| # taz.de -- Krise der Klimabewegung: Ja, wir haben enttäuscht | |
| > Fridays for Future hat ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. Es ist zentral, | |
| > die Klimakrise nicht nur als physikalisches Ereignis zu begreifen. | |
| Bild: Klima- und Umweltzerstörung wird aktiv vorangetrieben, FFF-Protest vor d… | |
| Fridays for Future ist eine politische Bewegung. Das ist, je nachdem, wen | |
| man fragt, entweder eine sehr banale oder eine sehr überraschende | |
| Erkenntnis. Zu Letzteren scheint auch [1][Bernward Janzing zu gehören, der | |
| in der taz jüngst argumentierte], dass die Klimabewegung schleunigst | |
| zurückrudern und sich weniger ideologisch – heißt: politisch – ausrichten | |
| solle. Aber ist das wirklich sinnvoll? | |
| Die Frage beschäftigt viele – und das zu Recht: Wo steht die Klimabewegung? | |
| Die Massen, die noch vor wenigen Jahren mit Fridays for Future auf die | |
| Straßen gingen, gibt es heute nicht mehr. Es ist wichtig, ehrlich damit zu | |
| sein. Die bewegungspolitische und die bundespolitische Lage haben sich | |
| geändert. Heute auf dieselbe Weise auf die Klimabewegung zu blicken, wie | |
| wir es 2019 getan haben, wäre unangemessen und zeitvergessen. Die | |
| Klimabewegung hat sich weiterentwickelt und steht heute an einem anderen | |
| Punkt. | |
| Wenn die politische Welt sich weiterdreht, liegt es an der Klimabewegung, | |
| Schritt zu halten. Heute bewegen die Menschen andere Themen als noch vor | |
| einigen Jahren. Sollte die Klimabewegung sich angesichts dessen – immer | |
| noch, wieder, ausschließlich? – auf die Kommunikation physikalischer Fakten | |
| konzentrieren? Nein. Wer denkt, die Klimakrise sei nur eine | |
| Aneinanderreihung klimaphysikalischer Ereignisse, irrt. Sie ist eine Krise | |
| der Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Das zu unterschlagen, würde der | |
| Bewegung zur Last fallen. Das aber deutlich zu machen, kann sie stärken. | |
| Die Klimakrise stellt die Struktur unserer Gesellschaft tiefgreifend in | |
| Frage. Auf dem Spiel stehen Zukunft, Gerechtigkeit und der Erhalt unseres | |
| Planeten. Die Klimakrise bedroht akut Menschenleben – besonders dort, wo | |
| Menschen wenig zu ihr beitragen. Sie stellt deshalb die dringlichsten | |
| Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit – gerade weil ihre Treiber und ihre | |
| Hauptbetroffenen selten die gleichen Menschen sind und weil in der | |
| Konsequenz Ungleichheiten massiv verschärft werden. | |
| Klima- und Umweltzerstörung ist selten neutral; sie wird aktiv | |
| vorangetrieben. Die Welt, in der die Klimakrise stattfindet und die | |
| Bedingungen, die sie möglich gemacht haben, sind damit zutiefst moralisch – | |
| und wenn man so will, ideologisch – geprägt. Klimaschutz ohne Moral, das | |
| ist am Ende immer eine Chiffre für weniger Klimaschutz, für verkürzten | |
| Techno-Optimismus und vor allem für eine mangelnde Problemanalyse. | |
| Auch die Anti-Atomkraft-Bewegung hatte diese Macht- und Moralfragen | |
| erkannt. Es ist verlockend, vergangene Proteste im Sinne der eigenen | |
| Wünsche zu verklären, aber Parolen wie „Heute Tannen, morgen wir“ zeugen | |
| auch in der Anti-AKW-Bewegung von einem ähnlichen Bewusstsein wie heute: | |
| Die Klima- und Umweltbewegung hat schon immer darauf verwiesen, dass sie | |
| nicht bloß Wissenschaftskommunikation betreibt, sondern auf politische | |
| Fragen auch politische Antworten fordert. Zu einer „Klimareligion“ oder | |
