# taz.de -- Aktivistin über Präventivgewahrsam: „Der Geist ist frei“ | |
> Lina Schinköthe ist Mitglied der Letzten Generation – und eine von elf | |
> Aktivist:innen, die Weihnachten in Haft in München verbringen | |
> mussten. | |
Bild: Aktivistin Lina Schinköthe im November 2022 in Berlin | |
Die Begrüßung muss schnell gehen – das Gespräch, das die Gefängnisleitung | |
nach mehreren taz-Anfragen erlaubt hat, darf nur 30 Minuten dauern. Nach | |
einer Straßenblockade im Dezember verordnete ein Münchener Gericht für Lina | |
Schinköthe Präventivhaft bis zum 5. Januar. Das Interview findet am Tag vor | |
ihrer Entlassung statt. | |
taz: Sie sind seit dem 21. Dezember in Präventivhaft. Wie sehr freuen Sie | |
sich auf die Entlassung? | |
Lina Schinköthe: Ich freue mich, meine Freunde und meine Familie | |
wiederzusehen. Es ist nicht angenehm, hier zu sein. Das Gefühl lässt sich | |
kaum beschreiben: wenn man Gitter vor den Fenstern hat und die Zellentür | |
ins Schloss fällt, wenn der Körper gefangen, aber der Geist frei ist – das | |
klingt klischeehaft, ich weiß… | |
Wie ist es Ihnen in Haft ergangen? | |
Man hat sehr viel Zeit mit sich und den Menschen, mit denen man gemeinsam | |
in einer Zelle ist. Ich habe mir die Zelle mit drei anderen Frauen der | |
Letzten Generation geteilt. Wir haben alle unsere Familien vermisst. Ich | |
habe ein Buch über die [1][friedliche Revolution in Belarus] gelesen. Dort | |
haben vor allem Frauen gegen das unterdrückerische System protestiert. Das | |
war sehr inspirierend. | |
Warum wird Ihr Protest so hart bekämpft? | |
Die Politik sperrt uns lieber weg, als sich mit der unangenehmen Wahrheit, | |
der Klimakrise, zu beschäftigen. Ich kann oft nicht fassen, dass ich in | |
einer Welt lebe, in der das wirklich passiert. Das macht mich traurig und | |
manchmal auch sehr wütend. | |
Hat es geholfen, dass Sie mit Ihren Mitaktivist:innen in Haft darüber | |
sprechen konnten? | |
Wir haben viel geredet und uns gegenseitig unterstützt. Jeden Abend haben | |
wir das Fenster geöffnet: Mit unseren Familien und den männlichen | |
Inhaftierten unserer Gruppe war ausgemacht, dass wir immer um acht ein paar | |
Lieder singen, zum Beispiel „Have you been to jail for justice“. | |
Wie läuft ein Tag in Präventivhaft ab? | |
Man kriegt drei Mahlzeiten am Tag, manchmal frische Wäsche, und es gibt | |
einen Hofgang. Ansonsten passiert nicht so viel. Ich war trotzdem sehr | |
dankbar für alles, was wir bekommen haben. Eine warme Mahlzeit ist Luxus. | |
Jetzt schon leiden Menschen Hunger oder sterben, weil [2][ihre Ernten wegen | |
der Klimakatastrophe] ausfallen. | |
Wie fühlt es sich an, für den Klimaaktivismus kriminalisiert zu werden? | |
Ich bin eine ganz normale Bürgerin dieses Landes. Natürlich gelten die | |
Gesetze auch für mich. Gleichzeitig sagt mir mein Gewissen: Das, was die | |
Regierung macht, kann nicht richtig sein. Laut Artikel 20a im Grundgesetz | |
ist sie dazu verpflichtet, Lebensgrundlagen zu schützen. Das tut sie ganz | |
offensichtlich nicht. Ist das nicht [3][vielleicht auch kriminell]? | |
In München wurden schon vor Ihnen Menschen der Letzten Generation in | |
Präventivhaft gesteckt. Warum haben Sie sich gerade dort den Protesten | |
angeschlossen, mit dem Risiko, selbst inhaftiert zu werden? | |
Vor mir haben hier Menschen am Stachus geklebt, die ich bewundere. Zum | |
Beispiel Winfried Lorenz, der ist 63 Jahre alt. Als er für 30 Tage in Haft | |
kam, wollte ich seinen Platz auf der Straße einnehmen und seinen Protest | |
weiterführen. Mir war natürlich bewusst, dass auch mir die Präventivhaft | |
droht. Gleichzeitig habe ich Kraft daraus geschöpft: Niemand kann mir die | |
Entscheidung nehmen, mich friedlich gegen die aktuelle Politik zu wehren. | |
Unabhängig davon, [4][ob ich auf der Straße klebe] oder danach 30, 60 oder | |
sogar noch mehr Tage in Haft sein werde. | |
Haben Sie trotzdem Angst davor, beim nächsten Protest einfach wieder | |
inhaftiert zu werden? | |
Ja, natürlich. Ich bin 21, am liebsten würde ich studieren oder mit meinem | |
kleinen Bruder auf den Spielplatz gehen anstatt die Zeit im Gefängnis zu | |
verbringen. Die Haft zu riskieren ist eine Entscheidung, die man nicht | |
leichtfertig trifft. | |
Haben Sie im Gefängnis auch schöne Erfahrungen gemacht? | |
Wir haben ganz viele Briefe von Menschen bekommen, die sich bei uns für | |
unseren Mut bedanken und sich mit uns solidarisieren. | |
In der Gesellschaft solidarisieren sich längst nicht alle mit der Letzten | |
Generation. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung? | |
Ich weiß, dass meine Freunde und meine Familie zu mir stehen. Das gibt mir | |
den Mut weiterzumachen. Generell geht es uns nicht darum, dass die Menschen | |
uns mögen. Sondern darum, etwas zu verändern. Die [5][Proteste werden | |
weitergehen]. | |
5 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Oppositionelle-in-Belarus/!5905611 | |
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[4] /Klimaprotest-in-Grossbritannien/!5903590 | |
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## AUTOREN | |
Nanja Boenisch | |
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