| # taz.de -- „Bugonia“ mit Emma Stone: Von Bienen, Bossen und der menschlich… | |
| > In „Bugonia“ lässt Yorgos Lanthimos Verschwörungswahn und Konzernkultur | |
| > kollidieren, bis kaum Menschliches mehr bleibt. | |
| Bild: Sieht so eine Außerirdische aus? Michelle (Emma Stone) in der Hand von T… | |
| Ein Spiel mit dem Weltentrückten waren die Werke von Yorgos Lanthimos schon | |
| immer. Im Laufe der letzten Dekade wandte sich der griechische Regisseur | |
| allerdings vermehrt Stoffen zu, die sich nicht allein mit dem Skurrilen, | |
| dem Makabren und dem Grotesken zufriedengeben – sondern den Umweg des | |
| Absurden nehmen, um in Areale vorzudringen, in denen sich die Konturen der | |
| Wirklichkeit bisweilen umso klarer zeigen. | |
| Mit anderen Worten: Yorgos Lanthimos entwirft in seinem jüngeren Filmen | |
| künstlich überhöhte Welten und konstruierte Szenarien, die gerade durch | |
| ihre gezielte Zuspitzung tieferliegende Wahrheiten über unser Dasein | |
| freilegen: In „The Lobster“ etwa wird die Liebe zur Pflicht und Einsamkeit | |
| zum Verbrechen erklärt, um die Mechanismen sozialer Kontrolle hinter | |
| unseren romantischen Idealen offenzulegen. | |
| [1][„Poor Things“] wiederum zeigt in einer modernen Frankenstein-Variante, | |
| welche Freiheit möglich wäre, wenn wir weder Wissen um gesellschaftliche | |
| Erwartungen noch Scham darüber besäßen, sie nicht zu erfüllen. Und | |
| [2][„Kinds of Kindness“] entfaltet schließlich ein Triptychon, das die | |
| Willkür zwischenmenschlicher Regeln bloßlegt, um unser Streben nach äußerer | |
| Bestätigung mit beißender Ironie zu kommentieren. | |
| Wenn man so will, arbeitet sich Yorgos Lanthimos also zunehmend direkter zu | |
| den Gegebenheiten unserer Wirklichkeit vor – oder ist es andersherum, und | |
| eine immer entrückter wirkende Welt kommt Yorgos Lanthimos entgegen? Es | |
| passt jedenfalls bestechend gut ins Bild, dass er sich nun, in seinem neuen | |
| Film „Bugonia“, den ganz realen Weltentrückten unserer Zeit widmet, den | |
| Verschwörungsgläubigen, den Misstrauensmissionaren im digitalen | |
| Endzeitalter. | |
| Teddy (Jesse Plemons) erklärt seinen leidlich als Theorie getarnten Wahn | |
| gleich zu Beginn, in eine volle Imkermontur gekleidet, über einen | |
| Bienenstock gebeugt: Von Bienen, die Pollen für die Königin sammelten, ist | |
| die Rede. Dass die Bienen aber sterben – und dass „die“ das so geplant | |
| hätten, dass es „ihnen“ – Menschen wie Teddy und Don (Aidan Delbis), sei… | |
| Cousin und einzigen Zuhörer – ähnlich ergehe. | |
| Wie sich zeigt, meint dieses ominöse „die“ niemand Geringeres als Aliens | |
| aus der Andromeda-Galaxie. Und eine solch unheilbringende, aber in eine | |
| menschliche Gestalt gehüllte Außerirdische glaubt Teddy in der | |
| Geschäftsführerin eines mächtigen Pharmakonzerns ausgemacht zu haben. Er | |
| ist fest entschlossen, ihren vermeintlich lange gehegten Plan zur | |
| Zerstörung der Erde zu durchkreuzen und beschließt deshalb, sie zu | |
| entführen. | |
| Michelle Fuller (Emma Stone) ist – oder wäre? – den beiden Männern aber | |
| auch ganz ohne extraterrestrischen Beistand oder intergalaktischen | |
