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# taz.de -- Neonazi-Familie Ritter bei Stern TV: Ergötzen am Leid der anderen
> Seit 30 Jahren filmt Stern TV das Leben von Familie Ritter. Teil davon:
> Gewalt, Ausländerfeindlichkeit, Hitlergrüße. Auf eine Einordnung lässt
> RTL warten.
Bild: V.l.: Eschi, Jasmin und Sara
Jasmin Ritter raucht noch eine mit dem Fernsehteam, bevor sie durch die
Sicherheitskontrolle des Amtsgerichts in Gera geht. Sie muss ihre graue
Bomberjacke ausziehen, die Bauchtasche auch, dann stellt sie sich in den
Körperscanner. Dahinter wartet schon der Kameramann auf die Angeklagte.
„Ist das der Moment, in dem du nervös wirst?“, fragt die
Stern-TV-Reporterin. „Ne, ich kenne das ja.“ Jasmin Ritter klingt
abgeklärt.
Die 25-Jährige sitzt Anfang Oktober mit ihrem Ex-Partner Benjamin M. und
ihrem Halbbruder Leon wegen gefährlicher Körperverletzung auf der
Anklagebank. Im April 2025 haben die beiden Männer einen Mann mit
Behinderung verprügelt und auf ihn eingetreten, als er am Boden lag. „Wie
man eine Tomate oder Melone zertritt“, sagt der Staatsanwalt, „nämlich
stampfend“. Jasmin Ritter filmte die Tat mit ihrem Smartphone.
Eine Woche vor dem Prozess strahlt der RTL-Sender Vox zur besten Sendezeit,
um 20:15 Uhr, eine neue Folge der Serie „30 Jahre Familie Ritter“ aus. Seit
1994 begleitet Stern TV, mittlerweile Teil des Medienkonzerns RTL, die
Neonazi-Familie aus [1][Köthen in Sachsen-Anhalt]. Und hält die Kamera
dabei seit drei Jahrzehnten auf Alkoholmissbrauch, drogenkranke
Familienmitglieder und verwahrloste Kinder.
Stern TV führt Interviews mit den zugedröhnten Söhnen oder ist vor Ort,
nachdem die Kinder vom Jugendamt abgeholt werden. Karin Ritter, die bis zu
ihrem Tod vor vier Jahren das Familienoberhaupt war, hetzte im Fernsehen
gegen Ausländer:innen. Eine Szene, die Stern-TV immer wieder ausstrahlt:
Karin Ritter kniet neben einem ihrer Enkel, damals noch ein Kleinkind,
„einmal Heil Hitler“, sagt die Oma. Das Kind hebt den rechten Arm zum
Hitlergruß in die Kamera.
In den neuen Folgen der Doku steht die dritte Generation der Familie, also
auch die Angeklagten Leon und Jasmin Ritter, im Mittelpunkt. Der Tenor: Sie
wollen sich ändern, sie wollen es besser machen. Jasmin Ritter sagt, sie
sei politisch neutral.
## White Power Gruß im Gerichtssaal
Leon Ritter, 18, lange Koteletten, kräftige Statur, wird in Gera von den
Beamten in den Gerichtssaal geführt. Seit der Tat sitzen er und Benjamin M.
in Untersuchungshaft. Als Ritters Handschellen gelöst werden, formt er
Daumen und Zeigefinger zum Kreis, spreizt die anderen Finger und zeigt den
rechtsextremen White Power Gruß in Richtung des Publikums. Das Kamerateam
steht zwischen den Anklagebänken und filmt den Auftritt der Ritters, bis
der Richter sie unwirsch darauf hinweist, dass Aufnahmen im Gerichtssaal
verboten sind.
