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# taz.de -- 8. Mai als Feiertag in Berlin: Kein gemeinsames Gedenken
> Berlin bekommt einen einmaligen Feiertag. Das solle auch künftig so sein,
> fordern viele. Aber ein offizieller Feiertag könnte dem Gedenken schaden.
Bild: 8. Mai 1945: Soldaten der Roten Armee feiern die Kapitulation Deutschlands
Pünktlich zum [1][8. Mai] werden die sozialen Netzwerke wieder mit linkem
Erinnerungskitsch geflutet werden: schwarzer Grund, darauf ein Davidstern
und in weißer Schrift zu lesen „Niemals vergeben. Niemals vergessen“. Oder
auch: Bilder vom zerbombten Berlin 1945, überschrieben mit „Danke,
Alliierte“. Politiker*innen, linke Aktivist*innen, politisch korrekte
Deutsche werden wieder ihre Pflicht tun. Werden ritualisiert kundtun, dass
sie alle sicher gegen Faschismus sind, und deutlich machen, dass so etwas
wie der Nationalsozialismus „Nie wieder“ passieren darf.
Wer in Berlin lebt, wird in diesem Jahr zudem das Erinnerungsritual nicht
zwischen Frühstück und den Weg zur Arbeit quetschen müssen. Das Berliner
Abgeordnetenhaus beschloss Anfang letzten Jahres, den 8. Mai 2020
anlässlich des Kriegsendes vor 75 Jahren einmalig zum Feiertag zu erklären.
[2][Esther Bejarano, Holocaustüberlebende] und Vorsitzende des
Auschwitz-Komitees Deutschland, [3][forderte in einem offenen Brief], den
8. Mai auch bundesweit und für immer zum Feiertag zu machen. Sie schrieb:
„Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der
Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit
sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8.
Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes.“
Die Diskussion darüber, ob das sinnvoll ist, wird seit einigen Wochen sehr
engagiert geführt. Zustimmung erhielt Bejarano von Politiker*innen der
Grünen und Linken, von zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch
[4][von zahlreichen Journalist*innen].
## Institutionalisierte Erinnerungstage
Braucht es das, einen weiteren festen Feiertag, bundesweit?
Eins vorweg: Menschen wie Bejarano haben gute Gründe, einen Erinnerungstag
zu fordern. Niemand sollte ihr das absprechen. Problematisch ist auch nicht
so sehr die Frage, ob es nun einen bundesweiten Feiertag geben sollte oder
nicht. Das Problem ist die drohende Vereinnahmung dieses Datums.
Institutionalisierte Erinnerungstage waren in Deutschland immer schon
ambivalent. In der Regel erfolgt die Ausdeutung dieser Tage ja von
deutscher institutioneller Seite. Nehmen wir den 9. November, an dem [5][an
die Novemberpogrome erinnert wird]. Jüdinnen und Juden werden an diesem Tag
sichtbar, man lässt sie bei Gedenkveranstaltungen mahnen und fordern. Die
Deutschen nicken dann, es wird ernst geguckt, und am Tag darauf haben sie
längst vergessen, weshalb sie nickten.
Tage wie diese sind nicht dazu gedacht, an Jüdinnen und Juden zu erinnern,
die über die Deutschen siegten. Vielmehr reinigen solche Gedenktage die
Seele der Mehrheitsgesellschaft. Zurück zur Frage also: Braucht es einen
weiteren staatlich verankerten Gedenktag, der genau diese Funktion erfüllt?
Der 8. Mai ist als Erinnerungstag noch schwieriger in seiner Deutung als
der 9. November. Woran soll hier erinnert werden? Trauer oder Freude? Sieg,
Niederlage oder Befreiung? Wer erinnert? Fragen, die je nach Erfahrung und
Perspektive auf dieses Datum anders beantwortet werden müssen. Historisch
gesehen, ist der 8. Mai für die Deutschen mehrheitlich ein Tag der
Niederlage. Das ist Fakt.
Würde Deutschland von nun an, ganz offiziell und andächtig, am 8. Mai
gemeinsam mit Holocaustüberlebenden den „Tag der Befreiung“ feiern – es
wäre kaum auszuhalten. Es gibt Ereignisse, deren kann man nicht gemeinsam
Gedenken.
Eine Realität ist auch, dass vielen Menschen in dieser Gesellschaft der 8.
Mai und diese sehr deutsche Diskussion wenig sagt. Sie feiern den 9. Mai,
feiern tatsächlich den Sieg über Nazi-Deutschland. Diese Menschen gedenken
ihrer (Ur-)Großeltern, die vielleicht im Widerstand waren, die als Soldaten
in der Roten Armee kämpften. Sie trauern um ihre Familien, die umgebracht
wurden oder gedenken derer, die überlebten. Für diese Menschen ist in der
deutschen Erinnerungsdebatte sowieso kein Raum. Zu sehr erinnern sie daran,
dass man besiegt wurde und kapitulierte.
Am Ende ist also recht unerheblich, ob der 8. Mai ein Feiertag wird. Das
Gedenken findet längst statt – separiert nämlich. Gut so, denn auf
mitfühlende Deutschen kann man dabei gut verzichten.
7 May 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Tag-der-Befreiung/!t5464156
[2] /Lesung-und-Konzert-von-Esther-Bejarano/!5480870
[3] https://www.auschwitz-komitee.de/offener-brief-an-die-regierenden-und-alle-…
[4] https://twitter.com/FerdaAtaman/status/1257926728711917570?s=20
[5] /9-November-1938-und-1989/!5637314
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
8. Mai 1945
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