| # taz.de -- Liebling der Massen: Gott in der Fußnote | |
| > Das Gehirn der Jüngeren ist der Computer, das unseres Autors ist ein | |
| > zerfleddertes Lexikon. Bei Charles Manson muss er jedoch nicht | |
| > nachschlagen. | |
| Bild: Deborah Ann „Debbie“ Harry ist eine US-amerikanische Sängerin, die 1… | |
| Vor Jahren hatte ich einen Lektor, der das Wort „kregel“ nicht kannte und | |
| nicht wusste, dass Jungvögel im Nest „sperren“. Damals war das eine reine | |
| Bildungslücke. [1][Doch heute steckt oft ein Generationen-Gap dahinter]: | |
| Denn bei der Redaktion meiner Texte zeigen gerade jüngere Kolleg:innen | |
| immer öfter Erklärungsbedarf: „Du hast da einen ‚Charles Manson‘ erwäh… | |
| heißt es beispielsweise. „Da müsste man vielleicht dazuschreiben, wer das | |
| ist. Den kennen die Leute gar nicht mehr.“ | |
| Die Leute. Gute Frage: Wer sind die? Die oder ich oder wer dazwischen? Ich | |
| gelte offenbar als Dinosaurier, dem zunehmend das Gefühl dafür abgeht, was | |
| zurzeit überhaupt noch unter „Allgemeinwissen“ fällt. Ich sage im Alltag | |
| ganz selbstverständlich „Potzblitz“, „Tausendsassa“ oder „cool“. D… | |
| Ausdrücke sind ihnen fremd. Dann fragen sie mich im Altenpfleger-Wir, ob | |
| „wir nicht eventuell Fußnoten machen können“. Für die Leserschaft. „Al… | |
| nur online“, hieß es neulich am Redaktionstelefon. „Im Print können wir d… | |
| ruhig lassen – den lesen ja gerade auch viele Ältere.“ | |
| Nein, es nervt mich nicht wirklich. Ich finde es fast niedlich, womöglich | |
| auch ein ganz kleines bisschen von oben herab, weil, klar, meine | |
| Reminiszenzen sind sicher nicht immer brandaktuell. Aber ich kam früher | |
| doch auch nicht auf die Idee, dass die Altvorderen als persönlichen | |
| Sonderservice für mich jedes Mal haarklein erläuterten, wer Hitler oder | |
| Goethe war. Mann, Leute, das weiß man doch. Aber okay, ich bau euch da mal | |
| ’ne Fußnote, damit ihr wisst, was ein Stuhl ist, ein Chair nämlich, oder | |
| wer Gott war oder Julius Cäsar. Das denke ich manchmal mit einem grimmigen | |
| Lächeln. | |
| ## Am anderen Ende der Leitung | |
| Wenn ich aber merke, dass am anderen Ende der Leitung (das ist auch so ein | |
| überkommener Begriff: „Leitung“, „Hörer“ – da fehlt nur noch das Fr… | |
| vom Amt) jemand meinen Hochmut spürt, schäme ich mich dann doch ein | |
| bisschen. Weil ich ja im Grunde weiß, dass meine Hybris vollkommen | |
| unangebracht ist, ebenso wie mein onkelhaftes Spötteln über ihre | |
| alterstypische, leichte Dauerverpeiltheit oder darüber, dass sie weder | |
| Charles Manson, Debbie Harry noch Helmut Schmidt kennen und nicht wissen, | |
| wie man die Zeit von einer echten Ticktack-Uhr abliest. Oder allgemein, | |
| mich überlegen zu fühlen, nur weil sie meinen Mittelaltersprech und meinen | |
| antiquierten Wissenskanon nicht teilen. | |
| Das ist aber völliger Quatsch. Die haben ja nicht weniger, sondern schlicht | |
| ganz andere Sachen im Kopf. [2][Ich selbst weiß ja zum Beispiel wiederum | |
| gar nicht,] wer diese Britney Swift ist oder was Clitoral Approbation und | |
| White Shellfishness bedeuten. Und nicht nur andere Sachen, sondern | |
| obendrein auch noch viel mehr. Denn ihr Gehirn ist der Computer, meines das | |
| zerfledderte Lexikon in zwanzig Bänden. | |
| ## Die absoluten Tausendsassen | |
| Im Vergleich zu mir [3][sind die Jungen nämlich absolute Tausendsassen]. | |
| Ihre scheinbare Verpeiltheit rührt ja nur daher, dass sie die ganze Welt | |
| auf einmal mit sich im Kopf herumtragen, mit all ihren äußerst komplexen | |
| Zusammenhängen, die mich heillos überfordern. Meine Fähigkeit, einen | |
| Stadtplan aus Papier zu lesen oder zu wissen, wie die Muhkuh macht, ist | |
| heute etwa so viel wert wie die, einen Speer aus Knochen zu schnitzen. Sie | |
| tragen nicht wie ich Telefonnummern, Wetterberichte, Hubraum, Kochrezepte, | |
| all das mühsam angesammelte, nutzlose Wissen die ganze Zeit über mit sich | |
| im Kopf herum, wo es eh bloß langsam verschimmelt. | |
| Stattdessen sind sie superflexibel und können sich bei Bedarf alles | |
| jederzeit im Nu einfach aneignen, während ich schon an einem | |
| Plastikschraubverschluss scheitere, der nicht mehr von der Flasche abgeht. | |
| 25 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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