| # taz.de -- Band Laibach im ehemaligen Jugoslawien: Tanzen mit Tito | |
| > Im Jajce wird der Geburtstag Jugoslawiens gefeiert. Auch Laibach trat | |
| > auf. Der Band wird vorgeworfen, am Untergang des Staats mitgewirkt zu | |
| > haben. | |
| Bild: Mit roten Sternen und Tito-Motiven: Menschen feiern am 29. November den G… | |
| Auf einem Hügel über dem Fluss Vrbas schwenkt der 16-jährige Adin | |
| entschlossen die jugoslawische Trikolore mit dem roten fünfzackigen Stern. | |
| Er trägt Partisanenuniform und sagt: „Ich trage sie, weil ich Kommunist bin | |
| und den Partisanenkampf liebe. Ganz einfach.“ Aus dem ganzen ehemaligen | |
| Jugoslawien sind Menschen am 29. November 2025 ins bosnische Jajce gereist | |
| – an jenen Ort, an dem sich 1943 der Antifaschistische Rat der | |
| Volksbefreiung Jugoslawiens (AVNOJ) zum zweiten Mal unter Leitung Josip | |
| Broz Titos versammelte, um die Grundlagen des sozialistischen Staates zu | |
| beschließen. | |
| Zu einem Zeitpunkt, als Partisan:innen bereits große Teile des Landes | |
| von der NS-Besatzung befreit hatten. Adin musste nicht weit reisen, er | |
| kommt aus Jajce. Die Stadt mit ihren rund 25.000 Einwohner*innen sei | |
| über das Gedenken gespalten, sagt er: Manche unterstützten die Feier, viele | |
| seien gleichgültig und einige dagegen, letzteres, weil sie im Kopf | |
| „beschränkt wie ein Balkon“ seien. | |
| Ein weiterer Besucher ist Sead Dulić, Präsident des Bundes der | |
| Antifaschist*innen Bosnien-Herzegowinas. Er versteht nicht, warum sich | |
| jemand – der kein Faschist ist – am roten Stern störe. Unter diesem Symbol | |
| seien schließlich die meisten heutigen Grenzen der jugoslawischen | |
| Nachfolgestaaten beschlossen worden; ohne den AVNOJ gäbe es manche davon | |
| wohl gar nicht. | |
| An die kroatische Rechte richtet er die Frage, ob Kroatien ohne den AVNOJ | |
| und Tito „die schönen Küsten Dalmatiens und Istriens“ heute zu seinem | |
| Staatsgebiet zählen würde. Und er betont die Bedeutung des Zusammenhalts: | |
| „In Jugoslawien nannten wir es Brüderlichkeit und Einheit – heute können | |
| wir es von mir aus anders nennen. Wichtig ist nur, dass wir zusammenstehen, | |
| wenn wir dem wieder aufkommenden Faschismus in unseren Ländern, in Europa | |
| und weltweit entgegentreten.“ | |
| ## Volksfest | |
| Auf den Straßen Jajces drängen sich Menschen, die dem Widerstand gedenken, | |
| Kränze niederlegen und rote Sterne oder Tito-Motive auf ihrer Kleidung | |
| tragen, während vor dem historischen AVNOJ-Gebäude Händler*innen ihre | |
| Waren ausbreiten: viel Fleisch, selbstgebrannter Schnaps und ein | |
| Tito-Kalender 2026, der direkt neben einem „Sexy Girls“-Kalender mit | |
| nackten Pornodarstellerinnen liegt. Sollte es je einen „woken Zeitgeist“ | |
| gegeben haben – an der hier versammelten postjugoslawischen Linken ist er | |
| spurlos vorbeigegangen. | |
| In diesem Jahr gab es zudem ein mehrtägiges AVNOJ-Fest mit | |
| Buchvorstellungen, Kulturveranstaltungen, Panels und einem Laibach-Konzert | |
| im AVNOJ-Museum. Für Laibach dürfte es das kontroverseste Konzert seit | |
| ihrem Auftritt in Nordkorea 2015 gewesen sein. [1][Die Gruppe ist bekannt | |
| für ihre retroavantgardistische Kunst,] die mit den Zeichensystemen | |
| demokratischer und autoritärer, linker und rechter Ideologien – und der | |
| Popkultur – spielt. | |
| Laibach und Bosnien-Herzegowina haben eine Geschichte. Am 22. November 1995 | |
| spielte die Band in Sarajevo – nur einen Tag nach der Unterzeichnung des | |
| Dayton-Abkommens, während die Stadt noch von bosnisch-serbischen Truppen | |
| belagert war. Bei diesem Auftritt erklärte Laibach Sarajevo symbolisch zum | |
| „Territorium“ des digitalen NSK-Staats („Neue Slowenische Kunst“), den … | |
| nach dem Zerfall Jugoslawiens als grenzenlosen, staatenlosen Kunststaat | |
| geschaffen hatten. Sie verteilten auch NSK-Pässe – für manche der erste | |
