| # taz.de -- Förderung der Inklusion im Theater: „Willkommen ist, was kommen … | |
| > Inklusion im Theater bereichert die Formen der Kunst und führt manchmal | |
| > zu neuen Geschichten. Das war auf dem inkl.Festival in Berlin zu erleben. | |
| Bild: Rhythmisch und poetisch entfaltet sich „Leichter Gesang“ von RambaZam… | |
| In Berlin, am Deutschen Theater, feierte drei Tage lang ein Festival die | |
| Inklusion im Theater. Aber auch das Ende eines Förderprogramms der | |
| Kulturstiftung des Bundes, pik, das drei Jahre lang die Erprobung | |
| inklusiver Arbeitsweisen unterstützt hat. Stücke aus dem Gripstheater und | |
| dem Deutschen Theater in Berlin, vom Schauspiel Leipzig und den | |
| Kammerspielen München spiegelten die Vielfalt der Ansätze in der | |
| Zusammenarbeit. | |
| Die Lust an Sprachspielen, an der Produktivität von Missverständnissen, am | |
| Abklopfen von Wortstämmen und der Erforschung geheimer Verwandtschaften | |
| zwischen den Wörtern: Dieser Lust war die Autorin Nele Stuhler zusammen mit | |
| dem [1][RambaZamba Theater] nachgegangen. „Will-kommen ist, was kommen | |
| will“ ist einer der ersten Sätze. | |
| Ihr Stück „Leichter Gesang“ eröffnete die Spielzeit am Deutschen Theater. | |
| Worte und Dinge rücken hier näher zusammen, aus dem Einfachen wächst das | |
| Komplexe. Das Deutsche Theater hat schon oft mit Schauspielerinnen des | |
| RambaZamba zusammengearbeitet, neu war die gemeinsame Stückentwicklung. | |
| Die [2][Kammerspiele München haben in der Intendanz von Barbara Mundel] | |
| selbst ein inklusives Ensemble aufgebaut. Mit dem [3][Schauspieler Samuel | |
| Koch], der querschnittsgelähmt ist und doch in die verschiedenen Arten des | |
| Bewegtwerdens einsteigt, und einem Chor von Satyrn, von Sehbehinderten | |
| gespielt, brachten sie „Proteus 2481“ als Gastspiel nach Berlin. Der | |
| [4][Autor Thomas Köck] führte selbst Regie bei diesem hochkomplexen Text, | |
| der mit vielen Kippmomenten der Wahrnehmung spielt, mit veränderten | |
| Lesarten des Tragischen. | |
| ## Eine lange Geschichte gegen den Ausschluss | |
| Es ist ein wilder Ritt durch die Geschichte, der immer wieder Momente des | |
| Ausschlusses streift. Die inhaltliche Kritik, die an Grenzen, die in | |
| Denksystemen, Eroberungskriegen und in gesellschaftlichen Normsetzungen | |
| artikuliert wird, wird unterstrichen durch ein Spiel, das keine Grenzen | |
| zwischen Nichtbehinderten und Behinderten Schauspieler:innen ziehen | |
| will. | |
| Inklusion ist oft ein Projekt in der Nische. Sie dort herauszuholen und im | |
| Betrieb der großen Stadttheater zu verankern, war als ein Ansatz des | |
| pik-Programms zu verfolgen. Die Stücke, die dabei entstehen, können wie | |
| „Proteus 2481“ einer Ästhetik der ständigen Überforderung folgen, die das | |
| rasante Schlingern der Gedanken mit glamourösen Bildern unterlegen und | |
| keine absurde Abweichung auslassen. Oder, wie „Leichter Gesang“, zu einer | |
| Ästhetik führen, die mit einfachen Strichen eine Welt neu entstehen lässt, | |
| fast wie aus bunten Bauklötzen gebaut. | |
| Wieder anders hatte das Schauspiel Leipzig das pik-Programm genutzt. Die | |
| hörende [5][Autorin Raphaela Bardutzky] entwickelte zusammen mit der tauben | |
| Schauspielerin Athena Lange die Geschichte einer beginnenden Freundschaft | |
| zwischen einer hörenden und einer gehörlosen jungen Frau, die in „Altbau in | |
| zentraler Lage“ nicht nur vom Hausbesitzer aus ihren Wohnungen gedrängt | |
| werden, sondern auch von einer Schar Gespenster. Es ist ein skurriles, mit | |
| der Komik von Horror spielendes Stück. Eine Besonderheit ist, dass jeweils | |
| nur Teile der Dialoge übersetzt werden, nicht der Gebärdensprache Kundige | |
| also nicht alles verstehen können, wie umgekehrt auch. | |
| ## Als Autoren einbeziehen | |
| Zu den Schauspielern der Gespenster gehört Eyk Kauly aus der Community der | |
| Tauben Künstler:innen. In einem Podiumsgespräch über „Perspektiven für | |
| Theater ohne Barrieren“ konstatierte er, dass Inklusion oft viel zu kurz | |
| gedacht werde. Allein einen Übersetzer in die Gebärdensprache auf die Bühne | |
| zu stellen, sei zu wenig und immer noch aus der Tradition des | |
| Sprechtheaters gedacht. Die eigene Kultur der Tauben, ihre literarischen | |
| Traditionen und ihre Gebärdensprachen (im Plural) blieben so noch immer | |
| außen vor. Erst wenn sie, wie bei „Altbau in zentraler Lage“ auch als | |
| Autoren einbezogen würden, könnten ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen auch | |
| zu neuen Stücken und Geschichten führen. | |
| Zu dem Podium gehörte auch [6][Jürgen Dusel,] Jurist und Beauftragter der | |
| Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung. Auch er | |
