| # taz.de -- Staatsrat-Affäre wird zur Strafsache: Im Namen des Steuerzahlers | |
| > Wegen Verdachts auf Untreue ermitteln die Behörden nun auch gegen die | |
| > Bremer Wirtschaftssenatorin. Es geht um eine Versetzung in den Ruhestand. | |
| Bild: Bremens Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke): Auch gegen sie ermitt… | |
| taz | Mit einem Durchsuchungsbefehl stand am Freitag die Staatsanwaltschaft | |
| vor dem Bremer Wirtschaftsressort – und dem Privathaus von | |
| Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke). Senatorin und Behörde | |
| kooperierten und gaben die angeforderten Dokumente und Geräte auch ohne | |
| Hausdurchsuchung heraus. Der Anlass: Vor zwei Jahren hatte die | |
| Wirtschaftssenatorin ihren Staatsrat in den (gutbezahlten) einstweiligen | |
| Ruhestand entlassen. Doch das war möglicherweise nicht rechtens – ein | |
| Verstoß gegen das Beamtenrecht. | |
| Doch der Vorwurf, der jetzt von der Staatsanwaltschaft erhoben wird, ist | |
| strafrechtlich relevant: Verdacht auf Untreue. Schließlich, so die | |
| Argumentation, ist eine Entlassung in den einstweiligen Ruhestand teurer | |
| als die anderen Möglichkeiten, einen Staatsrat loszuwerden. Die | |
| Wirtschaftsssenatorin hätte damit also Steuergelder verbrannt. | |
| [1][Anfang Oktober war bereits Bremens Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf | |
| (Grüne) zurückgetreten,] nachdem sie sich in einer Sitzung des Haushalts- | |
| und Finanzausschusses in Widersprüche verstrickt hatte; auch bei ihr hat | |
| die Staatsanwaltschaft im Anschluss eine Durchsuchung angeordnet und | |
| Dokumente eingezogen. | |
| Sowohl Moosdorf als auch Vogt hatten ihre jeweiligen Staatsrät*innen in | |
| den einstweiligen Ruhestand entlassen – und sie in der begleitenden | |
| Pressemitteilung für ihre Arbeit gelobt. Außerdem konnte man aus beiden | |
| Pressemitteilungen herauslesen, dass die Initiative für die Entlassung | |
| womöglich bei den Staatsrät*innen selbst gelegen habe – bei Staatsrat | |
| Sven Wiebe (Wirtschaft) war von familiären Gründen die Rede, bei | |
| Staatsrätin Irene Strebl (Wissenschaft) von fehlender Kraft. | |
| ## Schutzinstrument für politische Beamt*innen | |
| Dafür ist der einstweilige Ruhestand nicht gemacht. Er ist so gut bezahlt, | |
| weil er ein Schutzinstrument für politische Beamt*innen ist: Die können | |
| jederzeit entlassen werden. So soll gesichert sein, dass eine neu gewählte | |
| Exekutive an der Behördenspitze die Leute installieren kann, mit denen sie | |
| ihre politischen Ziele umsetzt. Eine einstweilige Entlassung benötigt laut | |
| Gesetz zwar keine Begründung. Die Motivation aber muss stimmen, legen | |
| Urteile des Bundesverwaltungsgerichts nahe: Dazu gehört fehlendes Vertrauen | |
| oder auch Zweifel an der Arbeit der Staatsrät*innen. Überschwängliches Lob | |
| passt zu keinem dieser Motive. | |
| Einen Parteifreund versorgt, wie es als Vorwurf von der Opposition bereits | |
| aufkam, hat Kristina Vogt jedenfalls nicht: Sven Wiebe, der 2023 mit 60 | |
| Jahren entlassen wurde, ist kein Parteigenosse, sondern einfach Fachperson; | |
| er war schon seit 1995 Referent in der Bremer Wirtschaftsbehörde und hat | |
| dort sieben Senatoren aus CDU und SPD erlebt, bevor die neue linke | |
| Senatorin ihn 2019 zum Staatsrat ernannte. | |
| Beim Rechnungshof, der die Ausgaben der Bremer Landesregierung kritisch | |
| begleitet, beobachtet man die Entwicklung mit Interesse. Das bisher letzte | |
| Mal, dass man sich dort in einem Jahresbericht mit der Entlassung von | |
| Staatsräten befasst hat, ist 27 Jahre her. 1998 war das und die | |
| Gesetzeslage noch eine andere: Staatsrät*innen a.D. wurden damals sogar | |
| noch besser versorgt als heute. | |
| Interessant ist die alte Auswertung trotzdem – sie zeigt, was damals nicht | |
| die Ausnahme, sondern Standard war: Auch 1998 bemängelte der | |
| Staatsgerichtshof, dass offenbar nicht immer gestörtes Vertrauen der Grund | |