| Ausweis nach dem jugoslawischen. | |
| Jugoslawien und Laibach verbindet eine noch längere Geschichte. 1983 | |
| erhielt die Band ein Auftrittsverbot, nachdem sie bei einem Konzert in | |
| Zagreb eine Blowjob-Szene über das Porträt des verstorbenen Tito projiziert | |
| hatte. 1987 reichten die Designer*innen von „Novi Kolektivizam“ – ein | |
| Plakat zum Wettbewerb für den „Tag der Jugend“ ein, zu dem damals ein | |
| Fackellauf durch alle Republiken gehörte. | |
| Das Plakat zeigte einen muskulösen Mann mit Fackel in der linken und | |
| Jugoslawien-Flagge in der rechten Hand, auf dem Flaggenständer eine | |
| Friedenstaube. Der Belgrader Ingenieur Nikola Grujić wies damals in einem | |
| Leserbrief an die „Politika“ darauf hin, dass es sich um ein Plagiat eines | |
| NS-Propagandaposters des Nazikünstlers Richard Klein handelte – nur | |
| Reichsadler und Hakenkreuzflagge waren ersetzt. Die Fackelläufe wurden nach | |
| dem Skandal eingestellt. | |
| ## Konzert | |
| [2][Am Abend wird das AVNOJ-Museum zur Konzerthalle umgebaut], doch an den | |
| Wänden hängen weiterhin die Porträts der einstigen Alliierten: Tito, | |
| Roosevelt, Churchill – und ja, auch Stalin. | |
| Als Laibach-Mastermind Ivan Novak die Bühne betritt, liest er erst einmal | |
| 15 Minuten lang Social-Media-Reaktionen vor – eine Mischung aus Analysen, | |
| Hate Speech und absurdem Humor. Zwischen den häufig dem Geschlechtsorgan | |
| der Mutter gewidmeten Beleidigungen zeigt sich ein bemerkenswertes | |
| Nebeneinander: Die einen werfen Laibach „slowenischen Nationalismus“, | |
| „Faschismus“ oder gar „Nazismus“ vor; die anderen empören sich darübe… | |
| dass die Band immer noch Werbung für den untergegangenen sozialistischen | |
| Staat mache und schon in den 1980ern „zu den größten Kommunisten“ gehört | |
| habe. | |
| Bevor die Musik beginnt, richtet sich Novak an das Porträt Titos an der | |
| Wand und bittet um Vergebung dafür, dass Laibach 1983 pornografische Szenen | |
| über sein Gesicht laufen ließ: „Damals schien uns, dass die Geschichte | |
| deines Staates zu Staub zerfiel und alles, was blieb, eine peinliche | |
| pornografische Wiederholung und nackte ideologische Propaganda war. Genosse | |
| Tito, vergib uns, dass wir an der Zerstörung deines Staates mitgewirkt | |
| haben. Wir waren jung, wussten es nicht besser“ | |
| Dann ruft Novak die Parole, die das raison d’être Jugoslawiens | |
| zusammenfasst: „Tod dem Faschismus“, worauf die Besucher*innen | |
| antworten: „Freiheit dem Volk.“ Noch einmal: „Tod dem Faschismus“ – | |
| „Freiheit dem Volk.“ Beim dritten Mal schreit Novak: „Sieg!“ Die Menge | |
| antwortet nicht mit „Heil“, sondern mit Gelächter. Der Antifaschismustest | |
| ist bestanden, die Show kann beginnen. | |
| An die Wand werden Szenen aus der Geschichte Jugoslawiens projiziert: die | |
| harten Lebensbedingungen der Landbevölkerung, der Einmarsch der Nazis, der | |
| Widerstand der Partisan:innen, die Blockfreie Bewegung und große sportliche | |
| Momente. Nahtlos eingefügt sind Propagandabilder aus dem NS und Nordkorea, | |
| alles untermalt von hartem, industriellem Sound. Wer hier ideologische | |
| Eindeutigkeit sucht, wird sie nicht finden. | |
| Als die Lichter am Ende des Konzerts angehen, erlaubt sich Laibach eine | |
| letzte Publikumsbeschimpfung. Als Rausschmeißer läuft „Bratstvo i | |
| Jedinstvo“ (Brüderlichkeit und Einheit) von Damir Avdić, seines Zeichens | |
| Punk aus Tuzla. In dem Song setzt er sich vulgär und bitter mit dem Erbe | |
| Jugoslawiens auseinander – und beschimpft gefühlt jede einzelne Person im | |
| Raum als: „Du nostalgische Fotze.“ | |
| 5 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wiederbegegnung-mit-Laibach/!6055942 | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=W0RD4XICA98 | |
| ## AUTOREN | |
| Krsto Lazarević | |
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