| Migrationshintergrund überlegen. Eine klug montierte Sequenz stellt ihre | |
| trostlosen Vorbereitungen – Liegestütze im muffig-braunstichigen | |
| Wohnzimmer, eine chemische Selbstkastration am Lagerfeuer als grotesker Akt | |
| vermeintlicher Hingabe an die „Mission“ – den Szenen von Michelles | |
| souveräner „Girl Boss“-Routine gegenüber. | |
| Der Tag beginnt um 4.30 Uhr, mit Beauty-Treatments und einem Workout mit | |
| Personal Trainer am Pool. Gestylt und vom eigenen Ehrgeiz geglättet, geht | |
| es im schwarzen SUV weiter ins gläserne Prestige-Büro, wo gerahmte Time- | |
| und Forbes-Cover ihr Gesicht neben Schlagzeilen wie „Leader of the Year“ | |
| zeigen. Dann wird ein PR-Video eingesprochen, in dem das Wort „Diversity“ | |
| mit der Beharrlichkeit eines Gebets beschworen wird. | |
| ## Verinnerlichte Selbstoptimierung | |
| Gegen eine so restlos verinnerlichte Selbstoptimierungslogik, die schon | |
| beim Aufstehen in Potenzialen denkt, haben zwei Symbolfiguren des | |
| Scheiterns an der Gegenwart eigentlich keine Chance. Nur mit ihren eigenen | |
| Mitteln ist Michelle Fuller zu schlagen, in diesem Fall mit einer Spritze | |
| voller Beruhigungsmittel. | |
| Was auf ihr Kidnapping folgt, ist ein Martyrium: Die beiden Männer rasieren | |
| ihr die Haare ab, damit sie keinen „Kontakt zum Mutterschiff“ aufnehmen | |
| kann, und ketten sie an ein Feldbett im Keller von Teddys Elternhaus. Als | |
| Michelle Fuller erwacht, fordern ihre Entführer sie auf, ihre wahre | |
| Identität zu gestehen – und Teddy samt Cousin während der bevorstehenden | |
| Mondfinsternis auf ein Raumschiff zu bringen, um über die Zukunft der Erde | |
| zu verhandeln. | |
| Dass in „Bugonia“, der auf dem südkoreanischen Film „Save the Green | |
| Planet!“ (2003) basiert und dessen Grundidee der Drehbuchautor Will Tracy | |
| („The Menu“) mit zeitgemäßem Spin in eine Gegenwart überträgt, in der d… | |
| Macht der Konzerne weiter gewachsen und die der Wahrheit noch prekärer | |
| geworden ist, ausgerechnet eine CEO für ein Alien gehalten wird, ist | |
| angesichts des grassierenden, seltsam-sterilen Corporate-Sprechs die | |
| satirisch treffendste Pointe. Man denke nur an Elon Musk und andere | |
| Silicon-Valley-Gestalten, die in ihrer Hybris bisweilen tatsächlich den | |
| Anschein erwecken, als kämen sie von einem anderen Stern. | |
| ## Zu viel Brutalität | |
| Da ist es umso bedauernswerter, dass Yorgos Lanthimos dem physischen | |
| Spektakel, dem Malträtieren und Foltern mehr Raum gibt, als die Erzählung | |
| eigentlich braucht. Mit Stromstößen etwa soll das vermeintliche Alien | |
| entlarvt werden – ein Ritual, das die Logik des mittelalterlichen | |
| „Hexenbads“ aufgreift. Kameramann Robbie Ryan („Poor Things“) hält sich | |
| zwar formal zurück und Emma Stone kann wirklich die gesamte Bandbreite | |
| ihres beeindruckenden Talents zeigen, und doch gerät die Brutalität | |
| mitunter störend zum Selbstzweck. | |
| Umso erstaunlicher ist es da wiederum, dass darüber ausgerechnet Teddy | |
| nicht zum Konzept verkommt, sondern im weiteren Verlauf des Films zunehmend | |
| an Tiefe gewinnt. Vielleicht braucht es einen Filmemacher, der die Kunst | |