| für den frühen Ruhestand war. Die statistische Bilanz damals: Keiner der | |
| damals 35 Staatsräte im Ruhestand hatte bis zur Altersgrenze gearbeitet, | |
| alle waren in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. | |
| ## Nur vorsätzliche Untreue ist strafrechtlich relevant | |
| Doch wann kann Steuerverschwendung ein Fall für einen Untreuevorwurf | |
| werden? Die entscheidende juristische Frage ist die nach der Absicht: Nur | |
| vorsätzliche Untreue ist strafrechtlich relevant. Die Staatsanwaltschaft | |
| wird also rekonstruieren wollen, von wem die Initiative für die Entlassung | |
| ausgegangen ist. Mutmaßlich geht es auch um die Frage, ob die Senatorinnen | |
| die Folgen absehen konnten. | |
| [2][Gralf-Peter Calliess, Professor für Handelsrecht an der Uni Bremen,] | |
| ist auf das Strafrechtsinstrument der Untreue nicht gut zu sprechen. „Der | |
| Paragraf ist von der Rechtssprechung im letzten Jahrzehnt extrem überdehnt | |
| worden“, so der Jurist. Zunehmend werde Untreue als „politisches | |
| Strafrecht“ genutzt, um „aus der Ex-post-Perspektive zu bewerten, was ex | |
| ante niemand besser wusste“. | |
| Im Fall der entlassenen Staatsrät*innen könne man wohl von Untreue | |
| sprechen, wenn dort „absichtlich zum Nachteil der Steuerzahler*innen“ | |
| gehandelt worden sei. Der eigentliche Skandal sei aber „die Rechtslage um | |
| die Entlassung und nicht dieser Fall“, so Calliess. Sie lade zum Betrug | |
| ein: Bei schlechter Arbeit könnten Senator*innen ihre Staatsräte in den | |
| übermäßig gut bezahlten Ruhestand schicken, bei guter Arbeit nicht. Es sei | |
| menschlich verständlich, dass Senator*innen „aus Anstandsgefühl“ | |
| [3][langgediente gute Staatsrät*innen] nicht um große Teile ihrer | |
| Pension bringen wollten. | |
| Das Wirtschaftsressort äußert sich mit Verweis auf die laufenden | |
| Ermittlungen zurzeit nicht zu den Vorwürfen. Die Linke ist ihrer Senatorin | |
| bereits am Freitag beigesprungen: „Wir sind überzeugt davon, dass Kristina | |
| Vogt keine andere Möglichkeit hatte und sich nichts zuschulden hat kommen | |
| lassen“, lassen die Fraktionsvorsitzende Sofia Leonidakis und der | |
| Landessprecher der Linken, Christoph Spehr, sich zitieren. | |
| 20 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bremer-Umweltsenatorin-tritt-zurueck/!6117607 | |
| [2] https://www.uni-bremen.de/jura/fachbereich-6-rechtswissenschaft/fachbereich… | |
| [3] /Berliner-Nachfolger-fuer-Sascha-Aulepp/!6106404 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
| ## TAGS | |
| Staatsanwaltschaft Bremen | |
| Die Linke Bremen | |
| Senat Bremen | |
| Bremen | |
| Untreue | |
| Die Linke Bremen | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Senat Bremen | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Bildung in Bremen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bremer Linke solidarisch mit Senatorin: Die Stellvertreter-Schlammschlacht | |
| Bremens Linke fordert, Ermittlungen gegen Wirtschaftssenatorin Kristina | |
| Vogt einzustellen: Staatsratsruhestand sei gesetzeskonform gewesen. | |
| Ermittlungen gegen Bremer Senatorinnen: Kommt noch ein Rücktritt wegen Rücktr… | |
| Die Ermittlungen gegen Bremens Wirtschaftssenatorin sind schwere Geschütze | |
| – in einem eher komplizierten als skandalösen Beamtenrechts-Fall. | |
| Bremer Umweltsenatorin tritt zurück: Senatorin stürzt über Staatsrätin | |
| Bremens Umweltressort braucht eine neue Chefin: Kathrin Moosdorf geht. Sie | |
| konnte nicht erklären, warum ihre Staatsrätin mit goldenem Handschlag ging. | |
| Innensenator bleibt Buchvorstellung fern: Ulrich Mäurers Luftnummer | |
| Bremens SPD-Innensenator zieht ein Grußwort für das Buch „Mit Russland“ | |
| zurück. Dessen Hauptautor ist ein alter Bekannter ohne Russland-Expertise. | |
| Berliner Nachfolger für Sascha Aulepp: Mark Rackles soll Bremer Bildungssenato… | |
| Mit dem Berliner Ex-Staatssekretär Mark Rackles könnte ein Verfechter der | |
| Arbeitszeiterfassung für Lehrer*innen Bremer Bildungssenator werden. |