war im Schwinden begriffen. "Dixie Fried" landete alsbald in den | |
Grabbelkisten, aber, so Dickinson, "ohne Cut-out-Album wird kein richtiger | |
Mann aus dir". Heute lässt sich "Dixie Fried" als vitaler Zitatenschatz | |
begreifen und als Testament einer integrativen Haltung. | |
James Luther Dickinson: "Dixie Fried" (Sepiatone) | |
## Feinster Hyperventilationspop | |
Hierzulande ist der Londoner Keyboarder und Gitarrist Chaz Jankel ein | |
großer Unbekannter geblieben. Da helfen weder Hitsingles ("Ai no Corrida") | |
noch skurrile Soloalben ("Chazanova" 1981, "Chazablanca", 1983) noch Songs | |
für Hollywood-Filme (etwa für "Real Genius"). Es hat jedenfalls bis zur Ära | |
des Beardo-House und der Edits im 12inch-Format gedauert, um die | |
rhythmische Vielfalt und die clubtauglichen Vibes aus seinem Werk | |
herauszuhören. Während Jankel getreu dem Vornamen heute gepflegten, den | |
Sechzigerjahren verpflichteten Jazz tut (sein Album "Out of the Blue" ist | |
unter anderem zusammen mit dem israelischen Saxofonisten Gilad Asmon | |
entstanden), manchmal englischen R&B-Nachwuchs produziert (die Sängerin | |
Tyra Fernell), hat sich das Londoner House-Label Tirk Jankels Schaffen in | |
den Achtzigern angenommen. "My Occupation - the Music of Chaz Jankel" | |
versammelt klassische A- und rare B-Seiten, Hits und alternative Mixe. Den | |
feisten Hyperventilationspop von "Ai No Corrida", genauso wie den | |
schläfrigen Schmuddelwetter-Reggae ("To Woo Lady Kong"). Bongo-getriebenen | |
Disco-Wahnsinn ("Questionnaire"), ebenso wie die von Ian Dury gesungene | |
Clubhymne "Glad to know you" (einstmals ein Klassiker im New Yorker "Studio | |
54"). Die schwarzen Einflüsse und das, was Chaz Jankel aus ihnen gemacht | |
hat, könnten Vorbild für jüngere Musikergenerationen werden. | |
Chaz Jankel: "My Occupation - the Music of Chaz Jankel" (Tirk/Groove | |
Attack) | |
## The Groove Is In The Harp | |
Dorothy Ashby (1931-86) hatte es doppelt schwer. Als Frau im Jazz und dann | |
noch als Harfenistin konnte sie sich nur gegen große Widerstände | |
durchsetzen. In Detroit geboren, fing sie dort Mitte der Fünfziger als | |
Sessionmusikerin an, um 1958 mit "In a Minor Groove" landesweit Bekanntheit | |
zu erlangen. An die Erfolge ihrer Klassenkameraden Donald Byrd und Kenny | |
Burrell kam sie freilich nicht heran. Dafür versah die Musikerin, die sich | |
jahrelang als Einfrau-Hochzeitskapelle durchschlug, in den Sechzigern eine | |
eigene Jazz-Soul-Radiotalkshow in Detroit. Trotzdem werden viele Menschen | |
beim Stichwort Harfe schreiend das Weite suchen. Vielleicht horchen sie bei | |
"The Rubaiyat of Dorothy Ashby" nochmal hin. Mehr Seele, mehr Körper, mehr | |
Groove wurde aus dem Saiteninstrument nie wieder herausgekitzelt. In den | |
Fingerspitzen liegt die Kraft, "The Moving Finger" ist das Finale von | |
Ashbys "Rubaiyat" folgerichtig betitelt. Inspiriert von Epigrammen des | |
persischen Mathematikers und Dichters Omar Chayyam, suchte Ashby, typisch | |
für die späten Sechziger, im Osten nach Inspiration. Passend hat der | |
Chicago-Soul-Arrangeur Richard Evans mit Instrumenten wie Kalimba oder Koto | |
bebildert und für ein ausladendes Orchesterbett gesorgt sowie für einen | |
subkutanen Rhythmus, der nicht nur der Headphone-Gemeinde die Kopfhörer | |
aufsetzen lassen wird. | |
Dorothy Ashby: "The Rubaiyat of Dorothy Ashby" (Dusty Groove) | |
8 Nov 2007 | |
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