| der Entfremdung so meisterhaft beherrscht, um eine Figur, die den Glauben | |
| an geheime Mächte zum Lebenssinn erhebt, nicht allein als Kuriosum, sondern | |
| ein Stück weit als Symptom zu begreifen. | |
| Wenngleich „Bugonia“ seine Taten nicht verteidigt, erinnert der Film doch | |
| daran, dass hinter dem Wahnwitz oft sehr realer Frust und Verzweiflung | |
| stehen: Teddy arbeitet in einem geisttötenden Job als Paket-Scanner in | |
| einem Amazon-ähnlichen Logistikzentrum, das zu Michelle Fullers | |
| Konzernimperium gehört, und macht die aus Profitinteresse vorschnell auf | |
| den Markt gebrachten Medikamente ihres Unternehmens für das Leiden seiner | |
| Mutter (Alicia Silverstone) verantwortlich. | |
| ## Jenseits von Spott und Häme | |
| Yorgos Lanthimos zeichnet damit einen strukturellen Ursprung für ein | |
| strukturell gewordenes Problem des Verlusts an Zugehörigkeit: die | |
| Enttäuschung über das gebrochene Versprechen von Teilhabe in einem System, | |
| das Effizienz predigt, Empathie allzu oft auslagert – und das entgegen | |
| aller Aufstiegsversprechen doch immer auf ebenso leicht auszubeutende wie | |
| auszutauschende Arbeiterbienchen angewiesen bleibt. So lange, bis Ohnmacht | |
| in den verzweifelten Versuch von Selbstermächtigung umschlägt und so, in | |
| obskuren Verschwörungsglauben verkehrt, die tatsächlichen Ursachen | |
| verdeckt. | |
| Worauf „Bugonia“ letztlich hinauswill, hat also rein gar nichts mehr mit | |
| Spott und Häme zu tun. Im Gegenteil: In einem überraschend bewegenden | |
| Finale holt Yorgos Lanthimos zu seiner bislang wohl zärtlichsten Pointe aus | |
| – einer, die ihn endgültig als einen der Menschheit zugewandten Filmemacher | |
| zeigt, so schmerzhaft er sie zuvor auch auf den Umweg von Wahn, Gewalt und | |
| Selbsttäuschung schickt. Am Ende steht die leise, fast kindlich einfache | |
| Frage, wie wir einander das Leben nur so schwer machen können. „When will | |
| they ever learn?“, singt Marlene Dietrich darin – und selten klang | |
| Verzweiflung so sehr nach Mitgefühl. | |
| 28 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kinds-of-Kindness-mit-Emma-Stone/!6018038 | |
| [2] /Kinds-of-Kindness-mit-Emma-Stone/!6018038 | |
| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
| ## TAGS | |
| Verschwörung | |
| Film | |
| Konzerne | |
| Social-Auswahl | |
| Film | |
| Rechtsextremismus | |
| Fake News | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Film über Verschwörungstheoretiker: Die Putzfrau ist ein „Repto“ | |
| Durchdringen noch möglich? In ihrem Dokumentarfilm „Soldaten des Lichts“ | |
| zeigen Julian Vogel und Johannes Büttner die Schwurblerszene in | |
| Deutschland. | |
| Arte-Serie „World White Hate“: Weltweiter Hass im Netz | |
| Rechte Gewalt nimmt zu – schuld ist auch das Internet. Eine Doku-Serie | |
| zeigt, wie sich Neonazis weltweit im Netz radikalisieren und organisieren. | |
| Studie über Schlaf und Fake News: Endlich Schlafschaf | |
| Eine Studie beweist einen Zusammenhang zwischen schlechtem Schlaf und der | |
| Neigung, an Verschwörungstheorien zu glauben. Schlaftabletten für | |
| Schwurbler! |