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# taz.de -- Neuer New Yorker Bürgermeister: Messias Mamdani
> Die Anhänger von Zohran Mamdani hoffen nicht weniger, als dass er die
> Demokratie rettet. Aber was ist mit denen, die die Euphorie kaltlässt?
Bild: Mamdani-Fans am Dienstagabend in Brooklyn
Um kurz nach halb zehn hat Zohran Kwame Mamdani – Bürgermeisterkandidat der
Demokraten, [1][Sozialist], Muslim, einst Underdog – [2][es geschafftt]: Er
ist das neue politische Oberhaupt der größten Stadt der Vereinigten
Staaten. Einer 8,5 Millionen Einwohner zählenden Weltmetropole und der
hassgeliebten Heimat von Chaospräsident Donald Trump.
Das heißt, die Mehrheit der New Yorker hält Zohran, wie sie ihn hier
brüderlich nennen, für ihren Heilsbringer. Für einen, der zusammenschweißt
und ihr New York wieder bezahlbar macht – vielleicht sogar [3][das ganze
Land]. Aber wer in der Wahlnacht durch New York zieht, der trifft auch auf
jene, die die Mamdani-Euphorie kalt lässt. Die sich sogar fürchten vor all
dem, was er jetzt umsetzen könnte.
Einige Stunden zuvor. Wir befinden uns vor dem Littlefield, einem queeren
Musik- und Comedy-Club in Brooklyn, dem Bezirk mit der höchsten Dichte an
Mamdani-Unterstützern. Zur Wahlparty eingeladen haben die HotGirls4Zohran
und die Creators4Zohran – zwei der vielen Gruppen von Freiwilligen, die
Mamdanis offizielle Wahlkampagne in ein popkulturelles Spektakel verwandelt
haben. Der Laden ist ausverkauft.
## Mamdanis Anhänger: jung, schrill, bunt
Die meisten der Partybesucher sind jünger als ihr 34-jähriger Polit-Star
Mamdani. Fast jeder trägt bunte Buttons oder T-Shirts im
blau-orangenfarbenen Design der Zohran-Kampagne. Darauf zu lesen: „Queers
for Zohran“, „Educators for Zohran“ oder schlicht die griffigen Slogans v…
Mamdanis Wahlkampf: „Miete einfrieren. Schnelle Busse umsonst. Besteuert
die Reichen. Bezahlbare Wohnungen.“
Drinnen wartet [4][Kaif Kabir]. Der Comedy-Autor – Anfang dreißig,
kurzgeschnittener schwarzer Bart, ein pinkes HotGirls4Zohran-Shirt – hat
die gleichnamige Gruppe im März 2025 zusammen mit seiner guten Freundin,
der Show-Produzentin Cait Camelia, gegründet. „Ich habe Cait ein Video
gezeigt, in dem Zohran lautstark dagegen protestiert, dass Mahmoud Khalil
deportiert wird“, erzählt Kabir und spielt auf [5][ein Ereignis] an, das
viele junge Linke und Liberale als Kampfansage der Trump-Regierung
verstanden haben: Der syrisch-palästinensische Aktivist und Student Khalil
sollte im vergangenen März wegen seiner führenden Rolle bei der
antiisraelischen Besetzung der Columbia University und seiner möglichen
Unterstützung für die islamistische Terrororganisation Hamas abgeschoben
werden.
Nach diesem Video seien Kaif und Cait auf die Idee gekommen, die
HotGirls4Zohran ins Leben zu rufen. Sie eröffneten einen
[6][Instagram-Account] und entwarfen T-Shirts, mit deren Verkauf sie
Mamdanis Kampagne finanziell unterstützen wollten. Doch da durfte Zohrans
Wahlkampfteam schon keine Spendengelder mehr annehmen – zu viele Anhänger
waren Kaif und Cait zuvorgekommen.
Die T-Shirts verschenkten sie dann an Influencer. Für Social Media drehten
Kaif und Cait kurze Comedy-Clips und schickten ihre knapp 15.000 Follower
auf die Straßen, um mit dem „Canvassing“, dem urdemokratischen
Klinkenputzen, für den bahnbrechenden Unterschied im New Yorker
Kampagnenkampf zu sorgen.
