| # taz.de -- Ein Plädoyer für Autofreiheit: Macht Berlin lebenswerter! | |
| > Das Abgeordnetenhaus wird das Volksbegehren für eine autofreie Innenstadt | |
| > absehbar ablehnen. Bei einem Volksentscheid ließ sich das 2026 | |
| > korrigieren. | |
| Bild: Es muss ja nicht auf (Kunst-)Rasen sein wie bei der Euro 2024 – aber au… | |
| Im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses ist schon viel von Verkehrswende zu | |
| hören gewesen und dem Wunsch nach weniger Autoverkehr, Lärm, Unfallgefahr | |
| und Stress – meist von Grünen und Linken und gelegentlich auch von der CDU. | |
| All das könnte das Parlament Donnerstagmittag in ein Gesetz münden lassen. | |
| Denn um 12.15 Uhr steht Drucksache 2591 als Punkt 3 auf der Tagesordnung: | |
| der Antrag auf [1][ein Volksbegehren, private Autofahrten in der Innenstadt | |
| weitgehend zu verbieten]. Doch das wird leider nicht passieren. | |
| Statt das Anliegen übernehmen und damit einen Volksentscheid überflüssig zu | |
| machen [2][wie vergangenen Montag beim Baum-Entscheid], ist eine Ablehnung | |
| zu erwarten, auch von den Grünen. Als die Initiative Berlin Autofrei Ende | |
| September zu einer Anhörung im Abgeordnetenhaus saß, [3][lag in den dort | |
| gestellten Fragen schon grundsätzliche Ablehnung] wirtschaftsschädigend, | |
| ein Bürokratiemonster, in der Praxis nicht umsetzbar seien die Forderungen. | |
| Wie immer lohnt es sich auch hier, [4][genauer hinzuschauen]. Also mal | |
| angefangen mit „wirtschaftsschädigend“. Stimmt das? Mutmaßlich nicht. Denn | |
| für den Lieferverkehr würde, so nachzulesen auf der Homepage der | |
| Initiative, „eine allgemeine Ausnahmeregelung“ gelten, um die Stadt weiter | |
| mit Waren versorgen zu können. Bloß werde der schneller als bisher | |
| unterwegs sein, weil es ohne Privat-Kfz keine Staus mehr gäbe. Gleiches | |
| würde für Handwerker gelten. | |
| Also zum nächsten Punkt. Ein Bürokratiemonster? Der Vorwurf dockt an eine | |
| Ausnahmeregelung auch für Privatfahrzeuge an: Zwölf Mal im Jahr sollen | |
| beliebig viele Privatfahrten binnen 24 Stunden erlaubt sein, anzuzeigen | |
| „unter Angabe des Erlaubnisgrundes elektronisch über ein | |
| Verwaltungsportal“. Das kann tatsächlich nach viel Aufwand klingen bei rund | |
| 1,2 Millionen Autos in der Stadt. Und ja, in Sachen Digitalisierung ist | |
| Berlin bislang nicht Vorreiter. | |
| ## Schub für Digitalisierung als Nebeneffekt | |
| Da lohnt sich aber der Blick auf das Thema Olympia, wo laut CDU und SPD | |
| eine Bewerbung einen großen Schub für alles Mögliche geben soll. Warum also | |
| sollte dann nicht der Druck eines Autofrei-City-Gesetzes – nach | |
| mehrjährigem Übergangszeitraum – in gleicher Weise einen Schub bei der | |
| ohnehin angestrebten Digitalisierung der Berliner Verwaltung auslösen? | |
| Monsterhaft deprimierend ist es eher, etwas von vorneherein gar nicht erst | |
| zu probieren und sich von möglichen Hindernissen nicht eher herausgefordert | |
| zu fühlen. | |
| Zu fragen ist ja, warum die Grünen [5][sich nicht hinter diese Initiative | |
| stellen]. Fraktionschefin Bettina Jarasch, designierte Co-Spitzenkandidatin | |
| auch bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl, [6][hat das schon 2022 | |
| folgendermaßen erklärt, als sie noch die zuständige Verkehrssenatorin war]: | |
| Nein, die Ziele der Initiative lehne sie nicht ab, auch sie wolle mehr | |
| Verkehrssicherheit, eine gerechte Flächenaufteilung, bessere Luft, weniger | |
| Lärm und weniger Autos. Aber für Berlin gebe es bessere Wege dahin. Und die | |
| Innenstadt autofrei zu machen, verlagere den Verkehr bloß in die | |
| Außenbezirke. | |
| Das mit den besseren Wegen, von denen die Grüne spricht, hat aber schon zu | |
| ihren Zeiten im Senat nicht geklappt. Was soll denn noch besser werden? | |
| Zumindest theoretisch – ja, praktisch läuft es zeitweise nicht gerade rund | |
