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# taz.de -- Bewegungssprache Gaga: Wenn nicht die Tanzschritte zählen, sondern…
> In Lissabon verzweifelte einst ein Paartanzlehrer an unserer Kolumnistin.
> Beim Tanzen zur Bewegungssprache Gaga hingegen fühlt sie sich frei.
Bild: Wie einfach Spaß sein kann: Szene aus Ohad Naharins Tanzstück SECUS
Neulich saß ich in einem dunklen Saal und hatte Tränen in den Augen. Auf
der Bühne tanzten Profis mit Menschen aus dem Publikum, die sie dazugeholt
hatten. Jede:r tanzte anders – wild mit den Armen, wippend von Fuß zu Fuß,
Paare kreisten umeinander.
Viele der Tanzenden waren sich zuvor nie begegnet und trotzdem wirkten sie
wie eine eingespielte Einheit. Die Leichtigkeit schwappte ins Publikum
über. Der Saal, gefüllt mit über 1.000 Zuschauenden, lachte, klatschte,
wippte mit. Ich war berührt von der Schönheit dieses Moments, der
Verbundenheit, davon, wie einfach Spaß sein kann, und nahm mir vor mehr zu
tanzen.
Das Stück wurde von Ohad Naharin mitchoreografiert, der [1][die
Bewegungssprache Gaga erfunden] hat. Es geht nicht um bestimmte Schritte,
sondern darum, den eigenen Körper zu spüren, Emotionen durch Bewegung zu
fühlen und das Bewusstsein zu schärfen. Man soll sich instinktiv bewegen
und nicht, wie man denkt, dass Tanzen aussehen soll.
Also buche ich einen Gaga-Kurs. Leider fällt er auf einen Montagabend bei
Novemberwetter. Ich fühle mich nach Sofa, aber dann stehe ich in Socken in
einer neonlichtgefluteten Turnhalle.
Es gibt eine Regel für die nächste Stunde: in Bewegung bleiben. Über
dreißig Menschen zwischen 25 und 65 stehen mit mir in der Halle, in der
Mitte die Trainerin. Sie gibt Anweisungen, wie wir uns bewegen, was wir
fühlen sollen. Wir sollen nach links und rechts schwingen und dabei in die
Knie gehen. Unser Körper soll sich anfühlen, als würden wir Porridge
rühren. Langsam und zäh ziehe ich meine Arme durch die Luft.
## Die Hüfte irgendwie kreisen lassen
Sonst tanze ich zu schnellen Bässen [2][auf dunklen Tanzflächen]. Manchmal
reiße ich meine Arme in die Luft, viel Platz zum Bewegen bleibt zwischen
den schwitzenden Menschen im Club eh nicht. Jetzt soll ich mich durch die
ganze Halle bewegen, tanzend meine Position wechseln. Ich bin froh, dass
ich meine Brille nicht trage. So erkenne ich die anderen Tänzer:innen
nur schemenhaft und fühle mich anonymer. Dass mein Bücken, Biegen, Wirbeln
jeder sehen kann, versuche ich auszublenden.
Als Nächstes sollen wir uns vorstellen, in Luftpolsterfolie verpackt zu
sein, uns leicht fühlen, wie die kleinen Luftkissen, die man so knallend
zerplatzen lassen kann. Ich mache die gleichen Bewegungen wie vorher, aber
diesmal sanft, meine Arme fühlen sich leicht an. Jetzt sollen wir die ganze
Wirbelsäule mitnehmen. Dafür ist es wichtig, das Becken zu benutzen, sagt
die Trainerin, die Bewegung kommt nicht aus den Beinen.
Ich erinnere mich an meinen Tanzlehrer in Lissabon, der mir [3][Forró,
einen brasilianischen Paartanz,] beibringen sollte. Er verzweifelte an mir
und meiner „deutschen Hüfte“ – das war mein letzter Versuch, tanzen zu
lernen. Das Gute an Gaga aber ist, ich darf meine Hüfte irgendwie kreisen
lassen und muss weder auf den Takt noch die Füße meines Tanzpartners
achten. Stattdessen soll ich beobachten, wie ich mich in meinen Klamotten
bewege. Wie viel Platz ist zwischen meinem Rücken und dem Shirt?
Nach einer Stunde fühlt sich mein Körper an, als hätte ich jedes meiner
Gelenke geölt. Die Lehrerin dreht die Musik noch einmal lauter. Unbewusst
gehe ich viel tiefer in die Knie, meine Wirbelsäule macht ungewohnte
Schlangenbewegungen. Noch nie habe ich so frei und nüchtern mit lauter
Fremden in einer hellen Halle getanzt. Wir waren zäher Teig und leichte
Luftpolster. Wenn man tanzt, ist alles möglich.
20 Nov 2025
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## AUTOREN
Sophie Fichtner
## TAGS
Kolumne Vorschlaghammer
Zukunft
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