Dass die drei Angeklagten an der Tat beteiligt waren, steht an diesem Tag
vor Gericht außer Frage, weil Jasmin Ritter die Tat filmte und das Video
von der Polizei sichergestellt wurde. Das Motiv der Gruppe: Sie hätten
gehört, dass ihr Opfer Alkohol an Minderjährige gegeben haben soll und ein
sexuelles Verhältnis zu einer Minderjährigen habe. Bewiesen sind die
Vorwürfe der Ritters gegen ihn nicht. Aber Leon Ritter wollte ihm einen
„Denkzettel“ verpassen, wie er es nennt. Er trank neun oder zehn Bier und
passte den 18-Jährigen in einer Straße ab.
Das Video der Tat wird im Gerichtssaal mehrmals auf zwei Fernsehern
abgespielt. Leon Ritter, in schwarzer Harrington-Jacke und mit
Hakenkreuzkette um den Hals, prügelt an einer Hauswand auf einen Mann ein.
Nach wenigen Sekunden kommt Benjamin M. dazu, gemeinsam treten die beiden
Männer weiter auf ihr mittlerweile am Boden liegendes Opfer ein. Auf Fotos,
die ebenfalls vom Richter gezeigt werden, ist auf dem Schädel des Opfers
ein Schuhabdruck zu sehen. Dass der Geschädigte durch die lebensgefährliche
Selbstjustiz keine bleibenden physischen Schäden trage, sei Glück, sagt der
Staatsanwalt.
## Geprägt durch gewaltvolles Umfeld
Stern TVs Narrativ von der dritten Generation, die sich bessern will, ist
nach diesem Video unglaubwürdig. In den neuen Folgen geht es immer wieder
um die Gewalt in der Familie. Jasmin Ritter erzählt, dass ihr Freund „mal
kurz eine reingekriegt hat“. Wie problematisch Gewalt in Beziehungen ist,
kommentieren in der Serie zwei Expertinnen. Sie erklären, dass die Ritters
in einem gewaltvollen Umfeld aufgewachsen sind und sie dadurch geprägt
wurden.
Worauf Stern TV kaum kritisch eingeht, ist die rechte Einstellung der
Familie. Kleinkinder und Erwachsene, die den Hitlergruß zeigen, werden
immer wieder reingeschnitten. Behauptungen, dass Ausländer Deutschen die
Arbeitsplätze wegnehmen und sie „alles in den Arsch geblasen kriegen“,
werden nicht eingeordnet oder mit Fakten entkräftet. Die Kamera filmt ein
Bild von einem Wehrmachtssoldaten, das an der Wand hängt. „Opa war kein
Mörder“ steht darauf in Fraktur. Dass damit die Verbrechen der NS-Zeit
verharmlost werden, bleibt unerwähnt. Ein:e Expert:in für
Rechtsextremismus gibt es in der Sendung nicht.
In anderen Medien wird währenddessen darüber diskutiert, ob oder wie man
mit Rechten redet, wie viel Raum man ihnen geben sollte. Dass
Falschaussagen immer mit Fakten begegnet werden sollte. Jetzt kommt eine
neue Dimension hinzu: Nächstes Jahr sind [2][Landtagswahlen in
Sachsen-Anhalt]. Die AfD hat gute Chancen, die Mehrheit der Stimmen zu
gewinnen. Wie steht Stern TV dazu, dass sie einer mehrfach verurteilten,
rechtsextremen Familie zu viel Aufmerksamkeit verhelfen?
## Ein Geschäftsmodell
Ein Gespräch lehnt die Redaktion auch nach mehreren Anfragen ab.
Schriftlich wird nicht auf die Fragen zur rechten Gesinnung der Ritters
eingegangen. Stattdessen eine knappe Antwort, dass die „journalistische
Langzeitbeobachtung“ Entwicklungen sichtbar machen würde, bei der Familie
und den zuständigen Behörden. Im Fokus stünden nicht nur die Ritters,
sondern auch Fragen, wo etwa [3][Jugendhilfe] und Justiz scheitern.