| – hat Berlin längst Deutschlands bestes Nahverkehrssystem. Am Angebot | |
| jedenfalls, mit U-Bahnen oftmals im 5-Minuten-Abstand in der City, kann es | |
| nicht liegen. Die Rede ist ausdrücklich nicht vom Außenbereich mit seinen | |
| Bussen im 20-Minuten-Takt und langen Wegen in teils ländlichen Bereichen. | |
| Bleiben als Gründe fürs Auto in der Innenstadt: Körperliche Gebrechlichkeit | |
| und sperrige Transporte – und natürlich Bequemlichkeit und komplette | |
| Ignoranz gegenüber dem, was dahinten aus dem Auspuff herauskommt, wie viel | |
| Platz der Wagen in der City blockiert und welche Gefahren er birgt. | |
| ## Ausnahmen bei Gebrechlichkeit | |
| Auch die Sache mit der körperlichen Gebrechlichkeit ließe sich mit einer | |
| Ausnahmegenehmigung auf Basis eines ärztlichen Attests regeln. Und für | |
| Transporte gibt es ja die erlaubten Fahrten an zwölf frei wählbaren | |
| Terminen im Jahr. | |
| Bleibt das große Ganze: die eingeschränkte Freiheit der Verkehrsmittelwahl. | |
| So zu argumentieren, lässt in schlichter Weise außer Acht, dass das Leben | |
| voll solcher Ein- und Beschränkungen ist – und das spätestens, seit Moses | |
| mit den Zehn Geboten vom Berg Sinai zurückkam. Das wird auch das | |
| Landesverfassungsgericht so gesehen haben, [7][als es den Antrag aufs | |
| Volksbegehren im Juni nach längerer Prüfung für zulässig erklärte]. Tenor: | |
| Es bestehe kein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit. | |
| Nicht stehlen, nicht morden, nicht mit Alkohol am Steuer fahren – warum | |
| dann nicht auch: nicht denen, die in der Innenstadt leben und arbeiten, das | |
| Leben durch Abgase, Lärm und Unfälle noch belastender machen? | |
| Zumal kaum etwas auf der Kostenseite steht. Denn was bleibt außer der | |
| Bequemlichkeit tatsächlich auf der Strecke? Die Freiheit, nicht mit Krethi | |
| und Plethi in Bus und Bahn sitzen zu wollen? Ist soziale Abgrenzung | |
| tatsächlich schützenswert und ein Grund, die Belastung anderer durch | |
| Autofahrten zu akzeptieren, zu denen es eine Alternative gäbe? | |
| ## Die Rahmenbedingungen müssen stimmen | |
| Gewichtiger ist schon der Sicherheitsaspekt. Ja, es kann vor allem für | |
| Spätdienstler, gerade Frauen, gruselig werden in Bahnhöfen und Bahnen. Doch | |
| das ist ein gesellschaftliches und Sicherheitsproblem, das nicht durch | |
| Aufweichen der Verkehrswende zu lösen ist. | |
| Natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen, von der Verlässlichkeit des | |
| Takts hin zu sicheren Wegen, sowohl tagsüber als auch nachts. Doch auch | |
| hier gilt: Es braucht offenbar den Druck eines Gesetzes, um voranzukommen | |
| und eben diesen Rahmen zu garantieren. | |
| Mit der Autofrei-Forderung in die Abgehordnetenhauswahl am 20. September | |
| 2026 zu gehen, fehlt bisher auch den Grünen der Mut, die mutmaßlich das | |
| Stigma „Verbotspartei“ fürchten. Mindestens 175.000 gültige | |
| Unterstützerunterschriften würden diese Mutlosigkeit kompensieren. Sie | |
| würden für einen Volksentscheid parallel zur Wahl sorgen, der im Kern | |
| fragt: Was ist Berlin wichtiger – individuelle Bequemlichkeit oder eine | |
| lebenswertere Stadt für viele? | |
| 5 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://volksentscheid-berlin-autofrei.de/presse/downloads/VE_Berlin_autofr… | |
| [2] /Sondersitzung-des-Berliner-Parlaments/!6122892 | |
| [3] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2025/09/berlin-autofrei-volksentscheid… | |
| [4] https://volksentscheid-berlin-autofrei.de/presse/downloads/VE_Berlin_autofr… | |
| [5] https://gruene.berlin/pressemitteilungen/zur-entscheidung-des-verfassungsge… | |
| [6] https://www.tagesspiegel.de/berlin/bettina-jarasch-im-interview-der-tauentz… | |
| [7] https://volksentscheid-berlin-autofrei.de/presse/downloads/VE_Berlin_autofr… | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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