# taz.de -- Frauenmagazine und Sexismus: Faschismus auf Hochglanzpapier | |
> Frauenmagazine beraten nicht – sie entmündigen. Zeitschriften wie | |
> „Glamour“ oder „Jolie“ sind voll von hinterhältig penetranten, | |
> menschenverachtenden Tipps. | |
Bild: Frei verkäufliche Menschenverachtung: Frauenmagazine mit den einschlägi… | |
Jemand, der eine Frau anspricht, weil ihre Fußnägel nicht lackiert sind, | |
der ihr sagt, ihr Körper sei eine Sünde, der ist vielleicht krank oder | |
paranoid. Diese Krankheit, auf Hochglanzpapier gedruckt und mit vielen | |
bunten Bildern versehen – das ist der Inhalt von deutschen | |
Frauenzeitschriften im Jahr 2012. | |
Dass die Fotos in solchen Magazinen digital bearbeitet sind und | |
unrealistische Schönheitsideale verbreiten, ist inzwischen ins kollektive | |
Bewusstsein übergegangen. Und ja, deutsche Frauenzeitschriften zeigen fast | |
nur europäische, weiße, dünne Frauen mit langen Haaren. Geschenkt, das ist | |
keine Entdeckung. | |
Dass aber auch in den Texten der Frauenzeitschriften mit hinterhältiger | |
Penetranz menschenfeindliche, letztlich faschistische Botschaften verkauft | |
werden, wird kaum thematisiert – und wenn, dann eher belächelt. Es gebe | |
schließlich Wichtigeres als Fußnägel, Wimpern und Cellulite. Für Frauen, | |
die sich als emanzipiert verstehen, sind Glamour, Joy oder Jolie höchstens | |
lockere Unterhaltung. Oder irrelevant, vor allem wenn die Frauen nicht | |
heterosexuell sind. | |
## Demütigende Botschaften | |
Irrelevant kann es aber nicht sein, wenn sich Millionen von Frauen | |
kontinuierlich erklären lassen, dass sie hässlich, fett und eklig sind. | |
Natürlich behaupten die meisten Frauenmagazine nicht, „feministisch“ zu | |
sein. Dafür gibt es die Emma oder das Missy Magazine. Aber: Emma und Missy | |
Magazine haben eine Auflage von rund 70.000 beziehungsweise 20.000 | |
Exemplaren und erscheinen vierteljährlich. Glamour, InStyle, Joy, Jolie und | |
Cosmopolitan verkaufen von jeder Ausgabe 300.000 bis 500.000 Exemplare – | |
monatlich. | |
Das Perfide ist, dass diese Magazine ihren Leserinnen ein erfolgreicheres, | |
erotischeres, selbstbewussteres Leben versprechen und dabei demütigende und | |
gewalttätige Botschaften enthalten. Das Magazin Jolie wirbt mit dem Spruch | |
„Alles, was das Leben schöner macht“, und trägt den Untertitel „The | |
beautiful life guide“. | |
In der Juni-Ausgabe findet sich ein „Blowjob-Guide“, der Fragen zu Oralsex | |
beantwortet: Muss eine Frau stöhnen, wenn sie einem Mann einen bläst, auch | |
wenn sie es nicht so toll findet? Muss sie auch die Hoden lecken? Was soll | |
sie tun, wenn sie beim Blasen einen Würgereiz kriegt? Die Antwort ist | |
nicht: „Lassen Sie es, Sie müssen das nicht machen.“ Sondern: „Üben, ü… | |
üben!“ Der Tipp kommt von einer Julia, die in einem „Edelbordell“ arbeit… | |
Und „Pornostar“ Mia Magma erklärt: „Viele Männer stehen darauf, wenn es | |
einem die Tränen in die Augen treibt.“ | |
Was ist da los? Warum sollte eine Frau, die privat und zum Spaß Sex hat, | |
gegen ihren Willen handeln? Dass Prostituierte und Pornodarstellerinnen so | |
etwas tun, ist das eine. Aber es ist absurd, anderen Frauen zu sagen, sie | |
sollten sich überwinden, weil „er“ ja drauf steht. Egal ob sie es ekelhaft | |
finden. Wobei: Laut Jolie ist das gar kein Sex. Denn wenn eine Frau | |
wirklich nicht blasen möchte und sich tatsächlich weigert, dann ist die | |
Lösung: „Sex! Den gibt’s ja auch noch.“ Ach. Was ist Oralsex, wenn es ke… | |
Sex ist? Wenn nur vaginaler Geschlechtsverkehr Sex ist, haben dann Lesben | |
und Schwule gar keinen Sex? | |
Aber Homosexuelle sind für Jolie sowieso komisch. Zum Thema Kleidung, die | |
man an seinem Partner nicht mag, gibt das Magazin folgenden Ratschlag. Die | |
Frau soll sagen: „Was für ein Zufall. Genau die gleiche Hose hatte unser | |
neuer, schwuler Nachbar gestern Nachmittag auch an!“ Einige Seiten weiter | |