Für Stern TV und RTL sind die Ritters ein Geschäftsmodell. Die Familie
sorgt seit Jahren für gute Quoten. Zuletzt schauten rund eine Million Leute
die neuen Folgen live im Fernsehen. Auf YouTube haben viele der
Ritter-Videos zwei, vier, teilweise sogar 11 Millionen Klicks.
Auch die Ritters verdienen an ihrer Geschichte. Auf Anfrage der taz gibt
die Produktionsfirma an, dass den Interviewten „schon mal geringfügige
Aufwandsentschädigungen gezahlt“ werden. Das sei bei solchen Produktionen
üblich. Details möchten sie aber nicht verraten. Fragt man Jasmin Ritter
nach einem kurzen Interview, fordert sie umgehend ein Honorar von 250 Euro
via Paypal.
Darüber hinaus hat Stern TV der Familie zu einer Art Promistatus verholfen.
Die Ritters haben Fans und verdienen an ihrer Bekanntheit. Auf Tiktok
bietet Jasmin Ritter Autogrammkarten gegen sogenannte Geschenke an – die
Währung auf der Social Media Plattform, die sie sich in Euro auszahlen
kann. Als ihr Onkel Norman durch seine Alkoholsucht stirbt, versteigert sie
seine New Balance Sneaker. Als Nächstes plant sie, mit einem Familienfreund
Fanartikel zu verkaufen. In der neuen Folge präsentieren sie ein
Blechschild von Norman Ritter in der „Köthen Edition“. Auf dem Schild ist
Norman Ritter als Puppe abgebildet, mit Wodkaflasche in der Hand,
Springerstiefeln und Bierkasten. Auf seiner Brust steht „Deutschland“.
## Das Elend dramatisiert
[4][Christian Schicha ist Professor für Medienethik] an der Universität
Erlangen-Nürnberg. Er kritisiert im Gespräch mit der taz, dass die Ritters
von Stern TV begleitet werden, während sie drogen- und alkoholabhängig
sind, aber keine Hilfe angeboten bekommen. Im Fernsehen gießen sie sich
gläserweise Wodka ein, bis Familienmitglieder an ihrer Alkoholerkrankung
sterben.
Schicha vermisst einen Warnhinweis – wenigstens für die Zuschauenden. Eine
[5][Nummer, an die man sich wenden kann, wenn man selbst oder Angehörige
alkoholkrank sind]. Stattdessen werde mit schnellen Schnitten und trauriger
Musik das Elend dramatisiert. „So reicht die Serie nicht über Voyeurismus
hinaus“, sagt Christian Schicha. Die Zuschauer:innen würden sich am Leid
der Familie ergötzen und sich besser, gebildeter oder reicher fühlen.
Im Gerichtssaal in Gera werden die Vorstrafen der Angeklagten vorgelesen:
gefährliche Körperverletzung, räuberische Erpressung, Sachbeschädigung,
Hausfriedensbruch, gemeinschaftlicher Raub. Leon Ritter lacht
währenddessen. Alle drei saßen schon im Gefängnis.
Dann wird das Urteil gesprochen: Leon Ritter wird zu zwei Jahren Gefängnis
verurteilt, Benjamin M. zu zweieinhalb Jahren. Jasmin Ritter bekommt ein
Jahr Haft auf Bewährung. Stern TV hat wieder Material für eine Fortsetzung
der Ritter-Doku.
29 Oct 2025
## LINKS
[1] /Koethen/!t5344712
[2] /Schwerpunkt-Landtagswahl-in-Sachsen-Anhalt/!t5749746
[3] /Kritik-am-System-der-Jugendhilfe/!6038184
[4] https://www.netzwerk-medienethik.de/ueber-uns/expertinnen/christian-schicha/
[5] https://www.bundesdrogenbeauftragter.de/service/beratungsangebote/
## AUTOREN
Sophie Fichtner
## TAGS
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Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
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