| „ideologischen Wundertüte“ macht sie das nicht. | |
| Ein genauer Blick auf die Bewegung zeigt: Die Akteure haben sich in den | |
| vergangenen Jahren spezialisiert, professionalisiert und organisiert. Statt | |
| Massenprotesten gibt es jetzt Critical Masses, Baumhausdörfer, | |
| Ökolandwirte, das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, die Kirchen und Schulen, | |
| die Solarpanele auf Dächer installieren und diejenigen, die | |
| Bürgerenergieparks organisieren, genauso wie die, die immer noch mit | |
| Fridays for Future oder Extinction Rebellion auf die Straße gehen. | |
| Und ähnlich wie in Wyhl – einem konkreten Ort des Anti-Atom-Protests mit | |
| seinem lokalen, greifbaren Problem – kommen heute verschiedene Gruppen an | |
| Orten wie Lützerath oder [2][Borkum] zusammen. Ob Naturverbundenheit, | |
| Gerechtigkeitsfragen oder Bewahrung der Schöpfung: Unterschiedliche | |
| Menschen haben früher wie heute verschiedene Gründe, sich um das Scheitern | |
| der Klimapolitik zu sorgen. | |
| Ein ernsthafter Blick auf die Klimabewegung zeigt aber auch: Sie ist ihrem | |
| Anspruch nicht immer gerecht geworden. Zu lange war und ist sie eine | |
| Bewegung weißer [3][Akademiker*innen] geblieben, die genau deshalb ihr | |
| Massenmobilisierungspotenzial nie ganz ausschöpfen konnte. Weil sie oft | |
| nicht deutlich machen konnte, dass es ihr nicht nur um reine | |
| klimaphysikalische Graphenkorrektur geht. Wenn die Klimabewegung wieder zu | |
| neuer Stärke kommen will, dann darf sie gerade nicht den Kardinalfehler | |
| begehen, sich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auszuruhen. | |
| Stattdessen muss sie deutlich machen, worum es ihr geht: um | |
| gesamtgesellschaftliche Veränderungen, an deren Ende nicht Klimaschutz um | |
| jeden Preis steht, sondern ein gutes und sicheres Leben für alle – auch und | |
| besonders für diejenigen, die heute besonders unter der Klimakrise und | |
| ihren Folgen, aber auch unter der ungleich verteilten ökonomischen Last von | |
| Klimaschutzmaßnahmen leiden. | |
| Denn in unserer Gesellschaft findet sich die ideologische Polarisierung, | |
| die so oft heraufbeschworen wird, kaum. Das Wissenschaftsbarometer 2025 | |
| zeigt: Auf eine umfassende gesellschaftliche Spaltung deutet wenig hin – | |
| nur auf punktuelle Spannungen und themenspezifische Unterschiede. Wenn die | |
| Klimabewegung heute Erfolg haben will, muss sie dort ansetzen: bei den | |
| Schnittmengen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. | |
| Dann darf sie nicht in vermeintlicher Neutralität versinken, sondern muss | |
| die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verbesserung | |
| in den Mittelpunkt stellen. Sie muss zeigen, dass Menschen bereit sind, die | |
| Klimakrise auch als ihre Krise zu begreifen. Sie muss ihre Gemeinsamkeiten | |
| betonen. Dann können Aktivist*innen genauso wie CDU-Mitglieder, | |
| Landwirt*innen und Grüne wieder gemeinsam für 1,5° C auf der Straße | |
| stehen. Für einen echten Erfolg müssen wir vor allem wieder die Hand | |
| zueinander ausstrecken. Und zugeben: Womöglich haben wir dochmehr | |
| gemeinsam, als wir manchmal denken. | |
| 11 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ringen-gegen-Erderwaermung/!6122604 | |
| [2] /Fossile-Energie-aus-der-Nordsee/!6123191 | |
| [3] https://www.cicero.de/kultur/fridays-for-future-clemens-traub-streitschrift… | |
| ## AUTOREN | |
| Carla Reemtsma | |
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