## Der Hoffnungsträger
Aber warum die Mühe? „Zohran hat uns die Hoffnung zurückgegeben“, sagt
Kaif. „Wir in den USA rutschen gerade in den Faschismus ab.“ Vor der in
Regenbogenfarben gehüllten Bühne des Comedy-Clubs stehen vier Frauen und
ein Mann – jung, bildschön und multitalentierte Lifestyle-Influencer mit
großer Reichweite. Sie nennen sich: „Creators4Zohran“. Als ich die Gruppe
frage, wie sie sich fühlen, fangen zwei einfach an zu tanzen: „Wir viben!“
Einer lächelt erleichtert und sagt: „Ich bin optimistisch – endlich wieder
optimistisch.“
Dann beginnt die Bühnenshow. Ein identitätspolitischer Kalauer jagt den
nächsten, der Moderator, ein Stand-up-Comedian und trans Mann reißt Witze
über den Ekelgrabscher Trump, den Mamdani-Konkurrenten Andrew Cuomo und
Woody Allen, dazwischen Bekenntnisse anderer Rednerinnen: „Ich bin eine
Dragdyke für Zohran“; „Ich bin Sozialistin“; „Ich war eine arbeitslose
Lesbe aus dem East Village, aber jetzt bin ich Politstrategin für Zohran“.
Es herrscht eine Stimmung wie bei einem Pub-Crawl. Applaus und Johlen gibt
es für alles und jeden. Besonders aber für zwei Slogans: „Free Palestine!“
und „Get AIPAC out of the City!“ AIPAC ist die größte proisraelische
Lobbyorganisation der USA. Mit New Yorker Lokalpolitik hat die zwar wenig
zu tun. Trotzdem bewegt dieser Slogan hier mehr als das legendäre „Tax the
Rich!“.
Worum geht es den hier versammelten Anhängern von Mamdani also wirklich?
„Radikale Hoffnung“, haucht Cait Camelia auf der Bühne ins Mikrofon.
„Selfempowerment“, das kulturelle Momentum, der „Purpose“, wie man von
vielen hört. Klar, alle hier haben Trump und seine Alltagstorturen im
Hinterkopf. In einem Kampagnenvideo der „Hot Girls“, das auf der Leinwand
abgespielt wird, ist von einem „Gefühl der Ohnmacht“ die Rede.
## Der Erlöser?
Überwunden habe man das, so heißt es dort weiter, dank Mamdanis Kampagne.
Vieles auf der Bühne klingt nach Offenbarung und Ersatzreligion. Zohran
Mamdani der Erlöser? Die letzte Rednerin sagt es so: „Es geht nicht um die
Person, sondern um die Bewegung.“
Und trotzdem verlassen Kaif und Cait, die beiden Party-Hosts, Punkt 21 Uhr
das Littlefield, um zu Zohrans offzieller Wahlparty zu fahren. Mitkommen
kann niemand, die Gästeliste ist voll.
Ich ziehe weiter. Bei den Democratic Socialists, Mamdanis ideologischer
Homebase, will ich die ersten Hochrechnungen erleben. Mein Plan scheitert.
Die Schlange vor dem Brooklyn Masonic Temple, dem Veranstaltungsort der
Wahlparty, zieht sich fast zweimal um den Block: 700 Meter gute Laune, es
gibt mexikanisches Bier.
Ich steige ins Uber und fahre in Richtung Chinatown, zur nächsten Party.
Nach drei Blocks bleibe ich im dichten New Yorker Nachtverkehr stecken.
Plötzlich höre ich laute Schreie, schaue aus dem Fenster und sehe: ihn!
Messias Mamdani. Aus einem schwarzen Jeep mit getönten Fenstern steigt er
aus, seine zum Lächeln gebleckten Zähne glänzen im Blitzlicht, um ihn herum
jubeln Jung und Alt, hippe GenZs und beseelte Boomer. Erst jetzt checke
ich, dass der Stau mich vor das Paramount Theatre gespült hat. Dorthin, wo
Mamdani in wenigen Minuten seinen Sieg feiern wird.