erläutert ein Kolumnist, „warum sich Männer nicht küssen (sollten)“. | |
Begründung: weil es eklig ist. | |
Dasselbe Heft erklärt unter dem Titel „Was uns erschreckt“, dass ein | |
Viertel der deutschen Frauen mit unrasierten Beinen und unlackierten | |
Fußnägeln herumläuft. „Derlei Beautysünden“ würde der Frühling aber | |
aufdecken. Den Körper eines Menschen im natürlichen Zustand als „sündig“… | |
bezeichnen – das kennt man sonst nur von religiösen FundamentalistInnen | |
oder traumatisierten Menschen, die ihren eigenen Körper verabscheuen. | |
## Führer über Führer | |
Es ist kein Zufall, dass in Frauenzeitschriften die Wörter „sollen“ oder | |
„müssen“ häufig auftauchen und sich in nahezu jeder Ausgabe ein „Guide�… | |
findet – ein Führer (fairerweise sei gesagt, dass es im Englischen die | |
Wörter „leader“ und „guide“ gibt, wobei der „leader“ eher der pers… | |
Führer ist und „guide“ auch eine Orientierungshilfe sein kann). Die Jolie | |
mit dem Blowjob-Guide enthält zusätzlich einen Festival-Guide, die | |
Juli-Ausgabe der Cosmopolitan bietet einen Safe-Sun-Guide, das Joy-Heft für | |
August einen Holiday-Guide. | |
Führer über Führer. Dieser Führerkult müsste in Deutschland einen üblen | |
Beigeschmack haben. Aber auch sonst: Die ständigen Tipps, Tricks und | |
Ratschläge suggerieren, dass die Frauen Hilfe nötig haben. Beratung ist | |
eine tolle Sache. Wenn man sie aber nicht braucht, ist es Bevormundung. | |
Aber kann es sein, dass die Millionen von Frauen, die diese Magazine lesen, | |
völlig fertig und hässlich durch die Welt irren und dankbar lächeln, wenn | |
man ihnen erklärt, wie das denn geht mit dem Leben und so? Was ist dran an | |
den Magazinen, dass sie so erfolgreich sind? | |
Die Titelseiten geben einen Hinweis. Die Joy erklärt „33 Dinge, die Sie in | |
den Ferien unbedingt ausprobieren sollten“, und „Die 5 Säulen der Beziehung | |
– und wo Sie ansetzen sollten!“. Das Juli/August-Heft von Women’s Health | |
sagt: „Was Sie jetzt über die Pille wissen müssen“ und „Last Minute zum | |
Strandbauch – mit diesen 8 Übungen schaffen Sie’s noch“. | |
Der einfache Trick ist, die Leserin auf ein Problem hinzuweisen, das sie | |
womöglich hat, und zu erklären, wie sie es – in 5, 8 oder 33 Schritten – | |
lösen kann. Die billigste Variante kapitalistischer Produktanpreisung. | |
Allerdings mit einem speziellen Dreh: Hier fehlt nicht einfach etwas im | |
Regal oder Kleiderschrank, hier wird die Leserin selbst für unzulänglich | |
erklärt. | |
## „Wir, die Frauen“ | |
Genauso simpel ist das allgegenwärtige „Wir“ in den Zeitschriften, ein | |
rhetorisches Mittel, das Boulevardmedien und ErzieherInnen gern nutzen. | |
„Wir machen das so“ heißt: Wer es nicht so macht, gehört nicht dazu. „W… | |
stellt Gemeinschaft her. „Was wir durch Lästern lernen“, erklärt Joy. | |
Women’s Health freut sich: „Viele Männer sind in ihrem Denken und Handeln | |
einfach gestrickt – und genau das lieben wir an ihnen.“ | |
Ein Kollektiv zu konstruieren („wir, die Frauen“), das einem anderen | |
gegenübersteht („sie, die Männer“), die Mitglieder dieses Kollektivs für | |
unmündig und unzulänglich zu erklären und Lösungen für ihre vermeintlichen | |
Probleme anzubieten – das alles sind Elemente faschistischer Ideologie. Neu | |
an dieser Art von Führerkult ist die zusätzliche Verknüpfung mit | |
kapitalistischer Verkaufslogik. | |
Faschismusvorwürfe haben freilich eine gewisse Tradition im Feuilleton. Die | |
Ehe und die Kleinfamilie, Facebook und Google, Fleischesser und | |
Fußballfans: alle sind mal dran. Frauenzeitschriften waren von dieser | |
Kritik bisher ausgenommen – unberechtigterweise. | |
19 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
## TAGS | |
Zeitschriften | |
Brigitte | |
Sexismus | |
Missbrauch | |
Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
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