| # taz.de -- Yael Ronen an der Berliner Schaubühne: Halluzinationen als kulture… | |
| > Yael Ronens „Sabotage“ an der Berliner Schaubühne ist eine überdrehte | |
| > Gesellschaftsanalyse des deutschen Umgangs mit Juden, Israel und Gaza. | |
| Bild: Carolin Haupt und Dimitrij Schaad in „Sabotage“ | |
| Nach dieser Aufführung dürften die Suchanfragen für „Steißbeinfisteln“ … | |
| in die Höhe gehen. Dimitrij Schaad eröffnet die Uraufführung von „Sabotage… | |
| [1][an der Berliner Schaubühne] mit einem Holocaust-Witz, gefolgt von einem | |
| Slapstick-Monolog über eingewachsene Gesäßhaare, sich entzündende Haut und | |
| eiternde Abszesse. | |
| Seine Figur Jona Lubnik, ein jüdischer Dokumentarfilmer, ist buchstäblich | |
| wie metaphorisch am Ende. Schon nach den ersten Minuten ist klar: Yael | |
| Ronen wird in ihrer dritten Inszenierung an der Berliner Schaubühne mit | |
| viel Komik in geopolitischen wie persönlichen Empfindlichkeiten | |
| herumpointieren. Trotz Fistel: Epistemologische Pathologien interessieren | |
| sie dabei mehr als medizinische. | |
| Jona Lubnik, mit Hornbrille und krausem Haar eine Abwandlung von Woody | |
| Allens Stadtneurotiker, hat Politisches lange gemieden. Zu oft ist er als | |
| in Jerusalem geborener Künstler, Sohn eines russischen Vaters und einer | |
| neuerdings mit einem Palästinenser liierten ukrainischen Mutter, mit | |
| Identitätsfragen konfrontiert. Die Frage, wie es seiner Mutter gehe, macht | |
| Abendessen für ihn dadurch ebenso zu Hinterhalten wie jene nach dem | |
| deutschen Umgang mit Gaza. | |
| ## Land mit riesigem blinden Fleck? | |
| Eine Idee für ein provokantes Filmprojekt soll nun Abhilfe schaffen: Nach | |
| der Siegeseuphorie des Sechstagekrieges kritisierte der jüdische Philosoph | |
| [2][Jeschajahu Leibowitz] die israelischen Siedler als „Judeo-Nazis“, Juden | |
| faschistischer Mentalität. Jona Lubnik glaubt, in den Mahnungen des | |
| „Zornpropheten“ der 1960er Jahre einen Schlüssel für die Gegenwart zu | |
| finden. Was, wenn Deutschlands Lektionen aus der Geschichte heute auch | |
| einen „riesigen blinden Fleck“ entstehen lassen? Wenn Vergangenheit zum | |
| Vorwand wird, um über die Gegenwart zu schweigen? | |
| Gleichermaßen will er die Deutschen einer Liebesprobe unterziehen. Wie | |
| steht es um die Toleranz gegenüber einem jüdischen Künstler, der sich nicht | |
| wie ein „guter Jude“ verhält? Was er mit dieser Bezeichnung meint, bleibt | |
| ungewiss. Seine Frau (Carolin Haupt), eine kühle Neurochirurgin, die auf | |
| eine Beförderung zur Leiterin der Charité hofft, sieht dahingegen vor allem | |
| das Risiko eines Shitstorms. Den Gedanken versucht sie argumentativ aus | |
| seinem Kopf zu entfernen, unterstellt ihm den Versuch der politischen | |
| Reinwaschung von seinem Herkunftsstaat Israel als wahres Motiv der | |
| Verfilmung. | |
| Sie sieht darin auch einen Ausdruck seiner tief sitzenden Selbstverachtung, | |
| die ihn, wie sie ihm wütend entgegenschleudert, zu einem „antisemitischen, | |
| sich selbst hassenden Juden“ mache. Tatsächlich bedient sich Jona einer | |
| riskanten Begriffswahl, macht Witze über die Shoah, Anspielungen auf Israel | |
| als „ewiges Opfer“, spricht vom „Genozid in Gaza“. Aus anderen Mündern | |
| leicht als antisemitisch zu deuten, werfen diese Zuspitzungen bei ihm die | |
| unangenehme Frage auf, ob auch ein Jude antisemitisch sein kann. | |
| Dabei droht ein womöglich antisemitisch gelesener Film auch die | |
| idealisierte Vorstellung ihrer aus der Geschichte lernenden „deutschen | |