## Der Uber-Fahrer wählt nicht
„Ah“, sagt der Uber-Fahrer in dem Moment, „das ist doch dieser
Mamdani-Typ!“ Ich frage, ob er ihn gewählt habe. „Gewählt? Ich wähle
nicht“, erklärt er mir. „Politiker reden nur, New York ist schon Chaos
genug, daran wird auch dieser Politiker nichts ändern.“ Mein Uber-Fahrer
heißt Chaillou Abbas. Er lenkt sein Toyota-Schlachtschiff mit großem
Bedacht durch die engen Staugassen. Vor 25 Jahren sei er aus Guinea-Bissau,
aus Westafrika, in die USA eingewandert. Aus seinem dunklen Bart stechen
einige graue Haare hervor.
Sein Sohn studiere jetzt in Michigan Ingenieurwesen, erzählt er, seine
Tochter Finanzpolitik in Harvard. Beide auf Stipendium. „Und weißt du
was?“, fragt er mich und tippt auf seinem Handy herum: „Mein Sohn hat
Mamdani gewählt.“ Als Beweis zeigt mir Chaillou die Nachricht seines Sohnes
auf dem Handy. „Aber mein Sohn kann das auch, so einen Politiker wählen,
der geht ja aufs College.“
An meinem nächsten Ziel angekommen, verabschiedet sich Chaillou, ich laufe
zu einer unbeholfen verbarrikadierten Holztür. Hier soll die Wahlparty von
The Free Press stattfinden, einer Medienplattform von mehrheitlich
jüdischen Diskursdissidenten. Ein alter Mann öffnet die Tür und bittet mich
herein.
Zusammen mit einigen anderen, genauso irritierten Partygästen fahre ich im
Schneckentempo mit dem klapprigen Aufzug in den sechsten Stock. Während der
Fahrt regt sich der alte Mann nicht etwa über die Langsamkeit seines
Aufzugs auf, sondern über die unbezahlbar hohen Mieten in New York. Die
meisten Anwesenden stimmen kopfnickend zu.
In der Bar im sechsten Stock ist die Stimmung entspannt. Die Wahlergebnisse
wurden noch nicht verkündet. Vor der Leinwand sind einige der blau-orangen
Zohran-T-Shirts zu erkennen, auf Klappstühlen liegen leere Pizza-Kartons.
Dann ist es so weit: Wo gerade noch die Gesichter der drei Kandidaten –
Sliwa, Cuomo und Mamdani – zu sehen waren, strahlt jetzt das triumphierende
Siegerlächeln Mamdanis von der Leinwand. Überraschend viele im Publikum
springen begeistert auf, andere wenden sich genervt ab, greifen zum Telefon
oder tippen aufgekratzt auf ihren Displays herum.
## Jüdinnen enttäuscht
Die junge Frau vor mir – Korkenzieherlocken, cooler Businessanzug – dreht
sich um: „Ich brauche einen Shot, ihr auch?“ Sie heißt Aliza, ist Jüdin,
wie viele hier, hat in Israel gelebt und war Teil der Kampagne von Andrew
Cuomo, der zwar Mitglied der Demokraten ist, im Wahlkampf um den
Bürgermeisterposten aber als unabhängiger Kandidat antrat.
Auf dem Weg zur Bar frage ich sie, ob sie New Yorkerin sei. „Ja“, antwortet
sie, „das heißt, eigentlich schäme ich mich jetzt, zu sagen, ich bin New
Yorkerin. Vielleicht muss ich wegziehen.“ Was genau sie damit meint, zeigt
sich einen Moment später, als wir die Wodka-Shots bestellen. Alizas Handy
klingelt, ihre Mutter ruft an. Den Tränen nah schreit die in den Hörer:
„Ich will nicht nach Europa ziehen müssen!“
Zohran Mamdani hatte in den vergangenen Monaten scharfe Kritik an der
israelischen Politik geübt – und die teilweise mit Rufen nach einer
Intifada verbunden, historisch dem Mord an israelischen Zivilisten. New
Yorker Rabbis warnten, er sei eine Gefahr, andere stellten sich schützend
vor ihn. Aber ist Mamdani wirklich so schlimm für Juden in New York, diesem
Jiddischland des Westens? Aliza meint, ja.
