| # taz.de -- Vielfalt im Fass: Was Deinigers alte Biertruhe verrät | |
| > Früher gab es einen Wirt im Gasthaus, der als Brauergeselle durchs Land | |
| > reiste. Sein Koffer mit Etiketten zeugt von einer lebendigen Bierkultur. | |
| Bild: Retro-Bieretikett: Auch der Bierkonsum unterliegt einem Wandel. Aktuell g… | |
| Auf unserem Dachboden steht einsam ein alter Schrankkoffer. Auf den nackten | |
| Holzbohlen drumherum sieht man noch ein paar Schuhabdrücke im Staub. Ich | |
| frage mich, wie man früher mit so einem Ungetüm auf Reisen gehen konnte. | |
| Ein Kasten, in dem ein Bernhardiner gemütlich Platz fände, die Wände nicht | |
| aus Aluminium, sondern aus dickem Karton, die Ecken und Kanten mit | |
| Sattelleder verstärkt. Schon in leerem Zustand lässt er sich kaum anheben. | |
| Der Schrankkoffer stammt aus einer Zeit, als Reisen nicht jedermanns Sache | |
| war und eher bedeutete, regelmäßig umzuziehen. Zum Transport des Gepäcks | |
| gab es öffentlich zugelassene Dienstmänner, und die waren nur zum Teil mit | |
| stabilen Sackkarren ausgestattet. | |
| Unser Schrankkoffer begleitete einen Brauergesellen, sein Name war Georg | |
| Deininger. Er ist einer meiner Vorgänger, vor hundert Jahren betrieb er das | |
| Gasthaus. Die Walz hatte ihn vorher durch Brauhäuser im Rheinland und an | |
| Elbe und Weser geführt. Innen im Koffer kleben gut erhalten die Etiketten | |
| von Bieren, mit denen er zu tun hatte: aus der Brauerei St. Pauli in Bremen | |
| (die in der Beck’s-Brauerei aufging), von Billbräu in Hamburg, Kronen in | |
| Dortmund oder Kaiser in Mendig in der Eifel. Bei den Sorten geht mir als | |
| [1][Ex-Bierkolumnist der taz] das Herz auf: Nur auf einem Etikett steht | |
| Pils, die Brauart war damals noch wenig verbreitet, dafür gibt es Export, | |
| Export Bock, Doppelbock und Double Lager, Superior Lager, Imperial Stout | |
| und India Pale Ale. Was war das zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine | |
| vielfältige, lebendige Bierkultur! | |
| Und wie schade, dass aus der Bemühung um ihre Renaissance gerade der Saft | |
| raus ist. Die Craftbierwelle, die in den 2010er-Jahren in der Branche so | |
| viel Neues angestoßen hat, ist in eine sanfte Dünung übergegangen. Während | |
| der Pandemie mussten viele junge Kleinbrauereien schließen, und diese | |
| Entwicklung hält an. Zuletzt hat die Berliner Brauerei Schneeeule | |
| aufgegeben, ihre Gründerin Ulrike Genz [2][hatte sich ganz der Berliner | |
| Weißen verschrieben], ein höchst unterstützenswertes Projekt. | |
| Im ersten Halbjahr 2025 ist der Bierabsatz laut Angaben des Statistischen | |
| Bundesamtes um ein Rekordminus von 6,3 Prozent abgestürzt. Am Gesamtmarkt | |
| haben Craftbierbrauereien nur noch einen Marktanteil von nullkommairgendwas | |
| Prozent, je nachdem, welches Branchenblatt das gerade schätzt. Zu den | |
| Gründen dafür zählen die allgemeine Konsumzurückhaltung und der neue Trend | |
| zur Nüchternheit im jungen urbanen Milieu. Ich sehe es auch bei uns im | |
| Gasthaus. Bei der letzten Getränkebestellung habe ich genauso viele Kästen | |
| alkoholfreies Bier geordert wie nicht alkoholfreies. | |
| 29 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jörn Kabisch | |
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