Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Theateradaption von „Das Lehrerzimmer“: Paukerdämmerung
> Das Nationaltheater Mannheim versucht sich an einer Übertragung des
> Riesenerfolgs von İlker Çataks Film „Das Lehrerzimmer“ auf die Bühne.
Bild: Carla Nowak (Rahel Weiss) in ihrer Schulklasse in der Mannheimer Bühnena…
Es gibt nicht viele Orte, an denen Menschen verschiedener Herkünfte und
Sozialisationen eine geraume Lebenszeitspanne teilen. Und Schulen sind die
wichtigsten unter diesen wenigen, weil sie Kinder für ihre noch lange
Zukunft prägen. Für Filmemacher*innen ist der schulische Mikrokosmos
auch deshalb interessant, weil hier alte Hierarchien auf neue pädagogische
Konzepte treffen und Vorurteile wirkmächtige Kreise ziehen. Demografischer
und demokratischer Wandel in a nutshell: Das birgt ein ungemein großes
dramatisches Potenzial.
Mit [1][„Das Lehrerzimmer“ ist dem Regisseur İlker Çatak] vor gut zwei
Jahren ein Glanz- und Paradestück des Schulfilm-Genres gelungen. Der
gesellschaftspolitisch brisante Psychothriller räumte beim Deutschen
Filmpreis in fünf Kategorien ab und war [2][2024 für den Auslands-Oscar
nominier]t.
Auch deshalb zu Recht, weil die rasant geschnittene Story auch rasend gut
besetzt war: Mit vielen Schauspieler*innen aus dem deutschsprachigen
Theater – und mit Leonie Benesch als Protagonistin Carla Nowak, die als die
idealistische Neue im Kollegium eines Gymnasiums gegen inquisitorische
Praktiken im Haus opponiert und dann selbst zu unlauteren Mitteln greift,
um eine Diebstahlserie aufzuklären. Der Film folgt Carlas Perspektive in
ihrem Kampf darum, dennoch fair und integer zu bleiben. Die Kamera liebt
Beneschs Gesicht und dessen so ausdrucksstarke wie minimalistische Mimik:
großartig!
## Extrem nah am Film
Wer diesen Stoff auf das Theater übertragen will, braucht Mut und eine
richtig gute eigene Idee. Den Mut hatte das Nationaltheater Mannheim, das
„Das Lehrerzimmer“ dem jungen, aufstrebenden Regisseur Adrian Figueroa
anvertraute und dafür die große Bühne im Alten Kino Franklin freiräumte.
Die guten Ideen hatte es leider nicht. Figueroas Version bleibt extrem nah
am Film.
Der Text folgt zum großen Teil wortwörtlich dem Original, teils auch da, wo
die Inszenierung längst in eine andere Richtung abgebogen ist. Zum Beispiel
spricht Carla, hier gespielt von Rahel Weiss, mit einem Schüler, den sie
beim Spicken ertappt hat, anschließend über seinen Widerstand bei der
Wegnahme der Mathearbeit. Aber die Szene, in der er sich wehrt, wurde gar
nicht gespielt.
Derartige unlogische Abweichungen fallen umso mehr auf, weil Figueroa die
Filmszenen sonst fast eins zu eins in die unterschiedlichen Räume
implantiert, die zwischen den teiltransparenten Stellwänden auf Irina
Schicketanz’ Drehbühne entstehen. Der dadurch mögliche Direktvergleich der
Schauspielleistungen fällt ebenfalls nicht zugunsten des Mannheimer
Ensembles aus.
Eindimensionale Kostüme und Spielweisen beamen das Lehrer-Kollegium um
Jahrzehnte in die Vergangenheit zurück. Aus nachvollziehbaren Charakteren
mit Schwächen werden verbohrte Pauker, bei denen es kaum irritiert, dass
sie den türkischstämmigen Schüler Ali als Erstes des Diebstahls
verdächtigen.
## Kraftvoll, dynamisch und genau choreografiert
Fatalerweise zieht sich auch die Hauptdarstellerin auf das vertraute
Lehrerinnenklischee zurück, das Kinder mit geheuchelter Anteilnahme und
falschem Lächeln abspeist, statt sie (und sich selbst) wirklich ernst zu
nehmen. Nur die Mannheimer Kids, die die Schüler spielen, wirken voll und
ganz von heute. Ihr Tanz, den die Regie in einige der zwischen den Szenen
entstehenden Lücken presst, ist kraftvoll, dynamisch und genau
choreografiert.
Andere Versuche, mit surrealen Zwischenspielen eigene ästhetische Akzente
zu setzen, wirken dagegen eher hilflos. Kinder, die wie Hausgeister durch
die Fenster ins Klassenzimmer starren, und Lehrer, die in Slow Motion durch
dunkle Räume robben oder in einer Nische kauernd ihre Armbanduhr anstarren,
sollen vermutlich die Kratzer und Sprünge in der Realitätswahrnehmung der
Protagonistin beglaubigen und damit bebildern, was nicht erspielt werden
konnte. So klar verfehlt Theater das Klassenziel selten.
8 Dec 2025
## LINKS
[1] /Das-Lehrerzimmer-im-Kino/!5928796
[2] /Oscar-Kandidat-lker-Catak-ueber-Sturheit/!5993318
## AUTOREN
Sabine Leucht
## TAGS
Theater
Deutscher Film
Film
Schule
Mannheim
Theater
Oscars
Kinostart
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wallenstein und die Kriege heute: Putins Koch bittet zu Tisch
Jan-Christoph Gockels siebenstündiges „Schlachtfest“ rund um Schillers
„Wallenstein“ kommt in den Kammerspielen München ganz in der Gegenwart an.
Oscar-Kandidat İlker Çatak über Sturheit: „Ich bin anders als ihr“
İlker Çatak wollte Filme machen, landete aber erst mal im BWL-Seminar.
Jetzt ist sein Film „Das Lehrerzimmer“ für den Oscar nominiert.
„Das Lehrerzimmer“ im Kino: Pädagogik und geschwollene Augen
İlker Çataks Spielfilm „Das Lehrerzimmer“ inszeniert aufreibenden Alltag …
einer Schule als perfide Mobbinghölle – aus der es kein Entkommen gibt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.