Deshalb habe sie auch Cuomo unterstützt. „Immerhin entscheidet Mamdani ab
morgen darüber, ob jüdische Veranstaltungen und Synagogen den Polizeischutz
bekommen, den sie dringend brauchen.“ Und es stimmt, keine Minderheit wird
in New York so oft und offen auf der Straße attackiert, wie Juden.
## Bedrückte Stimmung im Aufzug
Die meisten verlassen die Party, auch ich. Im Aufzug nach unten fragt ein
großgewachsener Republikaner mit lieben Augen, sein Name ist Gabes, in die
Runde: „Seid ihr glücklich oder traurig?“ Fast niemand, den Gabes gefragt
hat, darf in New York wählen. Bedrückt scheint aber fast jeder hier zu
sein.
Draußen dann, vor der klapprigen Holztür, haben sich kleine Gruppen
gebildet. Auf dem Bordstein sitzend wird weiter diskutiert: „Ist Mamdani
nur ein Dschihadist mit freundlichem Lächeln?“; „Wird New York jetzt so
sein wie Bagdad in den 1930ern? Oder wie Teheran vor der islamischen
Revolution?“; „Ist Zohran vielleicht ein linker Trump?“. Von der Seite
kommt eine lethargisch-belustigte Antwort: „Nah, er ist viel kleiner als
das. Er ist eine Projektion seiner Wähler, kein böses Mastermind.“
Die Antwort kommt von Tom, einer israelischen trans Frau, die in New York
lebt. Ihre Begleiterin, eine Columbia-Studentin, auch sie ist aus Israel,
ergänzt: „Und seine Bewegung rennt jedem Trend hinterher. Und wegen Trumps
Bullshit-Politik ist es eben gerade dieser blinde Hype-Optimismus.“
Auf zu meiner letzten Station des Abends, noch mal zum Freimaurertempel in
Brooklyn, wo die Democratic Socialists feiern. Es ist kurz nach
Mitternacht. Im Tempel tobt die Party. Als ich den gigantisch hohen
Ballsaal betrete, liegen sich rotwangige Sozialisten in den Armen.
## Geschafft
Zu Frank Sinatras „New York, New York“ tanzen sie untergehakt Polka und
ballen kampfbereit die Fäuste, als aus den Lautsprechern der
Techno-Protestsong „Fuck Trump“ schallt. Auf der Empore knutschen
Millennial-Männer mit Gen-Z-Girlies; der Barkeeper, ein oberkörperfreier
Punk, drückt mir drei kalte Bierdosen in die Hand: „Teilen, teilen,
teilen!“
Dann ist Schluss, zumindest offiziell. Vor der Tür versammeln sich neue
Partygruppen, sie wollen weiterziehen – vielleicht, so hoffen sie, treffen
sie Zohran irgendwo. Auf der Straße dreht ein junger Mann auf einem
Leihfahrrad seine Runden. In der Hand hält er ein Mamdani-Schild, mit jeder
Runde schreit er: „Wir haben’s geschaaaaafft!“
5 Nov 2025
## LINKS
[1] /Buergermeisterkandidat-Zohran-Mamdani/!6122851
[2] /Zohran-Mamdani-wird-neuer-Buergermeister-von-New-York/!6127069
[3] /Analyse-zum-Wahlsieg-von-Zohran-Mamdani/!6127432
[4] https://www.instagram.com/kaifkabir30/
[5] /Trump-Regierung-gegen-Uni-Proteste/!6075092
[6] https://www.instagram.com/hotgirls4zohran/?hl=de
## AUTOREN
Jonathan Guggenberger
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