| Vorzeigefamilie“ zu erschüttern. Wenn Israel plötzlich auch Täter sein | |
| könne – was bedeutet das für sie, für ihre Generation, für all jene, die | |
| nach jahrzehntelangem Wegschauen so sehr hofften, moralisch endlich auf der | |
| richtigen Seite zu stehen? Panik. Die Angst, dass das Gute ein so fragiles | |
| Konstrukt ist wie das aufgebaute Ikea-Regal zwischen ihnen, sitzt tief. | |
| ## Die Therapeutin bräuchte Supervision | |
| Zerbrechliches zusammenzufügen versucht auch Jonas Therapeutin (Eva | |
| Meckbach). Meistens ihre Vase, viermal die Woche ihn. Sie ist weniger die | |
| Stimme professioneller Distanz als eine Figur, die sich selbst in | |
| Deutungsspiralen verfängt. Dass sie seine Ängste als in Deutschland | |
| lebender Jude und ihre Empörung über Gaza nicht zusammendenken kann, wird | |
| zur metapsychologischen Parodie. Die Therapeutin bräuchte Supervision, um | |
| diese Therapie auszuhalten. Sie schreckt aber zu sehr davor zurück, als | |
| judenfeindlich und unprofessionell dazustehen. | |
| Ihr Bruder (Konrad Singer) leidet an Sehstörungen nach einem Schlaganfall. | |
| Die medizinische Ursache: Ein „blinder Fleck“, den das Gehirn mit | |
| imaginären Bildern füllt. Was er zu sehen glaubt, ist ein übergewichtiger, | |
| ihn mit dem Handy filmender Jesus. Darin zeigen sich Variationen eines | |
| Motivs, das das ganze Stück durchzieht: Blindheit, die auf unhinterfragten | |
| Glaubenssätzen beruht. Wird an ihnen gerüttelt, ist der erste Reflex eine | |
| Überpsychologisierung. Oder die spiegelnde Selbstvergewisserung mit Chatty, | |
| der alles bejahenden KI. Beides verhindert eine sachliche | |
| Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit Lebenslügen, einem | |
| halluzinierten Jesus. | |
| Halluzinationen als kultureller Zustand scheinen in Yael Ronens | |
| Inszenierung förmlich in den Wänden zu stecken. Handflächen streichen über | |
| den weißen Hintergrund, raunende Münder sind zu erahnen, die das Publikum | |
| dieselbe paranoide Wachheit spüren lassen wie die Figuren. Schweigen sie? | |
| Oder wollen wir sie nicht hören? | |
| ## Mit jazziger Leichtigkeit | |
| Gleichzeitig durchzieht „Sabotage“ eine hibbelige Überdrehtheit. Kluge | |
| Pointen sitzen fast ausnahmslos und geben kontinuierlich Anlass zum Lachen. | |
| Die österreichisch-israelische Regisseurin beweist mit der | |
| Gesellschaftskomödie Gespür, sonst leicht überfordernde Diskurse mit einer | |
| jazzigen Leichtigkeit aufzugreifen, ohne zu moralisieren. Dass das gelingt, | |
| ist die wohl die größte Leistung der Inszenierung. | |
| Die Charaktere hingegen bleiben bisweilen holzschnittartig, Karikaturen, | |
| die stellenweise eine Distanz schaffen, wo ein Mindestmaß an Identifikation | |
| Voraussetzung für selbstentlarvende Erkenntnisse gewesen wäre. So wird mehr | |
| gelacht als sich selbst ertappt. Auch dramaturgisch erlaubt sich Ronen | |
| manchmal Überschuss. In Nebensträngen aus Liebesdreiecken verfängt sich das | |
| Stück dadurch vereinzelt in den eigenen Fäden. | |
| Mit Spiegelungen des immer selben Motivs eines blinden Fleckes produziert | |
| „Sabotage“ letztendlich seine eigene Echokammer, mündet in jener | |
| Überpsychologisierung und spiegelnder Selbstvergewisserung, die es | |
| eigentlich kritisieren will. Gewissermaßen sabotiert es sich damit selbst. | |
| Das kann man Yael Ronen als Manko vorhalten – oder als äußerst konsequente | |
| Inszenierung würdigen. | |
| 9 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Luca Klander | |
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