| kritisierte, dass das gesellschaftliche System Behinderung als Sonderfall | |
| denke – als ob nicht die meisten Behinderungen im Laufe eines Lebens | |
| entstünden, also alle treffen könnten. | |
| ## Angst vor dem Backslash | |
| Mit dem pik-Programm sind inklusive Kunstformen zwar weiterentwickelt und | |
| jenseits der Nischen sichtbarer geworden. Aber die Angst vor einem | |
| Backslash artikulierten viele Beteiligte in den Gesprächsrunden. Da spielt | |
| öffentliche Kritik eine Rolle, giftig, wie sie die Kammerspiele München für | |
| ihren inklusiven Ansatz erfahren haben. Da spielen kommunale Kürzungen in | |
| Kulturhaushalten eine Rolle, wie in Berlin, bei denen | |
| [7][Inklusionsprogramme als Sparpotenzial markiert] werden. Aber auch eine | |
| zum Beispiel vom Bundeskanzler Friedrich Merz beförderte Ideologie, die den | |
| Leistungsgedanken als Schranke vor die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe | |
| setzt. | |
| Erst vor wenigen Tagen schlug das RambaZamba Theater in Berlin Alarm, weil | |
| seine Förderung nicht mehr ausreicht, um neue Produktionen auf den Weg zu | |
| bringen. Das Geld, das zum Kunstmachen fehlt, ist das eine. Das andere ist | |
| das Geld, das den Künstler:innen mit Behinderung meistens fehlt, um | |
| einen Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. | |
| Viele sind in Werkstätten angestellt und erhalten nur Grundsicherung. Die | |
| gemeinnützigen Träger der Werkstätten kümmern sich zwar auch darum, dass | |
| sie eine Wohnung haben. Aber Honorare, die sie etwa durch die Koproduktion | |
| mit einem anderen Theater verdienen, können sie nicht behalten, das | |
| schließt die Grundsicherung aus. | |
| Nur sehr wenige, etwa ein Prozent, wagen den Schritt in die | |
| Selbständigkeit. Denn ein Leben mit Behinderung ist teuer. Man braucht | |
| Assistenzen. Künstler:innen und Theatermacher:innen tauschten sich | |
| auf dem Festival über ihre Erfahrungen darüber aus, wie bessere Modelle für | |
| die Bezahlung der Schauspieler:innen oder Tänzer:innen mit | |
| Behinderung entwickelt werden könnten. Da geht es nur mit sehr kleinen | |
| Schritten weiter. Keine großen Sprünge möglich. | |
| ## Keine großen Sprünge | |
| Das reflektiert auch [8][Steven Solbrig] in seiner Lecture-Performance „Von | |
| Sprüngen und Klasse“. Er ist einer von 45 Künstler:innen, die mit dem | |
| pik-Mentoring-Programm für Disabled Leadership gefördert wurden, drei von | |
| ihnen treten ausschnitthaft auf dem inkl.Festival auf. Mit einem Springseil | |
| in den Händen zählt er Metaphern auf, die rund um den Karrieresprung oder | |
| den Absprung in die Selbstständigkeit geflochten sind. | |
| Es folgen Sprachbilder über Klasse und soziale Barrieren, die der | |
| Klassismus aufbaut. Die wiegen für Künstler:innen mit Behinderungen | |
| doppelt schwer. Er erzählt von einem Künstler, der es erstmals gewagt hat, | |
| eine eigene Wohnung zu mieten. Dann fällt sein Engagement den Kürzungen des | |
| Kulturetats zum Opfer. Selbst in Geldnot, schaut er aus dem Fenster und | |
| entwickelt in Miniaturen Skizzen von Nachbar:innen, die von Armut und | |
| Ausschluss betroffen sind. Gut beobachtet, auf den Punkt gebracht, voll | |
| Empathie. | |
| Disabled Leadership ist zum Beispiel notwendig für das Format solcher | |
| Performances. Es ist eine relativ junge und bisher ohne Kontinuität | |
| ausgestattete Kategorie von Förderung. Alina Buschmann, Schauspielerin und | |
| Beraterin für Inklusion, moderierte die Gespräche mit den | |
| Teilnehmer:innen des Mentoring-Programms und gab sich kämpferisch. Auch | |
| sie betonte, „Behindertsein ist teuer“, Nebenjobs gehen nicht. Mit Steven | |
| Solbrig war sie sich einig, dass ein Denken, das den Wert des Menschen | |
| danach bemisst, wie viel er, wie viel sein Körper leisten kann, | |
| verantwortungslos und kontraproduktiv ist. Sie forderte, eine Kunst zu | |
| fördern, die außerhalb der bestehenden Strukturen knapp bemessener | |
| Probenzeiten laufen kann. | |
| Die letzte Lecture Performance galt dann auch der „Crip time“, der | |
| Notwendigkeit anderer Zeiteinteilung. Zwei Künstlerinnen, Anika Krbetschek | |
| und Linnéa Meiners, tauschten sich darüber mit Briefen, Filmen und Mails | |
| aus. Was verliert man, wenn man sich an die Normen der getakteten | |
| Arbeitszeit anpassen muss? Wie findet man Zeit zwischen den Zwängen? Über | |
| das Bild des Sandes in der Sanduhr und das Sandkorn, das Teil einer | |
| Unendlichkeit scheint und doch Teil einer endlichen Ressource ist, | |
| entwickelten sie poetische Bilder und Nähe. | |
| 3 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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